# taz.de -- „Journal of Interrupted Studies“: Forschen, fliehen, schreiben, hoffen
       
       > In Oxford geben geflüchtete Akademiker eine Zeitschrift heraus. Noch
       > erfüllt das Journal nicht alle wissenschaftlichen Standards.
       
 (IMG) Bild: Universität in Addis Abeba (Äthiopien). Ein wissenschaftlicher Job bedeutet, auch die Regierung zu unterstützen.
       
       Natürlich könnte er auch ohne sie überleben. Aber ohne politische Ökonomie
       und Staatstheorie wäre es hart für Mesfin Mulugeta Woldegiorgis. Vor gut
       einem Jahr ist der 33-Jährige aus Äthiopien nach Deutschland geflohen. In
       seiner Heimat war er in der Opposition aktiv und hatte die Regierung in
       Artikeln und im Rahmen seiner Lehrtätigkeit an der Hawassa-Universität
       kritisiert. So lange und so scharf, bis ihm ein Gerichtsprozess und Folter
       drohten. Er ließ Land und wissenschaftliche Karriere zurück.
       
       Doch jetzt bekommt der junge Wirtschaftswissenschaftler mit einem Bachelor-
       und zwei Masterabschlüssen eine neue Chance, wieder zu veröffentlichen. Und
       die kommt gerade aus Oxford, dem Inbegriff exklusiver Bildungselite. Dort
       hat ein Team um den deutschen Studenten Paul Ostwald im vergangenen Sommer
       das Journal of Interrupted Studies gegründet. Ab Juni soll die akademische
       Zeitschrift gedruckt und online erscheinen. Einen inhaltlichen Schwerpunkt
       hat das Magazin nicht, sondern einen formellen: Die Artikel stammen
       ausschließlich von geflüchteten und im Exil lebenden AkademikerInnen.
       
       Mulugeta Woldegiorgis steuert zwei Aufsätze zur Erstausgabe bei: einen zu
       wirtschaftlichen Optimierungsprozessen in Afrika südlich der Sahara, einen
       weiteren zu Demografie und Immigration in Deutschland. Er hofft: Das
       Journal, das so „einfach zugänglich ist für geflohene Wissenschaftler“ wie
       ihn, könnte ihm helfen, endlich zu promovieren – in Deutschland. Ein
       TV-Talk hatte Paul Ostwald zu dem Projekt inspiriert. Mitten im Sommer der
       offenen Grenzen kam „Hamid, der Flüchtling“ gerade mal drei Minuten bei
       „Maischberger“ zu Wort. Danach wurde über ihn gesprochen, nicht mit ihm.
       „Bieder und schade“ fand Ostwald das. Er wollte Geflüchteten ihre Stimme
       zurückgeben, sie aus der Mitleidsecke herausholen, wollte weg vom
       „eurozentrischen Blick“.
       
       Dafür setzt der 19-Jährige auf die Wissenschaft. „Jeder kann das tun, wo er
       gut drin ist. Das, was er geben kann.“ Ostwald studiert in Oxford den
       Bachelorstudiengang Philosophie, Politik und Wirtschaft. Um Aufsätze für
       das englischsprachige Journal zu sammeln, startete er mit zwei Freunden,
       einem Kommilitonen und einem Historiker, über soziale Netzwerke und
       ehrenamtliche HelferInnen einen Aufruf, Artikel für das Journal
       einzusenden.
       
       ## Mehr Chancen auf Promotion in Deutschland
       
       Mesfin Mulugeta Woldegiorgis erreichte er über den Frankfurter Verein
       Academic Experience Worldwide, der sich für die Integration von
       geflüchteten AkademikerInnen einsetzt. Für den Äthiopier war klar, dass er
       dem Journal Vorschläge einreichen wird. Aktuell kann er an der
       Goethe-Universität Frankfurt Kurse belegen. Ebenso wie 31 andere
       Geflüchtete, die vom neuen Academic Welcome Program profitieren. Für einen
       Monat arbeitet Woldegiorgis zudem als wissenschaftliche Hilfskraft für ein
       Forschungsprojekt zu Afrika südlich der Sahara.
       
       Damit ist der Äthiopier nicht viel weiter als andere Geflüchtete. An vielen
       deutschen Hochschulen können Asylsuchende nur als Gasthörer Kurse besuchen.
       Prüfungen können sie oft nicht ablegen. Ein „richtiges“ Studium ist nur für
       diejenigen möglich, die ausreichende Deutschkenntnisse, einen dem Abitur
       gleichgestellten Schulabschluss, Originalzeugnisse aus ihrem Heimatland
       sowie einen Aufenthaltstitel vom Bamf vorlegen können.
       
       Deshalb wartet auch für Mulugeta Woldegiorgis nach Abschluss des
       Willkommensprogramms an der Frankfurter Uni keine Doktorandenstelle. Doch
       vielleicht, so hofft er, hat eine Publikation in dem Journal aus Oxford
       Gewicht bei einer Bewerbung.
       
       Sehr nah schien die Promotion vor einem Jahr, als er in Äthiopien ein
       staatlich bezuschusstes Angebot erhielt, in Kooperation mit der
       muslimischen Universität Aligarh in Indien. Doch er lehnte ab: „Dadurch
       hätte ich mich verpflichten müssen, für die Regierung zu arbeiten.“
       Unmöglich für sein politisches Gewissen.
       
       ## Auf das Exposé kommt es an
       
       Seine Hoffnung setzt er nun auf zwei hessische ProfesorInnen: Alexander
       Ebner, Professor für politische Ökonomie und Wirtschaftssoziologie an der
       Universität Frankfurt, und Regina Kreide, Professorin für politische
       Theorie und Ideengeschichte an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Kreide
       engagiert sich in Frankfurt bei Academic Experience Worldwide, wo sie
       Mulugeta Woldegiorgis kennengelernt hat.
       
       Bald wird er sein Exposé einreichen. Vor allem darauf wird es letztlich
       ankommen, ob er in Deutschland seinen Doktortitel macht – und nicht so sehr
       auf veröffentlichte Artikel im Journal. Für die Universitäten macht es
       prinzipiell keinen Unterschied, ob jemand als internationaler Student aus
       Ghana kommt oder als Flüchtling aus Äthiopien. Vorausgesetzt, er erfüllt
       die formalen Kriterien.
       
       Auch seitens der zuständigen Ausländerbehörde in Frankfurt darf der junge
       Mann prinzipiell seine Doktorarbeit schreiben. Falls sein Asylantrag jedoch
       abgelehnt werden sollte, würde ihn auch das nicht vor einer Abschiebung
       schützen. So oder so wird Mesfin Mulugeta Woldegiorgis seinen
       Themenvorschlag einreichen.
       
       ## Noch fehlen 500 Euro
       
       Zunächst werden seine Artikel im Juni im Journal of Interrupted Studies
       erscheinen – vier Monate später als ursprünglich geplant. Denn zusammen mit
       der sommerlichen Willkommenseuphorie verpufften auch zwei in Aussicht
       gestellte Finanzspritzen. Für die ursprünglich geplante Auflage von 1.000
       Heften fehlen derzeit noch 500 Euro. Doch Initiator Paul Ostwald, der
       gleichzeitig auch Verleger ist, gibt sich „unheimlich optimistisch, was das
       Finanzielle angeht“.
       
       Notfalls springt die Uni Oxford mit einem Zuschuss zu den Druck- und
       Versandkosten ein. Das aber, sagt Ostwald, ist ihm eigentlich nicht recht.
       „Wir wollen keine Institution, die uns sponsert, sondern wollen zeigen,
       dass die Zivilgesellschaft interessiert ist.“ Außerdem sei in Oxford „alles
       sehr bürokratisch, und die Uni würde sehr viel Einfluss nehmen“.
       
       Aktuell führt er Gespräche mit der Studienstiftung des Deutschen Volkes und
       mit privaten SponsorInnen, um die akademische Zeitschrift künftig viertel-
       bis halbjährlich herausgeben zu können. Dann könnte der Fokus noch stärker
       auf akademischen Inhalten liegen. Für die erste Ausgabe ist das
       Themenspektrum breiter, auch persönliche Geschichten sind darunter. Denn
       auch manche geflüchteten AkademikerInnen wollten über ihre Flucht
       schreiben. Und weil das Journal ja gerade für Offenheit steht, finden auch
       sie ihren Platz. Um die Texte möglichst authentisch zu halten, werden
       außerdem nur Grammatik und Rechtschreibung verbessert.
       
       ## Die Hälfte der AutorInnen kommt aus Deutschland
       
       Interessanterweise kommen sowohl über die Hälfte der AutorInnen und fast
       alle SponsorInnen aus Deutschland. Nicht nur wegen Paul Ostwalds Kontakten,
       sondern weil das Thema Flucht und Asyl in der englischen Realität „noch
       nicht wirklich angekommen ist“, wie Ostwald glaubt. Ein paar seiner
       KommilitonInnen seien nach Calais gefahren, um Geflüchteten zu helfen,
       ansonsten sei das Thema „im verschlafenen Dörfchen Oxford“ aber noch „weit
       weg.“
       
       Nicht so in Deutschland. Mulugeta Woldegiorgis schwärmt von „hilfsbereiten
       und respektvollen“ Menschen: „Sobald sie etwas Intellekt und Visionen in
       uns erkennen, wollen sie uns helfen, diese Qualitäten nicht zu verlieren.“
       Diesen Anspruch hat auch das neue Journal aus Oxford. Der wissenschaftliche
       ist nachrangig.
       
       1 Apr 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Astrid Ehrenhauser
       
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