# taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Mit Verlaub, Sie sind kein Arschloch
       
       > Was den Wahlerfolg der Kretschmann-Grünen ausmacht: Sie sind
       > Post-Realo-Fundis. Und sie sprechen anders als Classic-Grüne.
       
 (IMG) Bild: Man muss mit allen reden können. Kretschmann kann das
       
       Als wir klein waren, war das Allermeiste sonnenklar. Wenn ein Grüner zum
       Bundestagspräsidenten „mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch“
       krächzte, dann war das die angemessene Sprache der Dissidenz und der
       Ausdruck einer konfrontativen Haltung gegenüber dem Establishment. Damit
       brach etwas auf.
       
       Over.
       
       Selbst falls man demnächst ein starkes Gefühl verspüren sollte, den Satz
       bei President Trump wieder anzuwenden: Was soll das bringen, außer sich
       kurz Luft verschafft zu haben?
       
       Nun werden die einen weiter darauf beharren, dass man kaputt machen müsse,
       was uns kaputt macht. Ich gehöre zu denen, die inzwischen überzeugt sind,
       dass man nicht das kaputt machen darf, was wir in den letzten 50 Jahren an
       bewahrenswerten Errungenschaften geschafft oder bekommen haben. Dass
       deshalb nicht das kaputtgehen darf, was uns in der Mitte zusammenhält. Das
       ist eine radikal veränderte Aufgabenstellung.
       
       Zu viel von dem, was nach Ministerpräsident Kretschmanns historischem
       Wahlsieg gesagt wurde, geht von einem überholten Denken aus – Realo oder
       Fundi. Kretschmann und seine Baden-Württemberger sind eben nicht auf einem
       der beiden alten Grünen Wege unterwegs. Das sind keine „Realos“, die die
       „Fundis“ in Schach halten.
       
       Die Kretschmann-Grünen sind Post-Realo-Fundis. Sie sind Orientierungspartei
       der Gesellschaft. 30,3 Prozent kriegt man nur, wenn die aristotelische
       Katharsis hinter einem liegt. Wie auch bei anderen erfolgreich regierenden
       Landesverbänden (etwa Hessen und Schleswig-Holstein) wird Staat,
       Gesellschaft, Wirtschaft und „wir“ zusammengedacht.
       
       Im Bund indes muss man den Sprung hinter die Lager noch machen. Dieser
       Sprung besteht im Kern darin, Kretschmanns Definition von Grün positiv
       nachzuvollziehen. Er ist nicht der Avantgardist, der die Mitte vom Rand aus
       piekst. Er ist der „Pater Patriae“, der Vater des Vaterlandes, der mit
       seinem progressiven Errungenschaftskonservatismus und dem
       Alleinstellungsmerkmal der sozialökologischen Transformation eine neue
       Mehrheit in der Mitte gebildet hat. Eine völlig unterschätzte Voraussetzung
       dieses Erfolg ist die Art des Sprechens.
       
       Heute sammelt sich das Anti-Establishment in unserer EU bei Rechts- oder
       bei Linkspopulisten und in Deutschland bei der AfD. Da sind Leute dabei,
       deren Wut mit einer kulturellen Verwahrlosung einhergeht und die sich
       entsprechend artikulieren. In so einer Lage ist das öffentliche
       Krachwumms-Sprechen der frühen grünen Jahre keine aufrechte Haltung,
       sondern genauso kontraproduktiv wie der spaltende Moralstinkefinger.
       
       ## Nicht die Manieren verlieren
       
       Was es brauche und was Kretschmann habe, sagt der Soziologe Heinz Bude, sei
       „reparatives“ Sprechen. Er spaltet nicht, er fügt Teile der
       auseinanderstrebenden Gesellschaft neu zusammen. Er verkörpere die „Idee
       kollektiver Handlungsfähigkeit“ im Spätkapitalismus. Das ist sicher nicht
       im Sinne Sahra Wagenknechts, aber genau darum geht es. Die dialogische
       Hinwendung gilt selbstverständlich nicht für notorische Rassisten, aber sie
       reicht bis zu gekränkten Kleinbürgern, die sich jetzt gegen Demokratie, EU
       und Gesellschaft wenden und dabei asozial und antikapitalistisch sind.
       
       Man muss mit allen reden und mit vielen möglichst gute Kompromisse machen
       können. Das gilt speziell für etwaige Grüne in einer künftigen
       Bundesregierung. Ein grüner Außenminister muss mit Saudi-Arabien, Assad
       oder dem Teufel so sprechen, dass etwas Positives herauskommen kann. Er
       sollte nicht wie Anton Hofreiter bereits die Manieren verlieren, wenn er es
       mit dem grünen Oberbürgermeister von Tübingen zu tun hat.
       
       10 Apr 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Peter Unfried
       
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