# taz.de -- Die Wahrheit: Ein bunter Wald an Wahlplakaten
       
       > In einer satten und stolzen Stadt tief im Westen finden demnächst Wahlen
       > statt. Putzig und rührend unbeholfen werben die Parteien für sich.
       
       Eine der wirklich goldenen Regeln des Motorradfahrens ist deswegen golden,
       weil sie auch für das Leben gilt. Die Regel lautet: Der Blick leitet die
       Fahrt. Konzentriere ich mich auf das Schlagloch, fahre ich unweigerlich
       hinein. Fixiere ich jetzt den frischen Kuhfladen dort vorne in der Kurve,
       wird mir darin gleich der Vorderreifen wegrutschen. Darum möchte ich die
       Aufmerksamkeit gern ein wenig von dem mit Kuhfladen gefüllten Schlagloch
       ablenken, als das sich derzeit Sachsen präsentiert. Fast ist es, als warte
       das übrige Deutschland nur auf einen weiteren Karl den Großen, um in
       Ostelbien christliche Ideale mit dem Schwert zu verbreiten.
       
       Versuchsweise sei der Blick umgekehrt und tief in den Westen gelenkt, wo in
       einer satten, stolzen und unzerbombten Stadt zwischen Rhein und Main
       demnächst Wahlen anstehen. Hier scheint die Welt, was sie niemals war,
       nämlich in Ordnung. Die Wirtschaft brummt, dass der Boden vibriert. Die
       Denkmäler räkeln sich klassizistisch in der Sonne. Die Flugzeuge aus
       Frankfurt machen einen respektvollen Bogen um den Luftraum. Sogar die
       Flüchtlinge sind längst angekommen in örtlichen Turnvereinen, die einst zur
       Züchtung preußischer Soldaten gegründet wurden.
       
       Entlang der Verkehrsachsen ist nun ein bunter Wald an Wahlplakaten
       emporgeschossen, um den ein Streit entbrannt und auch schon wieder
       erloschen ist. Die CDU warf der SPD vor, zu früh mit dem Plakatieren
       begonnen und sich damit einen „Standortvorteil“ verschafft zu haben. So,
       als beschwere sich im richtigen Wald die Fichte bei der Kiefer, weil sie
       ihr das Licht wegnimmt. Die Kinder kümmert es nicht, sie sagen: „Uns stören
       alle Gesichter, wir würden gerne wieder die Stadt sehen.“
       
       Tatsächlich sind die Plakate so drollig wie die Verhältnisse. Die CDU setzt
       ganz auf großflächig mit Photoshop behandelte Männergesichter, bei denen
       nur die untere Zahnreihenruine in patentiertem Joachim-Gauck-Gelb
       naturbelassen ist. Die SPD zeigt ihr Personal in intensivem Selbstgespräch,
       sogar der bombastische Backenbart des Spitzenkandidaten leuchtet rot über
       den Bahnhofsvorplatz. Die Grünen setzen ganz auf Piktogramme, etwa zur
       Abwehr des Rechtsextremismus.
       
       Drängendstes Problem der Stadt scheinen die Windräder zu sein, die auf dem
       Hauptkamm des angrenzenden Mittelgebirges entstehen sollen. FDP-Kandidaten
       tragen alle Bauhandschuhe, als ob sie „es“ gern „anpacken“ wollen. Dabei
       sehen sie aus, als hätten sie nie im Leben auch nur einen Sack Zement
       getragen. Aber Bauhandschuhe! Fortschrittlichkeit signalisieren sollen
       Klapp- oder Tafelrechner, die mit Bauhandschuhen garantiert nicht zu
       bedienen sind. Eine entzückende Bild-Bild-Schere, die selbst Achtjährigen
       auffällt. Nur der FDP nicht. Deshalb ist es ja die FDP. Jene Krätze, nach
       deren Verschwinden der Krebs kam.
       
       Es sind Wahlplakate von rührender Unbeholfenheit und wie aus einer anderen
       Zeit. Ich kann gar nicht mehr aufhören, sie mir anzusehen. Ich schaue ganz
       genau hin, konzentriert und aufmerksam. Vielleicht hilft’s.
       
       26 Feb 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Arno Frank
       
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