# taz.de -- Die Wahrheit: Der homosexuelle Mann
       
       > … hat viel zu trauern und zu gedenken in diesen Wochen und Monaten. Die
       > Reihe der denkwürdigen Ereignisse begann am 1. Februar mit dem 10.
       > Todestag von Hildegard Knef.
       
 (IMG) Bild: Auch beim zweiten Spiel hat Go-Spieler Lee Sedol (r.) keine Chance
       
       Der 27. Februar war dann der Tag, an dem Elizabeth Taylor 80 Jahre alt
       geworden wäre; am 3. Mai gedachten wir des Freitodes von Dalida vor 25
       Jahren; und am 6. Mai vor 20 Jahren starb Marlene Dietrich; am 10. Juni
       schließlich folgt der höchste Feiertag für all jene Schwulen, die vor dem
       militanten Aufstand in New Yorks Christopher Street geboren wurden: Judy
       Garland wäre 90 geworden an diesem Tag.
       
       Lauter glamouröse Diven, die auch Jahre über ihren Tod hinaus immer noch
       die Heroinen, die Idole schwuler Männer sind. Aber warum beten die Schwulen
       niemanden an unter ihresgleichen? Andy Warhols 25. Todestag beispielsweise
       war am 22. Februar; am 10. Juni vor 30 Jahren starb Rainer Werner
       Fassbinder an zu viel Koks, Schlaftabletten und Alkohol; und den 100.
       Geburtstag von Alan Turing, einem der Wegbereiter des Computers, gäbe es zu
       feiern am 23. Juni, hätte er nicht bereits 1954 seinem Leben ein Ende
       gesetzt, nachdem er wegen seiner Homosexualität zu einer Hormonbehandlung
       verurteilt worden war. Doch nein – schwule Männer taugen nicht zur
       hysterischen Verehrung, sind sie der eigenen Andersartigkeit doch zu nah.
       
       Da geben die Diven mehr her, zu ihren Lebzeiten jederzeit verfügbar und
       doch in gebührender Distanz auf Bühne oder Leinwand. Sie haben ein Leben
       gelebt, immer im Scheinwerferlicht und geliebt von Millionen und wurden nie
       glücklich dabei, verlassen von Männern, von ihnen betrogen, beklaut und
       nicht geachtet. Und doch haben sie nie aufgegeben, jede Niederlage verlieh
       ihnen neuen Glanz. Nein, diese Frauen strebten nicht nach Küche und nicht
       nach Kindern, ihr Platz war überirdisch angesiedelt, da, wo nur wenige
       hingelangen.
       
       Deshalb fühlten und fühlen sich schwule Männer ihnen so verbunden. Weil sie
       doch auch immer nur dem kleinen Glück mit dem einen Mann hinterherhetzen,
       dabei genau so oft stolpern und lang hinschlagen, um dann wieder
       aufzusteigen wie Phönix aus der Asche.
       
       Das bisschen Glorienschein, das ihnen dann noch fehlt, leihen sie sich aus
       von ihren Ikonen. Sie sitzen dann ganz allein zu Hause auf ihrem Sofa,
       greifen kräftig in die Bonbonniere und fühlen sich ebenso millionenfach
       geliebt und verehrt trotz alledem wie die Halbgöttinnen vor ihnen auf dem
       Bildschirm oder aus der Lautsprecherbox.
       
       Wenn unsere Leitbilder „dankenswerterweise tot, mausetot“ sind, hat der
       Schriftsteller Detlev Meyer in seinem „Pamphlet gegen den Götzendienst“
       einst gefragt, „darf man daraus schließen, unsere Idole hätten Verstorbene
       weiblichen Geschlechts zu sein?“ Fragen über Fragen: „Beten wir
       Frauenleichen an, weil wir vom lebendigen Mann enttäuscht sind? Sind wir
       eher nekrophil als homophil?“ Oder, und dieser Frage müssen wir uns
       unbedingt anschließen, ohne selbst auch nur eine schlüssige Antwort darauf
       zu finden: „Haben wir eigentlich noch alle Tassen im Schrank?“
       
       8 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Elmar Kraushaar
       
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