# taz.de -- Die Wahrheit: Mensch, Reh und Geschenk
       
       > In welchem Verhältnis zueinander stehen eigentlich zwei der wichtigsten
       > Kreaturen dieses Planeten? Eine wissenschaftliche Abhandlung.
       
       Die Frage, ob der Mensch zuerst da war oder das Reh, kann und soll hier
       nicht beantwortet werden. Zudem muss wohl unentschieden bleiben, wer von
       beiden der Schlimmere ist. Zu groß sind die Gemeinsamkeiten, zu eng ist die
       Verbindung zwischen beiden. Gleichwohl gebietet es die wissenschaftliche
       Redlichkeit, genau hinzusehen und die Eigenarten von Mensch und Reh für
       kommende Generationen aufzuzeigen.
       
       Beginnen wir mit dem Reh. Die Lebensweise des Rehs wird vor allem durch die
       Nahrung bedingt. Außer den Nutzpflanzen und dem Acker verzehrt das Reh fast
       alle Bäume und Sträucher, den Wald und das Gras. Dabei trägt es
       Verdauungswerkzeuge wie das Rind zur Schau und weist infolge seines
       schädlichen Verzehrs einen breit ovalen Körperumriss auf. Es kann die Größe
       eines Omnibusses erreichen. Oft fühlt es sich unbeobachtet, sein Kopf ist
       dann meist schnauzenartig vorgestreckt. Als Raubtier profitiert das Reh von
       seiner Gewandtheit im Schwimmen, seine Bewegungen auf dem Lande sind
       trotzdem nicht schwerfällig.
       
       Und der Mensch? Was wäre über ihn zu sagen? Er ist kein echtes Wassertier,
       im Unterholz ist sein liebster Aufenthalt. Gemeinsam mit den Hühnern
       scharrt er dort, es ist ihm sein Ein und Alles. Wie das Reh benutzt er
       Schlamm und Lehm als Material für sein Nest. Da der Mensch als ein Tier des
       Waldes etwa ein Drittel seines Lebens auf festem Boden zubringt, muss ihm
       das Baumleben Schutz bieten. Von Ast zu Ast führt sein Weg bis zur Grenze
       des ewigen Lebens. Wird er entdeckt, sucht er sein Heil im Wasser.
       
       Der Mensch lebt wie das Reh, und beide wetteifern darin, möglichst großen
       Schaden anzurichten. Hier spielt das Zerfressen von allem und jedem eine
       entscheidende Rolle. Untersuchungen in der Nähe von Tilsit haben ergeben:
       Die Gebisse von Reh und Mensch sind sehr ähnlich. Deshalb meidet der Mensch
       das Reh nicht, ist vielmehr entschlossen, gemeinsam die gesamte Welt,
       einander und sich selbst, zugrunde zu richten und restlos zu verzehren.
       
       In Verfolgung dieses sehr großen Ziels ist das Reh der unentbehrliche
       Gehilfe des Menschen, sein bester Freund selbst nach dem Tode. Fast noch
       wichtiger als alles vorgenannte ist dem Menschen aber richtiges Schenken
       mit Taktgefühl. Geschenke sollen nach seiner Vorstellung möglichst den
       geheimen Wünschen nahekommen, aber auch trockene tierische Produkte sind
       heute bei vielen beliebt.
       
       Als Faustregel gilt: Kinder und Rehe vergessen durchschnittlich zehn von
       zwölf Wünschen, und bedrückende Geschenke sind sofort zu vernichten.
       Wissenschaftler in aller Welt sind sich einig darin, dass Schenken
       überfordert. Es sei, heißt es, eine schöne Regung, der man nicht nachgeben
       dürfe. Daher müsse man sich fragen: Will ich überhaupt schenken? Nicht
       selten würde man doch lieber selbst Geschenke annehmen. Menschen und Rehe
       haben es schwer mit dem gegenseitigen Beschenken. Als Mensch sollte man es
       aus diesem Grund unbedingt vermeiden. Ein Reh würde niemals etwas schenken.
       
       22 Jan 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eugen Egner
       
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