# taz.de -- Hamburger Moschee gegen Salafisten: „Kein Freiraum für Extremisten“
       
       > Hamburgs Al-Nour-Moschee ist Hauptanlaufstelle für arabischsprachige
       > Flüchtlinge. Salafisten kommen selten – auch weil die Gemeinde
       > systematisch gegensteuert.
       
 (IMG) Bild: Plädiert für noch mehr Gastfreundlichkeit in der eigenen Gemeinde: Abdellah Benhammou.
       
       taz: Herr Benhammou, seit Neuestem bieten Sie zwei Freitagsgebete für
       insgesamt 2.000 Leute an, weil so viele muslimische Flüchtlinge dabei sind.
       Wie integriert die Al-Nour-Gemeinde all diese Menschen? 
       
       Abdellah Benhammou: Bei uns im Vorstand funktioniert das perfekt: Wir haben
       seit vier, fünf Monaten zwei Beisitzer, die als syrische Flüchtlinge
       herkamen. Sie kamen regelmäßig zum Gebet und fragten, wie sie uns
       unterstützen könnten. Inzwischen haben sie Wohnung und Bleibeperspektive
       und arbeiten tatkräftig mit.
       
       Und wie stehen die übrigen Gemeindemitglieder zu den Flüchtlingen? 
       
       Zwischen den beiden Gruppen gibt es bislang wenig Kontakt, und anfangs hieß
       es durchaus: „Wie lange wird das dauern?“ Oder: „Wie viele müssen wir
       aufnehmen?“ Wir versuchen unseren Leuten dann klarzumachen, dass sie
       niemanden ausschließen sollen, im Gegenteil: Solange die Deutschen so viel
       Hilfsbereitschaft zeigen, müssen wir genauso viel tun – oder noch mehr.
       
       Predigt das auch Ihr Imam? 
       
       Selbstverständlich. Es ist seit drei Monaten Thema jeder Freitagspredigt.
       Kürzlich haben wir zum Beispiel Neujahr nach dem arabischen Kalender
       gefeiert. Es basiert auf der Auswanderung des Propheten Mohammed aus Mekka
       nach Medina, wo er und seine Leute sehr hilfsbereit empfangen wurden. Auf
       diesem Ereignis basiert die islamische Zeitrechnung. Diese Tradition der
       Selbstlosigkeit müssen wir fortsetzen und Flüchtlingen die Tür öffnen. Das
       predigt unser Imam wieder und wieder.
       
       Sind die Flüchtlinge religiös oft konservativer als die hiesige Gemeinde? 
       
       Ja, und das ist völlig normal. Ich selbst bin aus Marokko zum Studium
       hergekommen, und da ist man schon anders geprägt. Man ist konservativ
       aufgewachsen und kommt in eine Gesellschaft, die komplett offen ist. Da
       muss man schon eine gewisse Festigkeit mitbringen, sonst driftet man ab.
       
       Wohin? 
       
       Entweder wird man extrem religiös oder extrem lax und offen. Entgegenwirken
       können da nur Moschee-Gemeinden, die einem Weg der Mitte folgen. Die offen
       sind, sich aber nicht komplett assimilieren, sondern integrieren – und das
       beste aus beiden Kulturen zusammenbringen. Aber die Angst, dass Menschen,
       die hierher kommen, in eine extremere Gemeinde eintauchen, ist groß.
       Deswegen sagen wir den Flüchtlingen, dass Deutschland erfreulich offen ist,
       dass sie aber trotzdem nicht ihre eigenen Werte verlieren sollen. Und dass
       sie weder ihre Wut auf Andersgläubige noch andere Lasten ihrer
       Vergangenheit hierher transportieren sollen.
       
       Fürchten Sie, dass Menschen zu den Salafisten abdriften? 
       
       Ja. Momentan erleben wir eine Art Boom: Jeder, der Internet und Webcam hat,
       wird Prediger. Das sind Leute, die weder Basiswissen über den Islam noch
       einen religiösen Hintergrund haben. Sie waren jahrelang auf der schiefen
       Bahn, entdecken plötzlich den Islam für sich und wollen, dass ihnen alle
       folgen.
       
       Was oft funktioniert. 
       
       Ja, das ist das Problem, das wir bei vielen Jugendlichen haben. Die gehen
       los und hören sich irgendwelche Videos von irgendwelchen Predigern an. Das
       kann natürlich auf die schiefe Bahn führen – im Sinne religiöser Extreme.
       
       Betrifft das auch Kinder der hiesigen Al-Nour-Gemeinde? 
       
       Unsere Gemeinde hat das im Griff, weil wir seit Jahren gegensteuern. Wir
       bieten Wochenend-Religionsunterricht für Kinder, um keinen Freiraum für
       salafistisches Gedankengut zuzulassen. Für die Älteren veranstalten wir ein
       „Training for Trainers“. Das ist keine theologische Ausbildung, sondern
       ebenfalls eine Schutzmaßnahme gegen extremistisches Gedankengut.
       
       Wer besucht die Trainer-Kurse? 
       
       Jugendliche, bei denen wir das Potenzial sehen, als Multiplikatoren zu
       wirken und verunsicherten Gläubigen Antworten zu geben. Diesen 20-,
       24-Jährigen versuchen wir das, was wir als „Islam der Mitte“ betrachten,
       nahezubringen. Das machen wir allerdings nur mit Jugendlichen, die
       friedliche Tendenzen haben.
       
       Und die anderen? Werden die Salafisten? 
       
       Die gibt es in anderen Gemeinden durchaus. Uns meiden sie, weil sie uns für
       zu lax halten, und ich habe auch noch keine Anwerbeversuche beobachtet. Für
       die bin ich – westlich gekleidet und bartlos – nicht würdig, über den Islam
       zu reden. Mit solchen Leuten kann man nicht ins Gespräch kommen, die sind
       gar nicht bereit zuzuhören.
       
       Geben Sie salafismusgefährdete Flüchtlinge letztlich auf? 
       
       Nein, aber uns bleibt da momentan nur die Freitagspredigt. Unser
       Integrations- und Partizipationsprojekt ist leider gescheitert.
       
       Inwiefern? 
       
       Wir haben vor ein paar Monaten versucht, ein „Forum syrischer Flüchtlinge“
       zu gründen. Wir wollten ihnen die Chance geben, Jugend- und Frauengruppen,
       Fußballteams und Gesprächskreise zu organisieren, sich auch ihrerseits um
       Neuankömmlinge zu kümmern. Für diese „Hilfe zur Selbsthilfe“ hatten wir
       Räume besorgt, deren Miete sie sich hätten teilen können. Zur ersten
       Präsentation kamen 150 Leute, aber es hat nicht funktioniert. Wer selbst
       keine Hilfe mehr brauchte, kam nicht wieder. Wir blieben auf der Miete
       sitzen und haben die Räume schließlich gekündigt.
       
       Was tun Sie stattdessen, um etwa jugendliche unbegleitete Flüchtlinge zu
       mäßigen? 
       
       Diese Gruppe ist auch hier im Stadtteil ein Problem. Sie sind oft nicht
       bereit, sich zu integrieren, weshalb es eine Zeitlang einen runden Tisch
       mit Vertretern christlicher Gemeinden, der Sozialbehörde, der Polizei und
       unserer Gemeinde gab. Ich war das Bindeglied und habe einige dieser –
       anfangs extrem skeptischen – Jugendlichen während des Ramadan in unsere
       Moschee geholt, habe sie zum Helfen animiert. Nach einigen Wochen waren sie
       regelrecht aufgetaut.
       
       Was wurde aus ihnen? 
       
       Nach dem Ramadan war ich im Urlaub, und seither habe ich sie nicht mehr
       gesehen. Später kam eine zweite Gruppe, die komplett anders ist. Es sind
       Nordafrikaner, und wenn ich mit ihnen rede, kommen ein oder zwei, einen
       Stock in der Hand, provozieren und sagen „Was willst du, wer bist du?“
       Solche Leute kann man nicht in die Gemeinde integrieren, die lehnen das von
       vornherein ab. Inzwischen sind sie für uns eine echte Bedrohung.
       
       Weswegen? 
       
       Abends, wenn die Flüchtlinge hier übernachten, können sie reinkommen,
       Sachen stehlen.
       
       Bewachen Sie die Moschee? 
       
       Die Moschee ist 24 Stunden geöffnet, und hier sind immer sechs Leute, die
       organisieren und helfen. Vor Kurzem hat allerdings der Stadtteil-Pastor die
       Wiederbelebung des runden Tisches angeregt. Wir hatten das Problem dieser
       Jugendlichen wegen der vielen syrischen Flüchtlinge etwas aus den Augen
       verloren.
       
       Könnten geflohene Imame eigentlich etwas tun? 
       
       Auch darüber haben wir nachgedacht, zumal wir – da alle Ehrenamtler – bei
       weitem nicht genug Personal für die so wichtigen Gespräche mit in
       Kleingruppen haben. Deshalb haben wir eine Kartei von all jenen
       Flüchtlingen angelegt, die ein Bleiberecht in Hamburg und ein islamisches
       Studium absolviert haben. Das sind überraschend viele, und für sie wollen
       wir Seminare veranstalten, in denen wir zum Beispiel den Verhaltenskodex in
       Deutschland erklären, damit sie als Multiplikatoren wirken können. An
       diesen Integrationskonzept arbeiten wir derzeit, das geht step by step.
       
       25 Nov 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Petra Schellen
       
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