# taz.de -- Die Wahrheit: Die Schaumtortenschockerin
       
       > Neues aus Neuseeland: Die Kulturgeschichte Aotearoas muss umgeschrieben
       > werden. Der Weihnachtskuchen Pavlova kommt nicht von down under!
       
       Wir haben Down Under einiges durchgemacht in diesem Jahr. Höhen wie die
       Rugby-Weltmeisterschaft (die All Blacks gewannen) und Tiefen wie die
       Vorauswahl einer neuen Flagge (das langweiligste Motiv gewann), vom
       pferdeschwanzgrabschenden Premierminister ganz zu schweigen. Aber was die
       Kiwis bis ins Mark erschütterte, kam weder aus Sport noch Politik, sondern
       aus der Küche. Die Kulturgeschichte Neuseelands muss umgeschrieben werden.
       Ein kulinarisches Nationalheiligtum ist gestürzt. Die Pavlova ist in
       Wahrheit Ausländerin!
       
       Pavlova ist eine Baiser-Torte, die mit Schlagsahne zugekleistert und mit
       allerlei Obst garniert wird und keinesfalls beim Christmas Lunch fehlen
       darf. Schmeckt absolut köstlich, was man nicht von allen neuseeländischen
       Spezialitäten behaupten kann, soweit diese je den Weg über die
       Fish-and-Chips-Bude hinaus gefunden haben (ich warne hiermit erneut vor
       frittierten Hotdogs). Pavlova bedeutet Down Under so etwas wie die
       Schwarzwälder Kirschtorte für Deutschland, wobei ich damit bewusst
       Australien mit einschließe. Denn beide Länder streiten seit Anbeginn darum,
       wer nun diesen sensationellen Nachtisch erfunden hat.
       
       Die alte Fehde kann man nun begraben. Dr. Andrew Paul Wood,
       Kunstwissenschaftler aus Christchurch, und die Australierin Annabelle
       Utrecht haben sich über Monate gemeinsam auf die Suche nach den Wurzeln der
       „Pav“ gemacht. 10.000 vergilbte Kochbücher und 20.000 historische
       Zeitungsartikel später steht das frappierende Ergebnis fest: Der Kuchen
       gehört den Amis und den Engländern, nicht den Kiwis oder den Aussies. Die
       beiden Letzteren haben sich nur darauf gestürzt.
       
       Bisher galt als gesichert, dass der erste „Pavlova Cake“ 1929 in Neuseeland
       erfunden wurde – benannt nach der russischen Ballerina Anna Pavlova. Doch
       „Doc and The Frock“, wie sich das Investigativ-Team nennt, haben nach der
       Auswertung von 1.024 Pavlova-Rezepten ans Licht gebracht, dass schon in den
       Jahren vor 1929 weltweit 150 ähnliche Schaumtorten mit Obst und Sahne
       serviert wurden. Vor allem in Deutschland. Die Habsburger hatten bereits
       lange vor Anna Pavlovas Ruhm die Spanische Windtorte kreiert, die der
       heutigen Pavlova ähnelt. Durch deutsche Immigranten kam das Wunderwerk nach
       Amerika. Die ersten Überseefrachter brachten es später in die Küstenorte
       Aotearoas, wo der Mythos seinen Lauf nahm.
       
       Weitere erstaunliche Fakten, die der Öffentlichkeit erst jetzt aufgetischt
       wurden: Nach 1900 wurde die Baisertorte plötzlich zum Phänomen auf allen
       Bridge-Partys. Warum nur? Dr. Wood hat es herausgefunden. „Weil dann der
       Dover-Handmixer erfunden wurde.“ Bis dahin hatten Hausfrauen und Köche sich
       stundenlang abgemüht, den Eischnee zu sanfter Steife zu schlagen. Annabelle
       Utrecht, die andere Forscherin, kochte ein Rezept des 19. Jahrhunderts
       nach, bei dem zwei zusammengebundene Gabeln als Rührer dienten. „Ich weinte
       fast nach 45 Minuten.“ Wood und Utrecht gebührt eine Medaille im Namen der
       Aufklärung.
       
       29 Dec 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anke Richter
       
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