# taz.de -- Mensch gegen Maschine: Google Computer führt 2:0
       
       > In der südkoreanischen Hauptstadt tritt der Go-Meister gegen einen
       > Google-Computer an. Doch auch im zweiten Match besiegt die Maschine den
       > Menschen.
       
 (IMG) Bild: Auch beim zweiten Spiel hat Go-Spieler Lee Sedol (r.) keine Chance
       
       Seoul taz | Der große Ballsaal im Four Seasons Hotel, 500 Journalisten in
       Lauerstellung, es ist still wie auf einer Beerdigung. Lee Sedol betritt den
       Raum, den Blick gen Boden gerichtet, den gebrochenen Stolz einer ganzen
       Nation auf den Schultern. Das Lebenswerk des koreanischen
       Jahrhundertgenies: zugrundegerichtet in 186 Spielzügen. „Wir sind alle
       schockiert“, leitet ein Kommentator die Pressekonferenz nach dem ersten von
       fünf angesetzten Spielen ein.
       
       Doch es kommt noch schlimmer: Denn auch das zweite Match wird der
       33-Jährige nicht gewinnen. In Situationen wie diesen, behaupten Kenner des
       Sports, sei das Go-Wunderkind, das bereits mit zwölf Jahren seine
       Profikarriere begann, am stärksten. Lee Sedol sagt: „Ich habe das Spiel
       genossen.“
       
       Dennoch ist am Mittwoch genau jener „historische Augenblick für die
       Menschheit“ eingetreten, wie ihn Google-Gründer Eric Schmidt bereits am
       Vortag unter dem Blitzlichtgewitter der Fotografen hervorgesagt hat: Eine
       Computer-Software hat den wohl besten Go-Spieler der Welt besiegt. Selbst
       kühne Optimisten hätten diesen Meilenstein in der künstlichen Intelligenz
       frühestens in fünf bis zehn Jahren für möglich gehalten.
       
       Der mit einer Million US-Dollar dotierte Wettkampf ist in seiner Symbolik
       wohl nur mit jenem historischen Spiel vor 20 Jahren vergleichbar, als der
       IBM-Computer Deep Blue den Schachweltmeister Garry Kasparow in die Knie
       gezwungen hat. Dabei lag damals die Intelligenz der Software ausschließlich
       in den Köpfen seiner Programmierer. Deep Blue folgte blind seinen
       auferlegten Regeln, lernen konnte die Software nicht. An einem
       professionellen Go-Spieler wäre sie haushoch gescheitert.
       
       Das jahrtausendealte Brettspiel aus China ist um ein Vielfaches komplexer
       als Schach: Auf dem Raster aus 19 mal 19 Feldern sind mehr
       Spielkonstellationen möglich, als es Atome im Universum gibt. Reines
       Durchprobieren aller Varianten stößt bei Go daher an seine Grenzen, zumal
       ein gesetzter Stein oftmals erst nach Dutzenden weiteren Spielzügen seine
       Wirkung entfaltet. Selbst die versiertesten Spieler müssen sich letzten
       Endes auf ihre Intuition verlassen.
       
       Dass ein Computer solch menschliche Fähigkeiten meisten würde, klang
       jahrzehntelang nach ferner Zukunftsmusik – bis die Entwickler des Londoner
       Start-ups DeepMind antraten, eine der letzten Bastionen der menschlichen
       Überlegenheit zu erklimmen. Vor weniger als zwei Jahren begannen sie mit
       ihrer Arbeit an AlphaGo, einem Computer, der lernt. Eigenständig lernt.
       
       ## AlphaGo wird gefüttert
       
       „Die meisten Leute im Bereich künstliche Intelligenz waren damals nicht
       sonderlich an Neurowissenschaft interessiert. Wir von DeepMind stimmen
       jedoch alle überein, dass das menschliche Gehirn ein Beleg dafür ist, dass
       man Intelligenz nachbilden kann“, sagt Forscher Thore Graepel. Als ersten
       Schritt fütterten die Entwickler AlphaGo mit den Datensätzen von tausenden
       Go-Spielen.
       
       Anschließend spielte die Software mehr als 30 Millionen Matches gegen sich
       selbst. So hat das System auf Grundlage der Datenmenge Gewinnstrategien
       erlernt, Wahrscheinlichkeitsverteilungen für die erfolgversprechendsten
       Spielzüge errechnet. Je mehr Zeit AlphaGo hat, desto besser wird es. Die
       Software funktioniert wie das neuronale Netzwerk eines menschlichen
       Gehirns.
       
       Der Mastermind hinter DeepMind ist Demis Hassabis, Sohn eines zyprischen
       Einwanderers. Mit fünf Jahren trat der Brite bereits bei nationalen
       Schachwettbewerben an, mit 16 entwickelte er während seines „Sabbaticals“
       das Computerspiel „Theme Park“, welches sich millionenfach verkaufte, und
       das Informatikstudium in Cambridge schloss der heute 38-Jährige mit
       Auszeichnung ab.
       
       Hassabis ist der festen Überzeugung, dass sich die großen Fragen der
       Menschheit nur mit Hilfe künstlicher Intelligenz lösen lassen werden.
       Klimaprobleme, Börsenentwicklungen, Krankheitsforschung: alles Bereiche, in
       denen die Menge an verfügbaren Daten und deren Zusammenhänge die
       Kapazitäten des menschlichen Gehirns überfordern.
       
       ## Google steigt ein
       
       Sein 2010 gegründetes Startup DeepMind verkauft er vier Jahre später an
       Google, es ist die bis dato größte Investition des Internetriesen in
       Europa. Die Kalkulation dahinter: Die finanziellen Ressourcen der
       Amerikaner würden Hassabis den nötigen Freiraum bieten, um sich ganz auf
       seine Forschung zu konzentrieren. Das Ziel von DeepMind lautet: „solve
       intelligence“ – Intelligenz zu lösen. Wenn man dem Briten zuhört, scheint
       es nur mehr eine Frage der Zeit, bis Maschinen auch ein menschliches
       Bewusstsein entwickeln.
       
       Darüber wird jedoch noch heftig gestritten: Erst vor drei Tagen meinte
       Fei-Fei Li, Professorin für Computerwissenschaft an der Stanford
       University, heutige Maschinen seien derzeit „näher an einer Waschmaschine
       denn an einem Terminator“. Stephen Hawking warnte hingegen in einem offenen
       Brief vom Januar 2015: „Es ist denkbar, dass solche Technologien unsere
       Finanzmärkte austricksen, menschliche Forschung abhängen, Führungsspitzen
       manipulieren und Waffen entwickeln, die wir nicht einmal begreifen werden.“
       
       Um menschliche Intelligenz zu definieren, ziehen die wenigsten
       KI-Wissenschaftler philosophische Kategorien heran. Am konsensfähigsten hat
       sich der bereits 1950 entwickelte Test des britischen
       Computerwissenschaftlers Alan Turing herausgestellt: Dafür muss man sich
       zwei Gesprächspartner vorstellen, die – getrennt durch eine Wand – über
       eine Tastatur kommunizieren. Auf der einen Seite ein Mensch, auf der
       anderen Seite ein Computer. Sollte es nun eine Software schaffen, ein
       willkürliches Gespräch – etwa über Politik oder das Wetter –
       aufrechtzuerhalten, ohne als künstliches System aufzufallen, dann hat sie
       ein „menschliches Bewusstsein“ erlangt.
       
       ## „Technologie ist nie neutral“
       
       „Das halte ich für ausgeschlossen – zumindest in unserem Jahrhundert“, sagt
       Raul Rojas, der an der FU Berlin Künstliche Intelligenz lehrt und derzeit
       eine Gastprofessur an der Universität Nevada innehält. Gleichzeitig begrüßt
       Rojas staatliche Regulierungen: „Technologie ist nie neutral. Künstliche
       Intelligenz bietet einen riesigen Anwendungsbereich – für das Gute und das
       Böse.“
       
       Als das zweite Spiel zwischen Lee Sedol und AlphaGo am Donnerstag beginnt,
       sprechen die Kommentatoren schon bei der Eröffnung mehrmals von „bizarren“,
       „überraschenden“ und „kreativen“ Spielzügen, die nicht von einem Menschen
       stammen könnten. Ob es sich dabei um Fehler oder Geniestreiche handelt,
       vermögen sie nicht zu sagen. Nach der Hälfte des Spiel deutet sich bereits
       an: Lee Sedol wird auch diesmal verlieren.
       
       Er hält zwar dagegen, es ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen bis zur Nachspielzeit.
       Doch später sagt der Südkoreaner: „Gestern war ich überrascht, aber heute
       bin ich einfach nur sprachlos. Ich hatte zu keiner Sekunde das Gefühl, zu
       führen.“
       
       10 Mar 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Fabian Kretschmer
       
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