# taz.de -- Die Wahrheit: Fortschrittliches Vögeln
       
       > Neues aus der Ornithologie: Die Risiken und Chancen der Rabenvögel vom
       > alten Testament bis zum Glücksbezirk Prenzlauer Berg.
       
 (IMG) Bild: Eine schwersymbolische Krähe vor dem Berliner Reichstag.
       
       Wilhelm Buschs Bildergeschichte „Hans Huckebein, der Unglücksrabe“ erzählt
       in Reimform die Geschichte eines bösen Raben, der sich zuletzt, am
       moralischen Ende, stranguliert: „Die Bosheit war sein Hauptpläsier. Drum –
       spricht die Tante – hängt er hier!“ Zuvor hatte er den ganzen Haushalt der
       Tante durcheinandergebracht.
       
       Als die Geschichte veröffentlicht wurde, motivierte sie eine von „Herrn Dr.
       Weber“ angeführte Gruppe, in einem Gedicht mit 21 Unterschriften den
       unschönen Tod des Raben zu beklagen. Busch antwortete darauf später in der
       Einleitung für die Buchfassung von „Hans Huckebein“: „Obwohl sein Ende mich
       bewegt / Ich durft es anders nicht vermelden / Er stirbt, denn tragisch
       angelegt / War der Charakter dieses Helden.“
       
       Laut der Wilhelm-Busch-Forschung dachte der Dichter dabei an einen
       konkreten Raben: In Wolfenbüttel hatte er erfahren, dass der zahme Rabe
       eines Gärtners diesem alle Küken getötet hatte. Immer wenn sie an der
       Wasserschale trinken wollten, pickte er sie auf den Kopf, so dass sie
       irgendwann tot umfielen. Er wurde deswegen getötet.
       
       ## Aus Versehen geschützt
       
       Um das Töten von Tausenden Rabenvögeln ging es im Münsterland, das Magazin
       Wild und Hund übertitelte seinen Bericht dazu mit: „80 gegen Huckebein“.
       Dort hatte eine revierübergreifende „Forumskrähenjagd“ stattgefunden.
       Allein in Nordrhein-Westfalen werden jährlich etwa 130.000 Krähen
       geschossen. „Obwohl die Tiere gemäß der EU-Vogelschutzrichtlinie geschützt
       sind, setzen sich die meisten Bundesländer durch Ausnahmeregelungen und
       Verordnungen auf Druck der Jagdlobby über die Regelung hinweg und erlassen
       Jagdzeiten, die teils bis in die Brutzeiten hineinreichen“, empört sich der
       Naturschutzbund (Nabu), der 1899 als Bund für Vogelschutz gegründet wurde.
       Zu den Krähenjägern mit Jagdschein gesellen sich laut Nabu immer mehr
       anonym bleibende „Crowbusters“: „Sie haben nur ein Ziel: so viele
       Rabenvögel wie möglich vom Himmel zu schießen.“
       
       Dabei zählen diese zu den Singvögeln – und sind ganzjährig geschützt. Man
       unkt, die EU-Parlamentarier hätten bei der Verabschiedung der Richtlinie
       nicht gewusst, dass die Rabenvögel – Krähen, Kolkraben, Elstern, Dohlen und
       Eichelhäher – zu den Singvögeln zählen. Sie seien also quasi aus Versehen
       geschützt worden.
       
       Die Raben-Verfolgung ist jedoch älter als alle Aufklärung. Es kam bereits
       mit der Christianisierung zur „Rabenverachtung“, wie der Ornithologe Josef
       Reichholf herausfand: „Im alten Testament galt der Rabe als unreines Wesen,
       als Inkarnation des Bösen und des Teufels … Auch war es Gott gewesen, der
       den Rabenvögeln die Singstimme nahm und sie somit kreischen und krächzen
       mussten, als Strafe für ihre Untugend.“
       
       Die Liebhaber der Rabenvögel halten dem entgegen: Sie sind aber doch
       hochintelligent, sausozial, ihrem Partner treu, sie können zählen und
       Werkzeuge benutzen. Reichholf hat noch anderes entdeckt: Paradiesvögel,
       Laubenvögel und Krähen haben einen gemeinsamen Ursprung in Neuguinea. Die
       ersten beiden leben noch immer dort. Sie sind aber vom Aussterben bedroht,
       während die Krähen sich nahezu weltweit ausgebreitet haben – und wie die
       Menschen inzwischen massenhaft vom Land in die Städte ziehen. Das alles
       gelang ihnen, weil diese schwarzen Vögel im Gegensatz zu den bunten sich
       irgendwann den „Fortschritt“ auf ihre Fahnen geschrieben haben.
       
       Die männlichen Paradiesvögel schaffen es mit ihrer Schönheit, die Weibchen
       rumzukriegen, und die Laubenvögel, die nicht singen, mit farbigen
       Ornamenten, die Weibchen in ihre Laube zu locken, wo sie sie blitzschnell
       von hinten besteigen. Danach verpissen sich die einen wie die anderen
       Männchen.
       
       ## Väter auf der Flucht
       
       Nicht so bei den Krähenvögeln, die weder singen noch Kunst machen und die
       Weibchen auch nicht mit Schönheit beeindrucken können, denn sie sehen jenen
       zum Verwechseln ähnlich. Was tun? Sie beteiligen sich am Nestbau und
       ernähren die brütenden Weibchen, danach ziehen sie mit ihnen gemeinsam die
       Jungen groß.
       
       Diese „Idee“ war einst super-„fortschrittlich“, wie Reichholf das nennt.
       Die Menschen taten es ihnen später nach: Statt Rudelbumsen oder Polyarmorie
       war auch bei ihnen irgendwann lebenslängliches monogames Familienleben das
       Nonplusultra, später dann sogar das „Fundament des Staates“. Heute sind in
       Berlin-Prenzlauer Berg 26 Prozent aller Mütter Alleinerziehende, daneben
       gibt es ein Prozent alleinerziehende Väter. Dafür existieren jedoch laut
       Jugendamt 12.000 flüchtige „Rabenväter“.
       
       Die Krähen sind da schon weiter als die „Muttis im Glücksbezirk“, wie Anja
       Maier sie in der taz nannte: Sie haben sich zwei Männchen angelacht, die
       ihnen und ihrer Brut das Überleben sichern. Ornithologe Reichholf stellte
       fest, dass allein in München bereits 50 Prozent aller Krähenpaare „Trios“
       sind.
       
       Die Familie der Rabenvögel gehört zur Ordnung der Sperlingsvögel. David
       Attenborough berichtete auf BBC von einer englischen Spatzenart, bei der es
       ähnlich ist – allerdings brauchen die Weibchen das zweite Männchen nur zum
       Vögeln. Scheinheilig erklärte der Tierfilmer: „Warum das so ist, wissen wir
       nicht.“
       
       1 Dec 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Helmut Höge
       
       ## TAGS
       
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