# taz.de -- Die Wahrheit: Weiße Schimmelreiter
       
       > Das Land der Sprachkritik ist weit und der Pleonasmen und Tautologien
       > sind viele.
       
 (IMG) Bild: Die Axt im Sprachwald hinterrücks durch die Backe gestoßen.
       
       Vorprogrammieren, aufoktroyieren, zusammenaddieren – dass das sogenannte
       weiße Schimmel sind wie die „unbemannte Drohne“, die „steigende
       Erderwärmung“ oder der „englische Lord“, dürfte vielleicht bekannt sein.
       Selbstredend gibt es natürlich viel mehr solcher „potenziellen
       Möglichkeiten“ (Deutschlandfunk).
       
       Manche genießen sogar obere Priorität – so zum Beispiel etwa dieser
       Pleonasmus: „Ich fühle mich sehr an meine Kindheit zurückerinnert“, sagt im
       Radio eine Greisin, die selber einmal Flüchtling war, derweil der NDR ein
       Hörspiel ankündigt, in dem es um „Rückerinnerungen“ geht, die wer weiß
       sogar „ins Positive verklärt“ (de.chessbase.com) werden. „Rückerinnerungen“
       beschwört auch Horst Fuhrmann in seinem Buch „Überall ist Mittelalter“;
       Vorauserinnerungen hingegen sind der Traum eines jeden Historikers.
       
       „Potenzielle Chancen“ (Spiegel), zu viel Überflüssiges zu sagen, dürfte es
       vermutlich genug geben. Gewöhnlich pflegt es einem nicht aufzufallen wie in
       dem vorangegangenen, diesem und dem folgenden Satz, den ich leider in der
       Hannoverschen Allgemeinen las: „Die personifizierte Dominanz hat bei den
       Paralympics einen Namen: Anna Schaffelhuber.“
       
       Nicht nur die taz, die weiß, „welche Schätze das ehemalige Persien in sich
       birgt“, außerdem „akustisch instrumentierte Lieder“ kennt und berichtet,
       dass in Griechenland zwei Parteien „zusammen koalieren“, birgt nämlich in
       Sachen Pleonasmus mancherlei Schätze. Nein, ob im Spiegel, in dem Helene
       Hegemann von einer „persönlichen Biografie“ labert, im Konstanzer Anzeiger,
       der einen üblen Wind „Richtung stadteinwärts“ ziehen lässt, oder im
       Deutschlandfunk, der spekuliert, „was möglicherweise passiert sein kann“ –
       überall wird man erfolgreich fündig.
       
       ## Auf dem Mond, wo sonst?
       
       „Südafrika“, gibt der Phoenix-Videotext zum Besten, „ist eine der jüngsten
       Demokratien auf der Erde“ – statt auf dem Mond; der Videotext von ZDFneo
       steht dem nicht nach: „Die angehende Künstlerin Josefine verlässt nach dem
       Tod ihrer Mutter die Stadt München“ – denn sicherlich halten manche München
       für ein Dorf.
       
       Die Rhetorik lehrt, dass die Häufung sinngleicher oder sinnverwandter
       Wörter ein sinnvolles Stilmittel sein kann. In Zwillingsformeln wie „Hab
       und Gut“ oder „Feuer und Flamme sein“ dienen die zusammengenagelten Wörter
       dazu, einen neuen Begriff zu bilden, hier also „Besitz“ beziehungsweise
       „begeistert sein“.
       
       Von Pleonasmen wie von Tautologien lässt sich das nie und nimmer sagen und
       behaupten. Nichtsdestoweniger allerdings kann es deren Ziel und Zweck sein,
       eine Aussage zu verstärken, und als stilistischer Zierrat sind sie allen
       und jedem geläufig: Ludwig Tieck spricht im „Phantasus“ von einem
       „schwarzen Raben“, Georg Trakl sieht „täglich die gelbe Sonne über den
       Hügel“ kommen (“Sebastian im Traum. Gesang des Abgeschiedenen. Die Sonne“),
       Friedrich Hebbel beschreit in seinem „Nibelungen“-Drama „Das rote Blut!“
       und gesteht: „Nun seh‘ ich es mit meinen eignen Augen“ – statt bloß mit
       fremden Ohren davon zu hören.
       
       ## Verdorrtes grüngelbes Gras
       
       In diesen Zitaten dient das „Epitheton“, das schmückende Beiwort, voll und
       ganz der optischen Anschaulichkeit. Wie immer und überall gibt es
       Zweifelsfälle, weil die Grenze zwischen notwendig und unnötig unscharf und
       unsicher ist. „Und als er sich besonnen, / lag er im grünen Gras“, so
       gewissenhaft dichtet Eduard Mörike (“Die schlimme Gret und der
       Königssohn“), weil es außer grünem Gras auch verdorrtes gelbes gibt.
       
       Um von der immer etwas meschuggenen Poesie in den grauen Alltag der
       Zeitungssprache zurückzukehren: Es steht dahin, ob es ganz und gar korrekt
       ist, von einer „vorläufigen Entscheidung“ zu sprechen; die „endgültige
       Entscheidung“ aber ist ziemlich sicher ein Pleonasmus – bitte entscheiden
       Sie das vorläufig oder endgültig selbst.
       
       Anders verhält es sich mit dem „endgültigen Todesstoß“ (Süddeutsche
       Zeitung): Diese Formulierung ist richtig, weil der Tod manchmal nur
       vorläufig ist, wie die christliche SZ weiß. Jedenfalls soll er es angeblich
       dann sein, wenn jemand ein Gott ist und nicht bloß, wie auf NDR Info in
       einem Bericht über die Ukraine, zur „menschlichen Bevölkerung“ zählt. Mag
       sein, dass die Emanzipation der Tierwelt in Stadt und Land „nun inzwischen“
       (taz) so weit vorangekommen ist, dass „inzwischen nun“ (Titanic) Säue,
       Rinder und Insekten zu den Einwohnern zählen.
       
       Überhaupt – die Zeiten ändern sich und die Meinung, was als Pleonasmus
       gilt, sich mit ihnen. So erfreute auf NDR Info auch diese Formulierung:
       „Die Kinder“, hieß es nach einem Unglück in den Alpen, „blieben bei dem
       Unfall körperlich unverletzt.“ Die nächste Meldung, wenn ihre Eltern einen
       tödlichen Unfall haben, wird lauten: „Die Kinder wurden bei dem Unfall
       seelisch verletzt.“ Die Ärmsten!
       
       9 Nov 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Peter Köhler
       
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