# taz.de -- Südkorea im Jahr 1988: Tausende „Vagabunden“ verhaftet
       
       > Vor den Olympischen Spielen 1988 fanden in Südkorea systematische
       > Menschenrechtsverletzungen statt. Opfer warten bis heute auf
       > Entschädigung.
       
 (IMG) Bild: Einer der Insassen heute: Choi Seung-woo (links) steht einem ehemaligem Wassertank des Brüderheims
       
       Seoul taz | Während der Olympischen Spiele 1988 in Seoul konnte sich
       Südkorea erstmals im Rampenlicht der Weltöffentlichkeit präsentieren: als
       aufstrebende Wirtschaftsmacht, modern und selbstbewusst. Während Studenten
       ihr Recht auf Demokratie einforderten, leitete der damalige Autokrat Chun
       Doo-hwan gigantische „Stadtverschönerungen“ ein, um das Image des Landes
       aufzupolieren: Privatautos durften nur jeden zweiten Tag fahren,
       Hundefleischrestaurants wurden vorübergehend geschlossen, über 720.000
       Bewohner alter Baracken wurden zwangsumgesiedelt.
       
       Wie eine Recherche der Nachrichtenagentur AP nun zeigt, kam es damals auch
       zu schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen. Deren Aufklärung wird bis
       heute von der Regierung unterdrückt. Tausende „Vagabunden“ wurden damals
       verhaftet. Die systematischen Säuberungsaktionen trafen nicht nur
       Obdachlose, Alkoholiker und psychisch Kranke, sondern zu einem Großteil
       verwahrloste Kinder. Viertausend von ihnen landeten im sogenannten
       Brüderheim. „Das war keine Wohlfahrtseinrichtung, sondern ein
       Konzentrationslager“, sagt ein Rechtsanwalt.
       
       Der ehemalige Insasse Choi Seung-woo wurde laut Angaben von AP als
       14-Jähriger von einem Polizisten aufgegriffen, weil er ein Stück Brot
       geklaut haben soll. Um ein Geständnis zu erzwingen, riss de Polizist dem
       Jungen an jenem Tag im Jahr 1982 die Hose vom Leib und hielt ein brennendes
       Feuerzeug an sein Genitale. Für die nächsten fünf Jahre wurde Choi im
       Brüderheim eingekerkert. Bereits in seiner ersten Nacht wurde er von einem
       Wächter vergewaltigt. Am nächsten Morgen sah der Junge, wie eine Frau mit
       einem Schlagstock geprügelt wurde, bis Blut aus ihrem Kopf rann. Ein
       anderes Mal hätten die Wärter einen schreienden Mann mit einer blauen Plane
       bedeckt, zu Boden gestoßen und auf ihn eingetreten. Als die Plane von dem
       toten Mann abgefallen sei, war nur mehr das Weiß der Augen zu sehen.
       
       Laut Angaben der Heimleitung sollen zwischen 1975 und 1986 insgesamt 513
       Insassen gestorben sein. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen. In
       den Akten wurde als Todesgrund meist „Herzfehler“ oder „Schwäche“
       angegeben. Wegen Fluchtgefahr sollen Insassen erst in Krankenhäuser
       gelassen worden sein, wenn sie bereits halb im Sterben lagen. Ein Zeitzeuge
       berichtet von einem „Strafvollzugsraum“, in dem täglich Inhaftierte zu Tode
       geprügelt wurden. Die Leichen sollen auf Anordnung des Heimleiters in einem
       nahe gelegenen Waldstück begraben worden sein.
       
       ## Winterspiele 2018 in der Vorbereitung
       
       Für den Besitzer war das Heim vor allem ein hochprofitables Geschäft: Auf
       dem Gelände des Heims sollen die Insassen als weitgehend unbezahlte
       Arbeitssklaven in zwanzig Fabriken gearbeitet haben. Die dort hergestellten
       Hemden und Schuhe seien auch nach Europa exportiert worden. Erst Ende der
       80er Jahre wurde die Einrichtung nach einer Razzia geschlossen. Einer der
       Staatsanwälte, die damals darauf drängten, die Ermittlungen einzustellen,
       dient der heutigen Regierungspartei als Berater. Nach direkten
       Interventionen des damaligen Präsidenten Chun Doo-hwan musste der
       Heimleiter bis heute nicht für die Missbrauchsfälle büßen, lediglich für
       die Veruntreuung von Millionen an Regierungsgeldern zweieinhalb Jahre Haft
       absitzen. Seine Familie führte noch bis 2013 weitere Bildungs- und
       Wohlfahrtseinrichtungen.
       
       Während sich Südkorea [1][nun auf die Olympischen Winterspiele 2018 in
       Pyeongchang vorbereitet], warten die ehemaligen Insassen weiter vergeblich
       auf finanzielle Entschädigung oder eine offizielle Entschuldigung. Versuche
       eines oppositionellen Abgeordneten, den Fall erneut aufzurollen, werden von
       der Regierung abgeblockt – mit der Begründung, dass die Ereignisse zu lange
       zurückliegen. „Sich nur auf einen einzigen Verstoß gegen die Menschenrechte
       zu fokussieren würde die Regierung finanziell belasten und einen negativen
       Präzedenzfall schaffen“, sagte ein Beamter des Innenministeriums.
       
       Längst wurde das ehemalige Heim abgerissen. Eine Apartmentsiedlung steht
       auf dem Grundstück. In den 90er Jahren entdeckten Bauarbeiter bei
       Ausgrabungen rund hundert Knochenstücke, eingewickelt in blaue Planen.
       
       22 Apr 2016
       
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 (DIR) Fabian Kretschmer
       
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