# taz.de -- Spielräume der Architektur
       
       > Kunst Feinsinnig setzt sich Isa Melsheimer mit gebauter Umwelt
       > auseinander. In ihrer Ausstellung in der Galerie Esther Schipper stoßen
       > postmoderne Katastrophen auf eine Ode an den Brutalismus
       
 (IMG) Bild: Installationsansicht Isa Melseheimer
       
       von Julia Gwendolyn Schneider
       
       Wenn Isa Melsheimer mit rauem Beton und dünnen Nylonfäden arbeitet, geht es
       ihr nicht darum, Gegensätze wie Robustheit und Fragilität zu betonen.
       Lieber bringt sie die klare Trennung der gegensätzlichen
       Materialeigenschaften ins Wanken. Mit beiden Medien entwirft sie
       ambivalente Raumgefüge, die sich um Architektur drehen und für
       überraschende Perspektivwechsel sorgen.
       
       Beim Betreten ihrer Ausstellung in der Galerie Esther Schipper sind zuerst
       nur hauchdünne weiße Fäden zu sehen. An verschiedenen Stellen sind sie vom
       Fußboden bis zur Decke gespannt. Die so erzeugte hyperbolische
       Fadenverspannung bildet eine strenge, äußerst ästhetische räumliche
       Konstruktion, die zugleich diffus ist. Ein Effekt, den die Künstlerin
       beabsichtigt hat. Bewusst hat sie weiße Fäden ausgewählt, die vor den
       weißen Wänden ins Flimmern geraten.
       
       Das Legen der Verstrickungen bezeichnet Melsheimer als „Raumabtastung“.
       Mithilfe des alten Grundrisses der heutigen Galerieräume zeichnet ihre
       Fadenverspannung etwa die Rundung einer Wand des ehemaligen Brunnenzimmers
       nach, das es längst nicht mehr gibt. Sie kreiert einen neuen, dritten Raum,
       der die beiden anderen verbindet. Kaum sichtbar, wirkt dieser Raum wie ein
       Hauch, und doch ist er nicht einfach durchlässig. Die filigranen Schnüre
       besetzen Teile des Eingangsbereichs wie Stolperstricke und ziehen eine
       Grenze. „In ihrer Dünnhäutigkeit sind die Fäden ein wenig penetrant“, sagt
       Melsheimer schmunzelnd und spielt damit auf ihren leicht verschlüsselten
       Ausstellungstitel „Über die Dünnhäutigkeit von Schwellen“ an.
       
       Tatsächlich scheinen sich die Werke in dieser Schau geschickt entlang einer
       porösen Grenze zwischen Fragilität und Robustheit zu bewegen. Das trifft
       auch auf Melsheimers Betonarbeiten zu, die sich auf brutalistische Bauten
       beziehen. Anders, als der massive Baustoff vermuten lässt, besitzt der
       Brutalismus als ungeliebter Architekturstil auch eine dünne Haut. Er wird
       zwar in einigen Architektenkreisen verehrt, und auch Melsheimer gefallen
       Betongebäude besonders gut – sie begeisterte sich bereits als Jugendliche
       für die moderne Hochhauswohnung der besten Freundin, im Gegensatz zum
       elterlichen Fachwerkhaus –, aber die Betonfestungen der Nachkriegsjahre
       leiden an einem Akzeptanzproblem. Momentan sind selbst Ikonen des Baustils
       akut vom Abriss bedroht.
       
       ## Bedrohte Spezies Beton
       
       Melsheimer nimmt sich der bedrohten Spezies an: Bewusst beziehen sich ihre
       gezeigten Betonobjekte und Gouachen nur auf abgerissene Gebäude dieser
       Stilrichtung. Dazu zählen etwa die Iwata Girls High School von Arata
       Isozaki in Japan, ein Kuhstall von Franz Kießling in Bayern oder das
       Southgate Estate, ein Wohnungsbauprojekt von James Stirling in
       Großbritannien. Während die Gouachen komplette Gebäudeansichten zeigen,
       greifen die Sichtbetonskulpturen – deren Formensprache aus reinen
       geometrischen Körpern besteht – immer nur ein ausgewähltes Fassadenelement
       auf, das Melsheimer im verkleinerten Maßstab abgegossen hat. Unter dem
       Titel „Possibility of a Ruin“ lassen die Gebäudefragmente die längst
       zerstörten Architekturen als imaginäre Ruinen wiederauferstehen.
       
       So stark der Bezug zur Realität in Melsheimers Kunst sein mag, erschafft
       sie immer auch fiktive Welten, die oft etwas Fantastisches haben. Sie hat
       jedes Betonmodell mit einem Innenleben versehen. In dem grauen Ambiente
       stehen kleine grüne Gitterskulpturen aus Ton, deren
       experimentell-abstrakter Charakter keine eindeutige Zuordnung erlaubt. Für
       die Künstlerin deuten sie auf Bewohner hin und hauchen den verstoßenen
       Gebäuden wieder etwas Leben ein. In den Gouachen würdigt sie die
       ungeliebten Betonarchitekturen mit einer anderen Strategie. Hier schweben
       die Bauten isoliert durchs Weltall oder sind umgeben von mysteriösen
       Kristallen in leuchtenden Farben.
       
       Ähnlich kristalline Formen tauchen in einer orangeroten Kraterlandschaft
       auf, die Melsheimer in einer Keramikskulptur verwendet. Die feurige
       Berglandschaft steckt in einer grauen Schatulle, die sich auf einen
       Couchtisch mit integrierter Schnapsbar von Aldo Tura bezieht. Melsheimer
       zeigt eine Reihe solcher Keramiken, die sie liebevoll als „postmoderne
       Katastrophen“ bezeichnet. Die Objekte kokettieren mit der Dekadenz
       postmoderner Möbelstücke – einige wirken wie Architekturmodelle, deren
       Statik ins Wanken geraten ist, rechtwinklige Formen biegen sich durch,
       einige Objekte sind kurz davor einzukrachen. Ton ist ein eigenwilliges
       Material, und genau das gefällt Melsheimer.
       
       Bis 16. April, Galerie Esther Schipper, Di.–Sa. 11–18 Uhr
       
       31 Mar 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julia Gwendolyn Schneider
       
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