# taz.de -- Roman „Alkohol“ von Kalin Terzijski: Aus der Bahn geworfen
       
       > Der bulgarische Autor Kalin Terzijski veröffentlicht sein Romandebüt
       > „Alkohol“: ein Psychogramm der postsozialistischen Gesellschaft.
       
 (IMG) Bild: Was vom Wodka übrigblieb.
       
       Viele gute Romane beginnen mit einem Unfall. In „Alkohol“ knallt es erst
       nach einigen Kapiteln. Zuvor ist der Protagonist bereits viele kleine Tode
       gestorben. Morgens nach dem Aufstehen bemerkt er „Extrasystolen“, kurze
       Aussetzer des Herzens. „Du frierst ein und wartest ab, um zu sehen, was
       geschieht“, erklärt Kalin, der Protagonist, der genauso heißt wie der
       Autor.
       
       Kalin Terzijski verliert nicht viele Worte, um die Down-and-out-Geschichte
       seines Helden anschaulich werden zu lassen. Kühl und sachlich beschreibt er
       den Alltag dieses Alkoholikers, der als Augenöffner die eisgekühlte Flasche
       Schnaps ansetzt, um den Tag zu beginnen. Der Schnaps mache ihn
       „scharfsinnig, ja gleichsam weich“.
       
       „Alkohol“ nimmt an Speed auf, als dieser Säufer-Körper von einem Auto
       angefahren und zermalmt wird. Wie durch ein Wunder überlebt Kalin, kommt in
       der Chirurgie eines Krankenhauses in Sofia wieder zu sich, als „lebende
       Seele“, die sich friedlich ausruht. Dennoch schreitet seine Story
       unbarmherzig voran. Je tiefer Kalin in die Spiralen der
       Abhängigkeits-Finsternis gerät, desto mehr reflektiert er seine Situation,
       desto genauer ermittelt er seinen Abstieg. Lakonisch, niemals
       befindlichkeitsfixiert, ziemlich analytisch, auch wenn er deliriert.
       
       Was zum Vorschein kommt, mag für den Durchschnitts-Voyeuristen zu heftig
       sein, aber man liest wie geblendet weiter. Kalin sagt einmal, er sei ein
       Alkoholiker und er will seine Würde bewahren. Das und ist dabei das
       entscheidende Wort.
       
       Terzijskis Romandebüt – es war das meistgekaufte Buch in Bulgarien 2010 –
       ist in den neunziger und nuller Jahren angesiedelt, zu einer Zeit in einem
       Land des ehemaligen Ostblocks, aus dem seit 1989 große Teile der
       Intelligenzija emigriert sind, während die Dagebliebenen degradiert wurden,
       wie es im Nachwort heißt.
       
       ## Drohende Erstarrung
       
       Sein Verfasser ist ein solcher Degradierter, ein Psychiater, der trotz
       seiner Ausbildung am Hungertuch nagt. Weil der Lohn als Krankenhausarzt
       nicht zum Leben ausreicht, hat Terzijski zunächst mit dem journalistischen
       Schreiben begonnen, später auch beim Fernsehen gearbeitet und ist dann zum
       Schriftsteller geworden. Splitter dieser Laufbahn tauchen im Roman kaum
       verfremdet wieder auf. Der Protagonist von „Alkohol“, der als
       Schriftsteller reüssieren möchte, wird in seinem medizinischen Beruf aus
       der Bahn geworfen, ausgebrannt von dem namenlosen Leid und der
       gesellschaftlichen Apathie, mit denen er dabei konfrontiert wird. Der
       Arztlohn reicht nicht einmal, um mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur
       Arbeit zu fahren. Es droht die Erstarrung.
       
       Kalin desertiert daher zu den „Hipari“, umherschweifenden Freaks und
       Fantasten, die nach 1989 die neue (Bewegungs-)Freiheit auskosten und
       berauscht durchs Land reisen. „Der Rausch ist der einzige Zustand im Leben,
       der sich lohnt.“ Und er hilft Kalin, sich von jeglichen sonstigen
       Abhängigkeiten und Beziehungen zu befreien.
       
       Zunächst ist das Trinken durchaus bohemistischer Protest gegen die
       Umstände. „Da gibt es den langweiligen, miesen, normal-maßvollen, den
       Schauder der Trostlosigkeit erregenden Warteraum des Fegefeuers, in dem die
       normalen Menschen normal leben und wo sie ihren normalen Tod erwarten,
       nicht mehr.“
       
       ## Die Diktatur der Angepassten
       
       Kalin ist nicht einverstanden mit der Diktatur dieser Angepassten, die für
       ihn nur die Verheerungen der vorhergehenden sozialistischen Diktatur
       abgelöst hätten. „Menschen aus der Zeit des Beziehungssozialismus, die
       stolz darauf waren, dass von ihnen nichts abhing.“ Sein bevorzugtes Getränk
       ist Rakija, Pflaumenschnaps, „muffig und schwer wie Beton“, dann kommt eine
       Art Möbelpolitur-Cognac-Verschnitt, schließlich reiner Wodka, dessen Mengen
       nur noch in Gramm gerechnet werden.
       
       Zwischendurch lässt Terzijski seinen Protagonisten Kurzporträts berühmter
       Alkoholiker, von Edgar Allan Poe über Ernest Hemingway bis Jim Morrison
       diktieren. Gilles Deleuze hat in einem Aufsatz zur Trinkerliteratur von
       Hemingway und Malcolm Lowry vom „entsetzlichen Tête-à-Tête von
       Schizophrenie und Trunksucht“ gesprochen, „auf dass sie der Tod alle beide
       schnappe“. Für Deleuze trat Alkoholismus nicht als Suche nach einem
       Vergnügen in Erscheinung, sondern als Suche nach seiner Wirkung. „Diese
       Wirkung besteht im Wesentlichen in einer außerordentlichen Härtung der
       Gegenwart.“
       
       Die Verzweiflung in der Gegenwart ist im Roman zum Greifen. Mit einem
       Saufkumpan gerät Kalin aus Frust über die Tatsache, dass die
       Elterngeneration Geld gehortet hat, derartig in die Rage, dass sie vor dem
       Parlament in Sofia ein Feuer schüren. Polizisten eilen herbei und
       verprügeln Kalin mit einem Scheit Holz, bevor sie ihn einbuchten. „Nur die
       nüchtern Denkenden, die an Nüchternheit leidenden benötigen Alkohol“,
       glaubt Kalin. Am Ende geht sein Mund nicht mehr auf, vor Schwäche.
       
       Terzijski hat seinen Alkoholismus überwunden, nächstes Jahr soll sein
       Nachfolgeroman erscheinen. Er heißt „Wahnsinn“.
       
       6 Nov 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julian Weber
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Bulgarien
 (DIR) Männer
 (DIR) Depression
 (DIR) Schwerpunkt Frankreich
       
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