# taz.de -- Ovationen für Merkels Parteitagsrede: Große Gefühle in Karlsruhe
       
       > Angela Merkel gilt eigentlich nicht als großartige Rednerin. Doch auf dem
       > CDU-Parteitag gelingt ihr das fast Unmögliche.
       
 (IMG) Bild: Merkel in Karlsruhe: ungewöhlich deutliche Worte und Gesten von der Kanzlerin.
       
       Karlsruhe taz | Am Ende hat Angela Merkel es geschafft. Nach monatelangem
       innerparteilichem Streit, nach gegenseitigen Drohgebärden und medialem
       Über-Bande-Spiel hält sie beim Bundesparteitag endlich jene Rede, auf die
       ihre Partei gewartet hat. Merkel hat in Karlsruhe einen tiefen Blick in
       ihre innersten Überzeugungen, ihr Wertesystem gewährt.
       
       Sie hat den Delegierten erklärt, dass das Flüchtlingsthema eben nicht nur
       eine Frage innenpolitischen Regelungsvermögens ist, sondern eine
       europäische, eine globale Herausforderung. Und, das vor allem, sie hat ihre
       Partei bei ihren christdemokratischen Wurzeln gepackt. Eine Kanzlerin, die
       ihre Flüchtlingspolitik mit der „von Gott geschenkten Würde jedes einzelnen
       Menschen“ begründet – die meint es tatsächlich ernst.
       
       Neun Minuten dauert der Applaus der Delegierten in der Karlsruher
       Messehalle nach Merkels siebzigminütiger Rede. Heftiger Beifall, Johlen gar
       – das gab es schon lange nicht mehr in der CDU. Die spröde Vorsitzende hat
       sich ganz nach vorn gewagt, und die Partei ist bereit, ihr zu folgen.
       
       Und sie folgt. Zwar fordert der Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung
       Carsten Linnemann in der anschließenden Debatte eine Reformagenda. Der
       Innenpolitiker Wolfgang Bosbach reichte mit 29 weiteren Delegierten einen
       Initiativantrag ein, laut dem Personen aus sogenannten sicheren
       Drittstaaten „schon an der Grenze abgewiesen werden“ sollen. Und wenn man
       dem sächsischen Vorstandsmitglied Arnold Vaatz zuhörte, der eine härtere
       Abschiebungspolitik forderte, ahnte man, warum in Sachsen Gewalt gegen
       Flüchtlinge auf der Tagesordnung steht.
       
       Aber das bleiben Fußnoten in der Parteitagsregie. Wichtiger ist die
       Unterstützung. Delegierte berichteten, wie großartig die Hilfe bei ihnen
       daheim organisiert ist. Wie zermürbend die Zweifel an Merkels „Wir schaffen
       das“ sind. Dass es aber letztlich um Menschen gehe, denen man gern helfe.
       
       Am Ende der Debatte stimmen die rund 1.000 Delegierten fast geschlossen für
       den Leitantrag der Bundesspitze. Es gibt lediglich zwei Gegenstimmen und
       einige Enthaltungen. Die Partei folgt geschlossen dem Formelkompromiss des
       Vorstands, auf den man sich am Vorabend verständigt hatte.
       
       ## Das „O-Wort“ vermieden
       
       Da steht geschrieben, die CDU sei „entschlossen, den Zuzug von
       Asylbewerbern und Flüchtlinge durch wirksame Maßnahmen spürbar zu
       verringern. Denn ein Andauern des aktuellen Zuzugs würde Staat und
       Gesellschaft, auch in einem Land wie Deutschland, auf Dauer überfordern.“
       Keine Rede ist mehr von einer Obergrenze für Flüchtlinge. Bosbachs Antrag
       fällt durch. Angela Merkel hat ihre Kritiker eingehegt.
       
       Einen Erfolg kann auch die rheinland-pfälzische CDU-Vorsitzende Julia
       Klöckner verbuchen. Im Leitantrag, den der Bundesvorstand den Delegierten
       zur Abstimmung vorlegte, hat die Verfechterin des Burka-Verbots ihre
       wichtigsten Kernbotschaften untergebracht. Die CDU wolle
       Parallelgesellschaften verhindern. Der Bund und die Länder sollen ein
       „Integrationspflichtgesetz“ verabschieden.
       
       Darin sollen verbindliche Integrationsvereinbarungen enthalten sein, „die
       gegenseitige Rechte und Pflichten von Staat und Migrant in verständlicher
       Form festgelegt und vermittelt werden“. Wer sich dem dauerhaft verschließe,
       „muss mit Nachteilen, zum Beispiel Leistungekürzungen, rechnen“, heißt es
       drohend.
       
       Das Erlernen der deutschen Sprache müsse zwingend festgelegt werden. Zur
       Vollverschleierung steht da: „Wer eine solche trägt, dokumentiert damit
       seine fehlende Bereitschaft zur Integration in unsere freie und offene
       Gesellschaft.“ Für die Wahlkämpferin Klöckner ein schöner Erfolg. Im März
       würde sie gern die nächste Ministerpräsidentin in Mainz werden.
       
       ## Einhalten der Schengen- und Dublin-Regeln
       
       Im europapolitischen Teil ihrer Rede pocht Angela Merkel auf das Einhalten
       der Schengen- und Dublin-Regeln. Deutschland müsse immer die Folgen seines
       Handelns bedenken, sagt die Vorsitzende. Statt eines Ausstiegs aus dem
       passfreien Schengenraum oder dem Dublin-System über Asylverfahren sei es
       gerade für Deutschland deshalb viel besser, daran zu arbeiten, dass die
       EU-Regeln eingehalten würden.
       
       Deutschland sei es in der Vergangenheit stets gut damit gegangen, dass die
       Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen gescheitert seien. Aber diese Zeiten
       seien vorbei. Zugleich fordert sie europäische Solidarität bei der
       Verteilung von Flüchtlingen Dafür sei sie bereit zu kämpfen.
       
       „Ich weiß, die europäischen Mühlen mahlen langsam. Aber wir werden sie zum
       Mahlen kriegen“, bittet sie um Geduld. Das ist insofern bemerkenswert, als
       aus CDU und CSU zuletzt mehrfach Forderungen kamen, notfalls die deutschen
       Grenzen zu schließen. „Kein Land ist so sehr auf Schengen angewiesen wie
       Deutschland“, entgegnet ihnen die Parteivorsitzende.
       
       Die offenen Grenzen innerhalb von Europa seien für die Bundesrepublik
       lebenswichtig. „Es lohnt sich, den Kampf um ein einheitliches europäisches
       Vorgehen zu gehen“, sagt sie. Eine Ankündigung, die sich unmissverständlich
       auch an die europäischen Partner richtete.
       
       ## Angst, Hoffung, Aufbruch
       
       Zum Ende ihrer Rede packt Angela Merkel die Delegierten beim Grundgefühl
       dieser Wochen: der Angst. „Hinter der Skepsis, ob wir das alles schaffen
       können, steckt noch mehr“, sagt sie. Es sei „die Frage: was alles wird sich
       verändern. Wie viel Veränderung tut uns gut, wann wird sie zur Belastung?
       Werden wir noch das Deutschland sein, das wir kennen?“ Globalisierung sei
       bislang stets von Vorteil für Deutschland gewesen – aber sie habe auch eine
       andere Seite. Und diese Seite sei nun nicht mehr zu übersehen.
       
       Die Flüchtlinge, die eben noch im Fernsehen zu sehen gewesen seien, stünden
       nun hierzulande auf den Bahnhöfen. Deutschland könne sich nicht abschotten.
       „Abschottung ist im 21. Jahrhundert keine vernünftige Option.“ Das sitzt.
       
       Und sie packt die Delegierten bei ihrer Hoffnung. Sie fordert sie auf, in
       der Flüchtlingskrise auch eine Chance zu sehen. Sei nicht das C im
       Parteinamen ein imperativer Impuls zum Handeln? Die „von Gott gegebene
       Würde jedes einzelnen Menschen“ sei doch ein Gründungsimpuls der CDU
       gewesen. „Mit dieser Würde hat jeder die Chance, bei uns mitzumachen.“
       
       ## Ein Gänsehaut-Moment
       
       Und sie sagt: „Wenn wir jetzt tatsächlich zweifeln würden, dass wir das
       nicht schaffen, dann wären wir nicht die Christlich Demokratische Union
       Deutschlands. Aber wir sind sie, und deshalb werden wir das schaffen.“ Es
       ist ein Gänsehaut-Moment auf dem Treffen einer Partei, die den offenen
       Dissens sonst meidet und – anders als etwa die Sozialdemokraten – allgemein
       nicht zu allzu großen Gefühlen neigt.
       
       Noch nie habe es in Deutschland so wenig Null-Bock-Stimmung gegeben,
       beschwört Angela Merkel die Delegierten. Es gehe um „unser Deutschland. Das
       schönste und das beste Deutschland, das wir haben.“ Wohlfeiler
       Patriotismus? Vielleicht. Aber notwendig für eine Partei, die ob ihrer
       eigenen Verzagtheit zu erodieren droht. Karlsruhe ist für die CDU ein
       Aufbruch.
       
       14 Dec 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anja Maier
 (DIR) Christina Schmidt
       
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