# taz.de -- Deutschland und Terror: Glück, mehr nicht
       
       > Bisher blieb Deutschland von schweren Attentaten verschont. Weil die
       > Dienste besser oder weil die Islamisten friedlicher sind? Nichts davon.
       
 (IMG) Bild: Präsenz zeigen nennt man das in der Welt der symbolischen Maßnahmen in der Politik
       
       Die blaue Nylontasche mit dem Sprengsatz war schon abgestellt, unter einer
       Bank am Bonner Hauptbahnhof, Gleis 1. Die Bombe aber explodierte nicht. Die
       Zündvorrichtung war defekt.
       
       Es war reines Glück, das im Dezember 2012 einen Anschlag verhinderte. Wäre
       der Islamist Marco G. erfolgreich gewesen, es hätte auch in Deutschland ein
       Attentat mit wohl Dutzenden Toten gegeben – und schon seit 2012 eine
       gänzlich andere Sicherheitsdebatte.
       
       Es ist, nach all der Betroffenheit, auch jetzt wieder das Gefühl vieler
       nach den Paris-Attentaten: Glück gehabt. Wieder blieb Deutschland
       verschont.
       
       Es ist aber auch nicht mehr als das: Glück. Gewiss, es gibt Faktoren, die
       dieses befördern. Aus Deutschland fühlen sich weniger Radikale vom
       „Islamischen Staat“ (IS) angezogen. Rund 1.500 Franzosen reisten bisher
       nach Syrien, aus Deutschland sind es 750. Anders als die Bundesregierung
       geht Frankreich dort mit Luftangriffen offensiv gegen den IS vor. Und das
       Nachbarland steht schon seit Jahren im Visier islamistischer Terrorgruppen,
       sei es al-Quaida im Maghreb oder eben der IS.
       
       Doch die Terroristen haben auch Deutschland auf dem Schirm. Das IS-Magazin
       Dabiq nannte die Bundesrepublik schon im Herbst 2014 explizit als Ziel.
       Erst im Sommer stachelte ihr österreichische Propagandist Mohamed Mahmoud
       Anhänger zu Anschlägen in Deutschland auf, ein „großes Messer“ genüge, als
       Rache für Waffenlieferungen an kurdische Peschmerga. Und auch im
       mutmaßlichen Bekennerschreiben des IS zu den Paris-Attentaten wird
       Deutschland als „Kreuzfahrer-Nation“ benannt.
       
       Und auch die Zahlen geben keine Entwarnung, im Gegenteil. Seit Jahren
       wächst in Deutschland die salafistische Szene, die immer wieder
       Terrorsympathisanten gebiert, 7.900 sind es derzeit. 420 islamistische
       Gefährder haben die Sicherheitsbehörden im Blick. Zu Jahresbeginn waren es
       nur 230. Und immer wieder fallen Islamisten durch die Raster. Plötzlich
       kämpft ein Deutscher in Syrien, den die Sicherheitsbehörden nie auf dem
       Schirm hatten. Plötzlich ist ein IS-Anhänger wieder zurück, ohne dass er
       bei der Einreise verhaftet wurde. Allein um einen der 420 Gefährder rund um
       die Uhr zu überwachen, brauche es 30 Beamte, so heißt es. Insgesamt also
       gut 12.000 Polizisten. Unmöglich.
       
       Die Perspektivlosigkeit, aus der heraus die Paris-Attentäter sich
       radikalisiert haben sollen, sie gibt es auch in Dinslaken, Kassel oder
       Berlin. Der Bonner Attentäter Marco G. war kleinkriminell, arbeitslos, dann
       konvertierte er und radikalisierte sich. Eine Biografie, die viele der
       Syrien-Ausreisenden teilen. Und der Wille, auch hier Menschen zu töten, ist
       da. Im März 2011 erschoss der Islamist Arid Uka am Flughafen Frankfurt/Main
       zwei US-Soldaten. Andere Anschläge scheiterten nur knapp. In Köln zündeten
       2006 zwei Kofferbomben in Regionalzügen nicht. Die „Sauerlandgruppe“ wurde
       2007 vor ihrem Anschlag verhaftet. Oder eben Bonn.
       
       Sind die deutschen Sicherheitsbehörden besser aufgestellt als andere? Nein.
       Die Franzosen können schon länger auf Vorratsdaten zurückgreifen, erst im
       Sommer wurden die Überwachungsbefugnisse noch erweitert. In Großbritannien
       hat allein der Abhördienst GCHQ 5.000 Mitarbeiter – fast doppelt so viele
       wie der deutsche Verfassungsschutz. Es sind Zahlen und Mittel, die die
       Deutschen auch gerne hätten.
       
       ## Jeder Stein wird umgedreht
       
       Neue Instrumente gab es zuletzt aber auch hier. Die Personalausweise von
       Terrorverdächtigen können eingezogen werden, die Ausreise in Terrorcamps
       ist nun strafbar, genauso wie das Werben für den IS. Wer hierzulande aber
       Gewalt verüben will, den wird nichts davon abhalten.
       
       Es mag beunruhigend sein, aber es ist so: Kurzfristig kann man wenig tun.
       Klar aber ist, dass die Sicherheitsbehörden jetzt jeden bekannten
       Islamisten ins Visier nehmen werden, jeden noch so kleinen Hinweis prüfen.
       Jeder Stein werde jetzt umgedreht, versicherte der Innenminister.
       
       Die akutere Terrorgefahr ist daher eine andere: die von rechts. Zehn
       Menschenleben forderte das Morden des NSU. Und die rechtsextreme Szene hat
       sich in der Flüchtlingsdebatte zuletzt erneut radikalisiert – und wird sich
       nach Paris weiter radikalisieren. Es ist jetzt die größte Gefahr: dass
       diese Bedrohung unter dem Eindruck von Paris aus dem Blick gerät.
       
       17 Nov 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Konrad Litschko
       
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