# taz.de -- Nach der Wahl in Birma: Das Gesicht der Demokratie
       
       > Aung San Suu Kyi hat es geschafft. Ihre Partei NLD wird das Land künftig
       > regieren. Sie hat nach aktuellem Stand mehr als 80 Prozent der Stimmen
       > gewonnen.
       
 (IMG) Bild: Die Birmanen sind stolz auf Aung San Suu Kyi.
       
       Rangun taz | Die dunkelvioletten Fingerkuppen sind noch immer nicht ganz
       aus dem Alltag verschwunden. Wer am vergangenen Sonntag in Birma wählte,
       ging mit einem in Tinte getunkten kleinen Finger nach Hause. Niemand sollte
       zweimal wählen können. In den sozialen Netzwerken teilt man immer noch
       Fotos besonders hübscher Exemplare. Die Tinte ist wie Schmuck, wie eine Art
       Demokratielabel.
       
       Die Birmanen sind stolz. Das erste Mal nach 25 Jahren durften sie wählen,
       ohne dass ihre Stimme vom Militär ignoriert oder manipuliert wurde. Das
       Ergebnis war eindeutig: Die Nationale Liga für Demokratie (NLD) der
       Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi errang eine überwältigende
       Mehrheit der Stimmen.
       
       Die militärnahe USDP wurde aus dem Parlament katapultiert. Sogar
       aussichtsreiche Kandidaten der Partei verloren ihre Wahlkreise. Im
       Gegensatz zur NLD. Selbst als ein Kandidat kurz vor der Wahl starb, stimmte
       man für ihn – oder vielmehr gegen die USDP.
       
       „Die Menschen haben die Nase voll vom Militär. Sie wollen den Wandel. Und
       deshalb haben sie uns gewählt“, sagt NLD-Politikerin Kyi Pyar. Die
       Mittdreißigerin wird für ihren Wahlkreis in Downtown Rangun ins Parlament
       einziehen.
       
       ## Sie schickt die Fanmenge nach Hause
       
       Die Stadt Rangun war vor der Wahl, als Kandidaten Reden hielten und an
       jeder Straßenecke Kampagnensongs aus Lautsprecherboxen tönten,
       geschäftiger. Am Wahlsonntag forderte Aung San Suu Kyi die Fanmenge vor der
       Parteizentrale der NLD auf, die Ergebnisverkündung am Fernseher zu
       verfolgen. Viele gingen daraufhin nach Hause. „Die Birmanen sind einfach
       nur zutiefst zufrieden, dass die NLD es endlich geschafft hat“, erklärt Kyi
       Pyar die ruhige Atmosphäre.
       
       Jahrzehntelang musste Birma, das von Militärs in Myanmar umgetauft wurde,
       eine brutale Militärjunta erdulden. Das Land, reich an natürlichen
       Ressourcen und einst Musterschüler unter den südostasiatischen Staaten,
       wurde heruntergewirtschaftet. Andersdenkende wurden unterdrückt und
       weggesperrt, Universitäten teils monatelang geschlossen.
       
       Am Tag nach den Wahlen, als noch nicht alle Ergebnisse ausgezählt waren,
       gestand die USDP ein: „Wir haben verloren.“ Kandidaten beglückwünschten
       ihre Gegner von der NLD zum Sieg. Präsident Thein Sein versprach Aung San
       Suu Kyi einen reibungslosen Machttransfer, und sogar das Militär
       gratulierte.
       
       Dieselben Militärs ignorierten 1990 ihren Erdrutschsieg und sperrten die
       Anführerin der Demokratiebewegung insgesamt fast zwei Jahrzehnte in ihr
       Haus an Ranguns Inyasee. Ihre Söhne und ihren Ehemann, die in England
       lebten, durfte sie kaum sehen. Als Letzterer im Sterben lag und Suu Kyi vor
       der Wahl stand, ihren Mann und die Kinder oder ihr Land im Stich zu lassen,
       entschied sie sich zugunsten ihres Landes. Wäre sie ausgereist, hätte das
       Militär sie nicht zurückkehren lassen.
       
       „Weg mit dem Militär, wir wollen endlich Wandel“, sagt Wähler Soe Min. Der
       38-jährige Ranguner hat für die NLD-Kandidatin Kyi Pyar gestimmt. Wegen
       „Amay Suu“, Mutter Suu, wie ihre Anhänger die Friedensnobelpreisträgerin in
       Birma nennen. Zu Kyi Pyars Programm kann er wenig sagen. Es ist ihm auch
       nicht wichtig. „Hauptsache die Lady“, sagt er.
       
       Doch der Erfolg von Suu Kyi wird von Beobachtern auch skeptisch beäugt.
       „Vorsicht vor der NLD-Diktatur“, warnt etwa die Tageszeitung Myanmar Times.
       Suu Kyi hat nach aktuellem Stand der Auszählungen mehr als 80 Prozent der
       Stimmen gewonnen. Damit wird es so gut wie keine Opposition im Parlament
       geben. Zumindest nicht von einer anderen Partei. Denn ein Viertel aller
       Sitze im Parlament sind laut Verfassung den Generälen vorbehalten.
       „Myanmars Übergang von einem autoritären Regime zur Demokratie ist deshalb
       noch nicht abgeschlossen“, warnt Jason Carter vom Carter Center, einer NGO,
       die zur Wahlbeobachtung zugelassen war.
       
       Suu Kyi wird in ihrem Kabinett mit drei Ministern zusammenarbeiten müssen,
       die von den Generälen nominiert sind. Deren Politikplot scheint aufgegangen
       zu sein: Sie leiteten 2010 eine Demokratisierung ein, um einer Revolte des
       Volkes zu entgehen und stattdessen im Hintergrund die Kontrolle zu
       behalten. Der Militärblock hat ein Vetorecht über eine Änderung der
       Verfassung. Die Generäle sind damit abgesichert.
       
       Der Verfassung wegen wird Suu Kyi außerdem selbst, anders als das Volk es
       gerne hätte, nicht Birmas Präsidentin werden. Das Gesetz verbietet es ihr,
       weil sie mit einem ausländischen Staatsbürger verheiratet war. Sie werde
       über dem Präsidenten stehen, versicherte sie deshalb vor der Wahl, und nach
       der Wahl legte sie nach: „Ich werde alle Entscheidungen treffen, so einfach
       ist das.“
       
       ## NLD-Wirtschaftspolitik wird belächelt
       
       Die Entscheidungen werden nicht einfach werden. Erst vor Kurzem wurde in
       einer Studie über das Schicksal der in Birma verfolgten Minderheit der
       muslimischen Rohingya offen von Genozid gesprochen. Radikale buddhistische
       Mönche bauten in der Vergangenheit ihren politischen Einfluss aus, die
       Islamophobie wird immer deutlicher, und es gilt den am längsten andauernden
       Bürgerkrieg der Welt zu beenden, ein föderales System und eine
       funktionierende Wirtschaft aufzubauen.
       
       Kritiker zweifeln an der politischen Gestaltungsfähigkeit der NLD. Ihr
       Manifest zur Wirtschaftspolitik wird von Experten eher belächelt. „Wir
       haben es mit einer Übergangsphase von der Militärherrschaft zur Demokratie
       zu tun“, gibt Jorge Valladares von Idea, einem schwedischen
       Demokratie-Thinktank, zu bedenken. „Es geht eher um die großen Fragen wie
       die nach Demokratie und Reform und weniger um detaillierte politische
       Programme.“
       
       Aung San Suu Kyi selbst fasste es im Rahmen einer Pressekonferenz vor den
       Wahlen so zusammen: „Die Tatsache, dass ich kritisiert werde, beweist doch
       nur, dass ich eine echte Politikerin bin.“
       
       Das neue Parlament wird frühestens Ende Januar zum ersten Mal
       zusammenfinden. Bis der neue Präsident vereidigt wird, dauert es
       voraussichtlich bis Ende März. Die Wahlen hätten für die NLD nicht besser
       laufen können. Doch das ist alles erst der Anfang.
       
       13 Nov 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Verena Hölzl
       
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