# taz.de -- Aus „Le Monde diplomatique“: Saudische Zustände
       
       > Das Ende der Scheckheftdiplomatie: Wie der Wüstenstaat mit dem sinkenden
       > Ölpreis, dem Krieg im Jemen und dem Zwist im Königshaus umgeht.
       
 (IMG) Bild: Blumen vor den Stuhl gestreut: der saudische König Salman.
       
       Während der Militärintervention der Sowjetunion in Afghanistan (1979 bis
       1989 ) beschrieb der saudische Geheimdienstchef Prinz Turki ibn Faisal den
       Beitrag seines Landes zum Dschihad gegen die Besatzer so: „Wir sind ganz
       einfach nicht in der Situation, militärische Operationen durchzuführen.
       Alles, was wir können, ist Schecks unterschreiben.“ Damals finanzierte
       Saudi-Arabien auch die Operationen seines alten Bündnispartners USA gegen
       „kommunistische“ Länder wie Angola oder Nicaragua, ohne dabei allzu viele
       Fragen zu stellen.
       
       Im zweiten Golfkrieg (1990/1991) kämpften saudische Truppen an der Seite
       der US-Armee – und einer internationalen Koalition –, um die irakischen
       Streitkräfte aus Kuwait zu vertreiben. Als US-Präsident George W. Bush im
       Januar 2001 in die Fußstapfen seines Vaters trat, setzte er das enge
       Bündnis fort. Er hatte bereits während seiner Zeit in der texanischen
       Ölindustrie enge Kontakte zur saudischen Führung geknüpft. Das änderte sich
       auch mit den Attentaten vom 11. September 2001 nicht.
       
       Bandar ibn Sultan, von 1983 bis 2005 saudischer Botschafter in den USA,
       erhielt sogar den Spitznamen „Bandar Bush“. Kritik hagelte es nur vonseiten
       der Presse und vom US-Kongress; dabei ging es um Verstöße gegen die
       Menschenrechte im Wüstenstaat und gipfelte in dem Vorwurf, Saudi-Arabien
       habe den sunnitischen Extremismus in die Welt getragen.
       
       Seit dem Amtsantritt von Barack Obama sind die Beziehungen weniger eng.
       Wiederholt haben die Saudis versucht zu zeigen, dass sie sich der
       US-Vormundschaft entziehen können, indem sie sich Frankreich,
       Großbritannien, Russland und vor allem China annäherten. Sie reisen zu
       G-20-Gipfeln und anderen internationalen Foren. Selbst die
       Scheckheftdiplomatie lässt sich inzwischen mit eigenen militärischen
       Initiativen oder massiven Einmischungen in die Angelegenheiten der
       Nachbarländer vereinbaren – vor allem wenn es darum geht, den iranischen
       Einfluss zurückzudrängen oder Riads Führungsanspruch innerhalb der
       sunnitischen Welt zu behaupten.
       
       ## Ärger über Obama und die UN
       
       Einflussreiche Mitglieder der Königsfamilie beschweren sich offen über die
       USA und unterstellen Obama Wankelmut und sogar Arglist. Die Liste der
       Vorwürfe ist lang: Der US-Präsident interessiere sich nicht mehr für den
       Nahen Osten, nur für Asien; er habe den ehemaligen ägyptischen Präsidenten
       Hosni Mubarak fallen gelassen und (zumindest am Anfang) mit dem Arabischen
       Frühling sympathisiert; er habe 2013 auf eine Intervention in Syrien
       verzichtet, obwohl das Regime von Baschar al-Assad mit dem Einsatz von
       Chemiewaffen die rote Linie überschritten hat.
       
       Und dann hat Obama auch noch mit dem saudischen Erzfeind Iran verhandelt.
       Seitdem wird in Riad geschmollt und gezürnt. So hat Saudi-Arabien nach
       seiner Wahl zum nichtständigen Mitglied des UN-Sicherheitsrats, in die es
       immerhin viel Lobbyarbeit investiert hatte, auf den Sitz verzichtet.
       Außerdem weigerte sich der saudische Außenminister Prinz Saud ibn Faisal
       vor der UN-Vollversammlung eine Rede zu halten, aus Protest gegen die
       Untätigkeit der UNO in Syrien.
       
       Obwohl der Abschluss des Abkommens zwischen dem Iran und den ständigen
       Mitgliedern im UN-Sicherheitsrat5 am 2. April 2015 abzusehen war, versetzte
       dieses Ereignis der saudischen Monarchie einen Schock. Seit der iranischen
       Revolution von 1979 herrscht zwischen den beiden Golf-Anrainerstaaten ein
       regelrechter kalter Krieg, inklusive gegenseitiger Dämonisierung.
       
       Die Rivalität zwischen beiden Ländern hatte indes schon früher begonnen:
       1972, nach dem endgültigen Rückzug der britischen Truppen aus der Region,
       basierte die Stabilität des Nahen Ostens gemäß der „Nixon-Doktrin“
       theoretisch auf der Strategie der „zwei Säulen“ Iran und Saudi-Arabien.
       Praktisch war es aber der Schah, dem die Wächterrolle zukam. Er allein
       genoss bestimmte Privilegien, wie die „Blankoschecks“, die es ihm
       erlaubten, in den USA jegliches militärische Material zu kaufen, das er
       sich wünschte; ohne irgendeine Einschränkung und ohne Kontrolle durch den
       US-amerikanischen Kongress.
       
       Die saudische Führung fürchtet nun, dass die jüngste Annäherung zwischen
       Teheran und Washington auf ihre Kosten geht. Immer wieder forderte Riad
       eine „strategische Parität“ mit dem Iran und klare Sicherheitsgarantien.
       Sobald das Iran-Abkommen unterzeichnet war, bekräftigte Obama auch erneut
       das „unerschütterliche Engagement“ seines Landes „zugunsten der Sicherheit
       seiner Verbündeten am Golf“. Er wiederholte auch sein Versprechen, im Falle
       einer „Aggression von außen“ zu intervenieren, und lud die Führer der sechs
       Staaten des Golfkooperationsrats (GCC), Saudi-Arabien, Bahrain, die
       Vereinigten Arabischen Emirate, Kuwait, Katar und Oman, im Mai 2015 nach
       Camp David ein. In seiner Wut weigerte sich der saudische König Salman, an
       dem Treffen teilzunehmen. Der USA-Besuch des Monarchen fand schließlich am
       4. September statt.
       
       Als Gegenleistung für zusätzliche Sicherheitsgarantien kehrte Saudi-Arabien
       zurück in den Schoß der einzigen Macht, die in der Lage ist, den verlangten
       Schutz vor dem Iran anzubieten. Saudi-Arabien lenkte, auch unter der
       Wirkung des Ölpreisverfalls und einer Reihe anderer Rückschläge, ein. Die
       zaghafte Emanzipation des Königreichs von den USA zuvor hatte ihren Grund
       nicht zuletzt in der Anhäufung enormer Devisenvorräte nach einem Jahrzehnt
       hoher Ölpreise gehabt. Wie die SaudiLeaks-Dokumente gezeigt haben, war
       Saudi-Arabien dadurch zu einer Regionalmacht aufgestiegen, die von allen
       Seiten umworben wurde.
       
       ## Erkaufter sozialer Frieden
       
       Seine Scheckheftdiplomatie verschaffte Riad eine dominante Rolle in der
       sunnitischen Welt und bei den Gegnern des Arabischen Frühlings.
       Gleichzeitig traten die Türkei und Katar als Beschützer der
       Muslimbruderschaft auf. Seit dem Putsch von General al-Sisi im Juli 2013
       alimentiert Saudi-Arabien die ägyptische Wirtschaft. Nach Schätzungen des
       Internationalen Währungsfonds hat diese Unterstützung Riad bereits 6,5
       Milliarden Dollar gekostet.
       
       Inmitten der Turbulenzen, die die Region heimsuchen, war das saudische
       Regime dank seiner Öleinnahmen bisher immer noch in der Lage, den sozialen
       Frieden im eigenen Land zu wahren und Spannungen abzubauen. Der saudische
       Wohlfahrtsstaat macht sich durch die regelmäßige Ausschüttung finanzieller
       Geschenke an die Bevölkerung beliebt: 130 Milliarden Dollar während des
       Arabischen Frühlings und noch einmal 29 Milliarden Dollar anlässlich der
       Thronbesteigung des neuen Monarchen im Januar 2015.
       
       Dazu kommen die zahlreichen Infrastrukturgroßprojekte (Häfen, Flughäfen,
       Straßen, Eisenbahntrassen), die Programme im Bildungssektor, Wohnungsbau
       und in der Gesundheitsversorgung sowie Investitionen in erneuerbare
       Energien und in die Landwirtschaft, mit dem Ziel, die Wirtschaft des Landes
       zu diversifizieren und die Abhängigkeit von Öl und Importen zu senken.
       
       ## Kein Erfolg mit Preispolitik
       
       Doch ausgerechnet in der Ölpolitik machte die saudische Führung einen
       großen Fehler. Bislang ging ihre Strategie dahin, den Markt möglichst zu
       stabilisieren. Das Treffen der Opec-Staaten am 27. November 2014 brachte
       jedoch einen radikalen Kurswechsel. Zu diesem Zeitpunkt war der Preis für
       ein Barrel Rohöl, der in den vorangegangenen Monaten auf 115 Dollar
       gestiegen war, bereits auf 70 Dollar gefallen.
       
       Der saudische Ölminister Ali al-Naimi war nun der Ansicht, man müsse die
       Konkurrenz der US-amerikanischen Fracking-Unternehmen bekämpfen. Anstatt
       den Ölhahn zuzudrehen, um den Preis zu stabilisieren, entfesselte al-Naimi
       einen Preiskampf und ließ den Weltmarkt mit Öl fluten, um die
       US-Konkurrenten aus dem Markt zu drängen. Danach, so sein Kalkül, würden
       die Preise wieder steigen.
       
       Mit dieser Politik hatten die Saudis noch einen anderen Nebeneffekt im
       Auge: der Wirtschaft des Erzfeindes Iran zu schaden. Aber der Absturz des
       Ölpreises kurbelte weder die Nachfrage an noch wurden dadurch die
       US-Produzenten aus dem Markt gedrängt. Und die Verhandlungen mit dem Iran
       über sein Atomprogramm gingen zügig voran; Teheran setzte auf den
       wirtschaftlichen Aufschwung durch die Aufhebung der Sanktionen.
       
       ## Militärausgaben als Problem
       
       Im August 2015 fiel der Preis pro Barrel unter die 40-Dollar-Marke – eine
       Folge des Überangebots und der Verlangsamung des chinesischen
       Wirtschaftswachstums. Für einen ausgeglichenen Haushalt benötigt Riad einen
       Preis von 106 Dollar. Es wird also kein Weg an Kürzungen vorbeiführen. Aber
       in welchen Bereichen soll der saudische Staat sparen? Die Liste der
       Verpflichtungen ist lang: Zu denen, die während der Hochphase des Ölpreises
       eingegangen wurden, kommen jetzt noch hohe Militärausgaben – Resultat der
       Angst, die die Rückkehr des Iran auf die internationale Bühne ausgelöst
       hat. Die Frage ist nun, ob es dem Königshaus langfristig möglich sein wird,
       den sozialen Frieden im Land zu erkaufen.
       
       Dies sind die Probleme, die König Salman ibn Abd al-Aziz zu lösen hat. Der
       80-Jährige trat dieses Jahr die Nachfolge seines Halbbruders Abdallah an,
       der am 23. Januar im Alter von 90 Jahren starb. Der neue „Hüter der
       heiligen Stätten“ (so sein offizieller Titel) bemüht sich, den
       Konservativen im Land mit Zugeständnissen entgegenzukommen, die sich wegen
       des – wenngleich vorsichtigen – Reformkurses von Salmans Vorgänger schon
       Sorgen gemacht hatten.
       
       Als Erstes setzte der neue König den als zu zaghaft kritisierten Chef der
       „Religionspolizei“ (Komitee zur Förderung der Tugendhaftigkeit und
       Verhütung des Lasters) ab. Die Vizeministerin für Bildung, Nura al-Fayez,
       ereilte das gleiche Schicksal. Sie war die einzige Frau auf einem hohen
       Regierungsposten: Ihre Ernennung vor sechs Jahren war im Westen euphorisch
       als Zeichen des Fortschritts für die Frauenrechte begrüßt worden war.
       
       ## Neuerungen in der Monarchie
       
       Die umstrittenste Entscheidung des neuen Königs war allerdings die
       grundlegende Neuordnung der politischen Hierarchie im Königreich. Zwei
       Männer der „dritten Generation“ (die Enkel des Staatsgründers Abd al-Aziz
       ibn Saud), in der die Thronanwärter gleich zu Dutzenden bereitstehen,
       sollen Salman zum gegebenen Zeitpunkt nachfolgen – eine geradezu
       revolutionäre Neuerung in der gerontokratischen Monarchie. Der 56-jährige
       Innenminister Mohammed ibn Naif, der bei der Krönung Salmans zunächst zum
       Vizekronprinzen ernannt worden war, wurde zum Kronprinzen befördert und
       ersetzt Prinz Muqrin, einen der letzten noch lebenden Mitglieder der
       „zweiten Generation“, die damit von der Thronfolge ausgeschlossen wird.
       
       Der 30-jährige Mohammed ibn Salman, Sohn des Königs und
       Verteidigungsminister, steigt auf Platz zwei der Thronfolge auf. Ibn Naif
       ist zuständig für die Terrorbekämpfung, und ibn Salman hat in militärischen
       und wirtschaftlichen Angelegenheiten das Sagen. Mit dieser Palastrevolution
       kehrt zugleich der Sudairi-Clan zurück ins Zentrum der Macht; lange Zeit
       hatte er Schlüsselpositionen in der Regierung inne, vor allem das Innen-
       und das Verteidigungsministerium.
       
       Der Krieg im Jemen, den Saudi-Arabien mit Hilfe von neun sunnitischen
       Ländern und mit Unterstützung westlicher Mächte sowie der UNO führt, sollte
       den beiden neuen starken Männern genug Gelegenheit bieten, sich zu
       beweisen. Das erklärte Ziel der saudischen Intervention, nämlich die vom
       Iran gestützte Rebellion der Huthis zu beenden und den gewählten
       Präsidenten Abed Rabbo Mansur Hadi wieder ins Amt zu hieven, liegt
       allerdings noch in weiter Ferne. Mit 5000 Toten, rund ein Drittel davon
       Zivilisten, bedeutet dieser Krieg schon zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine
       humanitäre Katastrophe.
       
       ## Waffen aus dem Westen
       
       Es ist wahrscheinlich, dass Saudi-Arabien seine kriegerische Flucht nach
       vorn fortsetzen wird – was viele in den westlichen Hauptstädten freuen
       dürfte. Allein seit Oktober 2010 wurde der Kongress in Washington über
       geplante US-amerikanische Waffenverkäufe an Saudi-Arabien im Gesamtwert von
       90 Milliarden Dollar informiert (darunter Kampfflugzeuge, Helikopter,
       Raketenabwehrsysteme, Raketen, Bomben sowie Panzerfahrzeuge).
       
       Und auch Frankreich hat seine Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien erheblich
       ausgeweitet, ebenso Deutschland, das im ersten Halbjahr 2015 Rüstungsgüter
       im Wert von rund 179 Millionen Euro exportierte – im ersten Halbjahr 2014
       waren es noch knapp 66 Millionen Euro.
       
       Aber eine Politik, die die Waffenhändler im Ausland glücklich macht, kommt
       im Königreich nicht unbedingt gut an. Selbst die Königsfamilie kritisiert
       den neuen Monarchen und seine beiden Kronprinzen. Es mehren sich
       Forderungen nach der Abdankung des Königs – der an Alzheimer erkrankt sein
       soll – und der Entmachtung der beiden Kronprinzen.
       
       Die Katastrophe bei der Pilgerfahrt nach Mekka hat die Spannungen
       verschärft: Am 24. September 2015 kam es in Minā, in der Nähe von Mekka, zu
       einer Massenpanik, bei der mindestens 2000 Menschen ums Leben gekommen sein
       sollen; so viele Tote hatte es in der modernen Geschichte des Hadsch noch
       nie gegeben. Dieses furchtbare Ereignis scheint ein weiterer Beleg für die
       Inkompetenz der Männer zu sein, die gegenwärtig an der Spitze des
       saudischen Staats stehen.
       
       5 Jan 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ibrahim Warde
       
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