# taz.de -- Neuer Tischtennisball: Ostfriesland attackiert Asien
       
       > Die Umstellung von Zelluloid- auf Plastikbälle mischt seit Langem die
       > Tischtenniswelt auf. Eine Firma aus Ostfriesland hat einen revolutionären
       > Ball entwickelt.
       
 (IMG) Bild: „Wir glauben,dass wir einen sehr guten Ball herstellen“: Matthias Prox hält einen Ball aus der Weener Produktion.
       
       WEENER taz | Im Minutentakt fahren die LKW über die örtliche
       Industriestraße. Einige davon sind mit Tischtennisbällen beladen, Bällen,
       die in jahrelanger Arbeit entwickelt wurden und den asiatisch dominierten
       Tischtennismarkt erobern sollen. Die LKW kommen aus einer Firma am Ende der
       Industriestraße, die diesen Namen eigentlich gar nicht verdient hat. In der
       Kleinstadt Weener, Kreis Leer, prägen eher Kuhweiden und Windräder das
       Bild. Mitten drin aber: Schornsteine, Öltanks, Bürogebäude und Lagerhallen
       –die einzige große Firma weit und breit: Weener Plastik.
       
       Etwa 400 Menschen arbeiten hier. Die besten von ihnen haben mit
       Hightech-Geräten und den besten Tischtennisspielern der Welt einen neuen
       Plastikball entwickelt, der asiatische Großproduzenten alt aussehen lassen
       könnte. Und das aus dem Nichts: Mit Tischtennis hat Weener Plastik, wo man
       sich mit Kunststoff-Verpackungen auskennt, eigentlich nichts zu tun.
       
       Im Juli 2014 hat der internationale Tischtennisverband (ITTF) Bälle aus
       Zelluloid bei seinen Wettkämpfen verboten und dafür Plastikbälle
       eingesetzt. Eine einmalige Chance für die Plastikspezialisten aus
       Ostfriesland. Für den Sport war die Umstellung eine Revolution, die eine
       über 100 Jahre währende Ära beendete, zumindest bei den Profis. Amateure
       spielen nach wie vor mit Zelluloidbällen: Die sind billiger.
       
       ## Eine Frage der Sicherheit
       
       Der Grund für das Verbot: Zelluloid ist leicht entflammbar und die
       Produktion gesundheitsschädlich, in großen Teilen gleicht sie sogar der von
       Nitroglycerin. Ein Bestandteil von Zelluloid ist Cellulosenitrat, besser
       bekannt als Schießbaumwolle, und unterliegt dem Sprengstoffgesetz. Deswegen
       muss Zelluloid als teures Gefahrengut transportiert werden. Der Paketdienst
       UPS liefert aus Sicherheitsgründen höchstens zwölf Zelluloidbälle
       gleichzeitig aus. Zum Bau von Rauch- oder Feuerbomben aus
       Zelluloid-Tischtennisbällen liefert Youtube Anleitungen.
       
       Die ostfriesische Idylle draußen ist im Eingangsbereich von Weener Plastik
       schnell vergessen: Es gibt einen runden Empfangstresen, darüber eine
       Plastikkonstruktion mit Firmenname und -logo. In der Ecke stehen moderne
       Couches, Flyer weisen auf mehrere internationale Standorte der Firma hin.
       Eine Mitarbeiterin reicht ein Informationsblatt mit Vorschriften. Erstens:
       Alle Besucher müssen immer das Besucher-Namensschild tragen. Zweitens:
       Fotografieren ist in der Produktionsabteilung streng verboten.
       
       Vor dem Empfangstresen grüßt der Leiter der Entwicklungs- und
       Innovationsabteilung Matthias Prox, ein groß gewachsener Mann im schwarzen
       Anzug, der die Plastikballentwicklung geleitet hat. Er bittet freundlich in
       einen Konferenzraum, auf dessen Tür der Name der ostfriesischen Insel
       Borkum gestanzt ist.
       
       In den Produktionshallen arbeitet Prox’Firma nicht nur am eigenen Ball –
       sie zieht auch noch gegen einen anderen vor Gericht: Weener ficht ein
       Plastikballpatent an, das im Jahr 2006 der Student Thomas Wollheim und die
       Projektmanagerin Insook Yoo angemeldet haben und das 2012 bewilligt wurde.
       Besonderen Zündstoff bringt mit sich, dass Yoo die Ehefrau von Joachim Kuhn
       ist, ehemals ein Funktionär des ITTF: Bis ins Jahr 2013 saß er ausgerechnet
       im Materialkomitee des Weltverbandes und war somit an der Plastikeinführung
       beteiligt.
       
       „Wir glauben, dass das Patent keinen Bestand hat“, sagt Prox. Er nennt es
       verwunderlich, dass bislang kein anderer dagegen vorgegangen ist. Von der
       Produktion eigener Plastikbälle hat das umstrittene Patent Weener Plastik
       aber genau so wenig abgehalten wie diverse asiatische Hersteller. Trotzdem
       hätten sie in Ostfriesland mehr Seelenruhe, wenn die Anfechtung erfolgreich
       wäre.
       
       Yoo, Wollheim und Kuhn arbeiten mittlerweile zusammen in einer Firma in der
       Isolationsbranche, eigene Bälle produzieren sie wohl nicht. Die ITTF und
       Kuhn sind zerstritten, der Weltverband teilte den Plastikball-Herstellern
       sogar mit, um eventuelle Geldforderungen von Yoo würde er sich kümmern.
       Dass es zu solchen Forderungen der Patentinhaberin kommen könnte, davon war
       die Tischtenniswelt im vergangenen Jahr eine Weile lang ausgegangen. Prox
       hat bislang nichts Derartiges auf dem Tisch gehabt. „Der Einspruch ist in
       Prüfung, bis zu einer Entscheidung kann es noch Jahre dauern“, sagt er.
       
       Das Kerngeschäft von Weener Plastik ist eigentlich ein ganz anderes:
       Plastikverpackungen. „Jeder in Deutschland hat vermutlich ein Produkt von
       uns zu Hause“, sagt Prox und zeigt auf ein meterlanges Regal hinter dem
       Konferenztisch. Darin stehen Verpackungen von Shampoos, Kosmetik- oder
       Nahrungsmittelartikeln, von Nuss-Nougat-Creme bis zu Deorollern. „Wir
       wollen aber nicht nur in unserem Stammgeschäft agieren, sondern gucken uns
       auch anderweitig um“, sagt er.
       
       Bei der Tischtennisballentwicklung halfen aber ausgerechnet die Erfahrung
       mit den Deorollern: Hier wie dort werden Plastikhalbkugeln zusammengefügt.
       Anfangs spielten Prox und seine Kollegen noch mit den Deorollerkugeln
       Tischtennis, zur Probe. Bis zur Zulassung des Plastikballes dauerte es dann
       insgesamt drei Jahre. „Es gibt nur wenige Hersteller“, sagt Prox, „weil die
       Entwicklung so schwierig ist.“ Die Konkurrenz: ein japanischer Hersteller
       und drei chinesische. Bei der diesjährigen Tischtennis-Europameisterschaft
       etwa kamen die Bälle der japanischen Marke Nittaku zum Einsatz. 
       
       ## Hohe Geheimhaltungsstufe
       
       Die Fertigung in Weener ist streng geheim, kein Außenstehender bekommt sie
       zu sehen. Vielleicht aus Angst, die Konkurrenz könne sich die Informationen
       sonst zu Nutzen machen oder gar etwas kopieren. Schon seine Worte aber
       wählt Prox vorsichtig: Produktionskosten? Produktionsmenge? Kein Kommentar.
       Die Konkurrenten will er erkennbar auch nicht schmähen. Auf die Frage, ob
       er seine Bälle im Vergleich zu den asiatischen besser findet, antwortet er:
       „Wir glauben, dass wir einen sehr guten Ball herstellen.“ Und grinst.
       
       Die Produktion eines Tischtennisballes ist aufwändig. Es gilt, in
       Experimenten die richtigen Kunststoffverbindungen zu ermitteln, die
       Kriterien des Weltverbandes –Durchmesser, Gewicht, Flugbahn – zu erfüllen.
       Und, für die Spieler am Wichtigsten: Die Plastikbälle sollen möglichst
       genau so sein, wie es Zelluloidbälle wären.
       
       Eben das war nach der Umstellung ein Problem: Die ersten asiatischen Bälle
       verwirrten manche Spieler. Sie machten „Plock“ statt „Ping-Pong“ und flogen
       je nach Hersteller mal höher, mal tiefer, oder verloren schneller an
       Geschwindigkeit als Zelluloidbälle. Als „maximal mittelmäßig“ bezeichnete
       Einzel-Europameister Dimitrij Ovtcharov die ersten Plastikspielgeräte.
       
       An den Wänden vor den Produktionshallen ist eine Galerie aus Glaskästen mit
       hunderten verschiedener Plastikdeckel und Verpackungen ausgestellt. Der
       neue Tischtennisball ist nicht darunter. „Noch sind wir Außenseiter, weil
       wir neu sind“, sagt Prox. Aber man wolle schon bald eine wesentliche Rolle
       spielen. Bislang klappt das ganz gut: Weener liefert seine Bälle an
       Butterfly aus, einen der größten Ausrüster, der
       Tischtennis-Nationalmannschaften und -Profis wie Timo Boll ausstattet.
       
       In den Produktionshallen zeigt Prox seine Werkzeuge. Keine Schraubenzieher
       oder Zangen – tonnenschwere Maschinen, die aus 300 bis 400 Teilen bestehen
       und jeweils nur ein einziges, winziges Teil herstellen können. Die Kappe
       einer Shampoo-Flasche zum Beispiel.
       
       Den Tischtennisball entwickelte die Innovationsabteilung der Firma. Auch
       dort stehen riesige Maschinen, an denen Kabel und Schläuche hängen.
       Materialmischung, Flugbahn, Aufprallhöhe, alles mussten die Mitarbeiter
       selbst erforschen. „Das kostet“, sagt Prox über die Entwicklungszeit.
       
       Produktion und Auslieferung laufen bereits. Die ITTF hat den Ball genehmigt
       und ihn in die höchste Kategorie aufgenommen: drei Sterne. Damit kann er
       bei internationalen Spielen verwendet werden. 2016 finden die nächsten
       Mannschaftsweltmeisterschaften in Kuala Lumpur statt, 2017 die
       Einzelweltmeisterschaft in Düsseldorf. Hat sich der Ostfriesen-Plastikball
       bis dahin durchgesetzt, wird die Tischtenniswelt nicht mehr um ihn
       herumkommen.
       
       16 Nov 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Robin Grützmacher
       
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