# taz.de -- Vorwahl im US-Staat New Hampshire: Die Hoffnung auf eine Revolution
       
       > Bernie Sanders punktet mit einem unerwarteten Rockstarmoment. Doch auch
       > Clinton kann überzeugen: mit Empathie und Nähe.
       
 (IMG) Bild: Hillary holt in Manchester, New Hampshire, ganz bodenständig ihren Kaffee selbst ab.
       
       New Hampshire taz | Die Turnhalle im „Great Bay Community College“ in
       Portsmouth im Südosten New Hampshires hat nichts Glamouröses. Der Boden ist
       frisch gewienert, doch ansonsten strahlt die Halle den Charme von
       drittklassigen Basketballspielen und altem Schweiß aus. Unterschwellig
       riecht man ihn schließlich auch, nachdem hunderte Menschen zwei Stunden
       lang auf einen Mann warten, der ihnen dann in dieser öden Turnhalle einen
       unerwarteten Rockstarmoment liefert und sie die schlechte Luft und die
       unbequemen Bänke vergessen lässt.
       
       Bernie Sanders betritt die Bühne, winkt, beginnt seine Rede, hält inne,
       zieht sich erst einmal das Sakko aus und wirft es einer jungen
       Unterstützerin hinter sich auf der Bühne zu, die es begeistert auffängt. Da
       ist er, der Rockstarmoment und Sanders muss selbst darüber lachen, wie
       enthusiastisch die Menge darauf reagiert. Dann krempelt er die Ärmel des
       weißen Oberhemds und des blauen Pullovers noch ein bisschen nach oben,
       schließlich geht es hier um Inhalte – Gesundheitsversorgung, Mindestlohn,
       Wall Street. Also los jetzt, die Zeit ist knapp, es wird nicht die letzte
       Veranstaltung für Sanders sein an diesem Tag.
       
       In Portsmouth bejubeln die ZuhörerInnen die kleinen Gesten wie die großen
       Ideen, mit denen der 74-Jährige Hillary Clinton bei den Vorwahlen in New
       Hampshire am Dienstag schlagen will. Vertraut man den Umfragen, hat Sanders
       beste Chancen, genau das zu schaffen. Vor allem bei jungen WählerInnen ist
       Sanders gegenüber Clinton im Vorteil. Beim Caucus in Iowa am vergangenen
       Montag schlug er seine innerparteiliche Konkurrentin in der Altersgruppe
       der 17- bis 29-Jährigen um 70 Prozent. Einen derartigen Abstand erzielte
       nicht einmal Barack Obama 2008 gegenüber Clinton.
       
       Der 16-jährige KC Miller ist mit seiner Mutter über sechs Stunden aus
       Pennsylvania angereist, um Sanders einmal live zu erleben und seine
       Kampagne zu unterstützen. Seine Mutter Victoria hat sich freigenommen, er
       sich nach langen Verhandlungen freie Tage in seinem Internat erkämpft, um
       bis zur Vorwahl an Türen zu klopfen, WählerInnen anzurufen, einfach zu
       helfen. „Das hier ist viel wichtiger als zwei Tage Schule“, sagt er. Und
       wenn KC beschreibt, warum ihn ein älterer Mann mit weißem Haar, der mit
       schwarz-weiß Fernsehen statt mit Twitter groß geworden ist, so begeistern
       kann, sagt er das, was so viele in Sanders sehen: authentisch sei er,
       konsequent in seinen Inhalten und überhaupt, KC ist überzeugt: „Amerika
       braucht das hier, diese Revolution.“
       
       ## Die Frauenkarte zieht nicht mehr
       
       Cathleen steht neben KC und nickt. Die 37-Jährige ist aus Boston gekommen,
       eine Reise nicht ganz so weit wie die von KC, aber sie steht aus den
       gleichen Gründen wie er in einem Bernie-T-Shirt in einer der vorderen
       Reihen vor der Bühne, von der Sanders später über die Reform von
       Wahlkampfspenden und Universitäten ohne Studiengebühren sprechen wird.
       „Bernie tut das hier für Amerika. Hillary tut es nur für sich selbst.“
       Cathleen nimmt Clinton ihre Rolle nicht ab, zu oft habe sie mal so und dann
       wieder so entschieden. Sanders hingegen sei ehrlich, inspirierend und ja:
       authentisch. Clinton zu unterstützen, nur weil sie eine Frau ist, das ist
       Cathleen zu einfach. Die Frauenkarte schreckt sie eher ab. Für Cathleens
       Mutter Kathie wäre die erste Frau im Weißen Haus absolut bedeutend. „Ich
       will das unbedingt noch erleben. Deswegen könnte ich Clinton meine Stimme
       hinterherwerfen, aber es wäre der falsche Schritt.“
       
       Eine andere Turnhalle, der Boden nicht so glänzend, die Luft besser. Es
       drängen sich nur ein paar Dutzend Menschen vor der niedrigen Bühne, auf der
       Hillary Clinton kurz auftaucht, winkt und verspricht, nach ihrer Rede noch
       einmal zum Hände schütteln wiederzukommen. Die Rede hält sie in der
       Cafeteria der „Middle School“ in Concord, sie ist nicht groß genug für
       alle, die gekommen sind, um Clinton zu hören. Deswegen dröhnt ihre Stimme
       später übersteuert aus großen Lautsprechern in die angrenzende Turnhalle.
       Begeisterung hört sich anders an. Die 25-jährige Kara bleibt mit ihren zwei
       Freundinnen trotzdem. Sie ist noch unentschlossen, wem sie am Dienstag ihre
       Stimme geben soll und will Argumente hören.
       
       Und kaum irgendwo haben die WählerInnen eine größere Chance, so nah an die
       Kandidatinnen heranzukommen wie in New Hampshire, der „first of the nation
       primary“, wie es hier stolz heißt. Der ersten Vorwahl nach dem Caucus in
       Iowa. Auch, wenn in New Hampshire noch nichts entschieden wird hofft
       Clinton trotz der Umfragen noch auf ein starkes Ergebnis. Sanders wiederum
       könnte mit einem Sieg die ganze Dynamik der demokratischen Vorwahlen
       verändern, von denen lange alle dachten, dass es eine einsame Clinton-Show
       werden würde.
       
       Kara könnte sich vorstellen, Clinton zu unterstützen, weil sie große
       Erfahrung in der Außenpolitik mitbringt. Für sie ein wichtiges Thema, bei
       dem sie Sanders nicht so viel zutraut. An ihm mag sie wiederum seine Pläne,
       gegen die soziale Ungleichheit in der Gesellschaft vorzugehen. Die
       studierte Biologin hat eine Stelle im staatlichen Gesundheitswesen und in
       ihrem Job fast ausschließlich mit Menschen unterhalb der Armutsgrenze zu
       tun. „Ich hatte Glück“, sagt sie. Sie fand nach ihrem Abschluss eine Stelle
       und kann ihre Studienkredite Stück für Stück abzahlen.
       
       ## Mit Empathie und Nähe
       
       Viele andere ihrer KommilitonInnen hatten nicht so viel Glück. Sie
       graduierten in einer Zeit, in der die Regierung die Banken vor dem Bankrott
       rettete, die die größte wirtschaftliche Krise seit der großen Depression in
       den 1930er Jahren ausgelöst hatten. Ein System, das Sanders immer wieder
       angreift und verspricht, das Geschäftsgebaren der Wall Street zu
       durchbrechen. Für Kara ein Hauptgrund, warum viele junge Leute dem Mann
       applaudieren, den ihre Freundin und Kollegin Jillian „den Mann in den
       zerknitterten Anzügen“ nennt. Jillian hat sich anders als Freundin Kara
       fast schon gegen Sanders entschieden. Drei Mal hat sie sie live gesehen,
       sie mag ihre Reden und die Idee, dass sie die nächste Präsidentin der USA
       wird. Selbst, wenn Clintons Präsenz über die Lautsprecher in der Turnhalle
       in Concord nicht so sehr verfängt.
       
       Zwanzig Autominuten entfernt in Henniker gelingt das besser. In der Halle
       des kleinen „New England College“ ist die Atmosphäre distinguierter, die
       Musik leiser. Der Teppichboden dämpft die Gespräche, unter hohe Decken und
       viel weißem Holz sitzen eine Handvoll junger Leute. Es ist ein Town Hall
       Meeting, eine Frage-Antwort-Stunde und ein wichtiger Termin für Clinton,
       denn dort trifft sie auf die Zielgruppe, die sie gerade nicht erreicht.
       Hier sind zwar die meisten Hillary-Fans, dafür sorgen schon die
       WahlkampforganisatorInnen.
       
       Doch kontrollieren können auch sie nicht alles. Die erste Frage kommt von
       einem Studenten mit Baseballcap. „Minister Sanders...“, hebt er an. So gar
       kein Rockstarmoment. Doch da ist Clinton gut, sie fängt das mit einer
       Empathie und Nähe auf, die bei vielen ihrer Auftritte schon lange nicht
       mehr rüberkommt, weil zu viel perfekte „Clintonmaschinerie“ alles andere
       überdeckt.
       
       Der Vorteil der Dynastie Clinton: Erfahrung. Für Ana ist das wichtig. Die
       23-jährige Politikstudentin sieht in Clinton die bessere Wahl, wenn es im
       November gegen die Republikaner ums Weiße Haus geht. Moderat, erfahren,
       kann Dinge durchsetzen – das sind die Schlagworte, die für Ana wichtig
       sind. Es gibt an diesem Nachtmittag nicht eine Frage, auf die Clinton nicht
       eine kluge, vorbereitete Antwort hat.
       
       ## Für die Zukunft der Kinder
       
       In der überheizten Turnhalle in Portsmouth singt Tracy Chapman „Talkin‘
       bout a revolution“, an nichts weniger wollen sie hier glauben. Erst der
       Sieg über Clinton bei den Vorwahlen und dann welchen Kandidaten der
       Republikaner auch immer schlagen. Doch können linke Ideen wie die von
       Sanders einen Wahlkampf überleben, der in nur einer Handvoll Bundesstaaten
       mit vielen unentschlossenen Wählern entschieden wird? Wer an eine
       Revolution glaubt, der denkt nicht klein oder in Kompromissen, niemand
       zweifelt daran, dass Sanders den Weg ins Weiße Haus bis zum Ende gehen
       kann.
       
       Sie bauen darauf, denn „wir hoffen auf all das hier für unsere Kinder“,
       sagt Phil Towne, der seine 9-jährige Tochter Lulu auf den Schultern trägt,
       damit sie die Bühne besser sehen kann. Sie hat extra ein Plakat gebastelt,
       Bernie Sanders steht in Kinderkrakelschrift darauf. Jedes Mal, wenn die
       Menge die blau-weißen Wahlkampfschilder in die Höhe reckt, schwenkt Lulu
       begeistert ihr weißes Pappschild.
       
       Es war zuletzt 2008, als die Menschen in den USA an einen Wandel glaubten.
       „Change“ schrieb Barack Obama damals auf seine Wahlplakate und „hope“,
       Hoffnung. Hillary Clinton wird sich sehr ungut daran erinnern können.
       
       8 Feb 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rieke Havertz
       
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