# taz.de -- Russlands Luftangriffe in Syrien: Ein strammer „Raketengruß“
       
       > Putins Chefpropagandist Dmitrij Kiseljow läuft in Kriegszeiten zur
       > Höchstform auf. Jetzt kann er es dem Westen so richtig zeigen.
       
 (IMG) Bild: Wladimir Putin zu Besuch in Kasachstan
       
       Moskau taz | Russlands Luftschläge gegen den IS gehören schon jetzt in die
       Annalen militärischer Erfolgsgeschichten. Kaum zwei Wochen im Einsatz
       scheint es Moskaus Bombern gelungen zu sein, den Gegner aufzureiben und
       streckenweise gar zu vertreiben. Zumindest begründete das
       Verteidigungsministerium damit die deutlich niedrigere Flugfrequenz gegen
       Ende der Woche. Auf ein Drittel sollen die Bombardements im Vergleich zur
       letzten Woche zurückgegangen sein.
       
       Eine Luftflottille von bemerkenswerter Effektivität. So beeindruckend, dass
       sich Kriegsveteranen an eine Anekdote aus den letzten Tschetschenienkriegen
       erinnert fühlten. Darin bezifferte Pressoffizier Iwanow die Verluste der
       tschetschenischen Freischärler auf 500, woraufhin sich empört der
       Kommandeur einschaltete: „Iwanow, schonen sie den Gegner nicht! Machen sie
       1000 draus!“
       
       Auch Dmitrij Kiseljow gehört zu jener Truppe, die Siege herbeifabulieren.
       Diese Woche hieß der Chefpropagandist des Kreml die Zuschauer des
       wöchentlichen Politmagazins „Nachrichten der Woche“ mit einem „raketnij
       privet“ willkommen - einem Raketengruß. Seit Tagen beherrschte der
       „Kalibr“, Moskaus erster Marschflugkörper, Russlands Nachrichtensendungen.
       Er sei schneller, präziser und flöge weiter als das Tomahawk, das
       amerikanische Pendant, meinte der Moderator.
       
       Am Mittwoch vergangener Woche hatte nach offiziellen Angaben die Marine von
       vier Kriegsschiffen im Kaspischen Meer aus mehr als zwei Dutzend
       Marschflugkörper auf Ziele des IS in Syrien abgeschossen. Ein Feuerwerk als
       Geschenk für Oberbefehlshaber Wladimir Putin, der am selben Tag seinen 63.
       Geburtstag beging. Lang und breit erklärte Verteidigungsminister Sergej
       Schoigu vor laufender Kamera dem Vorgesetzten Produktion und Einsatz der
       Präzisionswaffe. Wie immer ergänzt von erstaunlichen Fachkenntnissen des
       Präsidenten, der ihm gegenüber saß.
       
       ## Dank an den Militärisch Industriellen Komplex
       
       Tage hätte es gedauert, bis der Westen für diesen erfolgreichen Einsatz
       Worte gefunden hätte. Diese Übung müsse den Amerikanern Schauder über den
       Rücken gejagt haben, meinte Kiseljow.
       
       Um die Einmaligkeit des Ereignisses zu unterstreichen, wird am Sonntagabend
       noch ein „Blitzinterview“ mit dem Kremlchef eingespielt. Putin dankt dem
       Militärisch Industriellen Komplex (MIK) für dessen ausgezeichnete Arbeit
       und den Militärs für die brilliante Ausführung des Unternehmens.
       
       Die Botschaft an die Zuschauer ist unmissverständlich: Es ist vollbracht,
       waffentechnisch haben wir mit den USA gleichgezogen. Dergleichen verfängt
       in einem Land, dessen Bürger stolz auf die Leistungen der Rüstungsindustrie
       sind. Sollte jemand dennoch angesichts der Wirtschaftskrise die hohen
       Ausgaben infrage stellen, so kam ihm der Kremlchef auch darin zuvor: Nicht
       nur die Grundlagenforschung mache Fortschritte, auch die zivile Produktion
       profitiere von den Erfindungen der Rüstungsindustrie.
       
       Unterdessen kämpfen in Syrien russische Verbände erstmals außerhalb der
       Grenzen der früheren Sowjetunion. Die Erinnerungen an das blutige Abenteuer
       in den 1980ern in Afghanistan sind noch nicht verblichen. Moskau setzt
       diese unrühmliche Geschichte noch immer zu. Wladimir Putin lehnte den
       Einsatz russischer Bodentruppen in Syrien denn auch entschieden ab,
       reagierte jedoch etwas nervös, kaum war die Frage gestellt.
       
       ## „Neues Afghanistan“
       
       Dafür gibt es zurzeit noch keinen Grund. In Umfragen des unabhängigen
       Lewada-Zentrums unterstützten 72 Prozent der Bürger die Luftschläge gegen
       den IS. 47 Prozent halten es auch für richtig, Diktator Baschar al -Assad
       zu stärken. Einen Wermutstropfen indes stellen die 39 Prozent dar, die im
       Falle einer Intervention Syrien als „neues Afghanistan“ nicht ausschließen
       wollen. Sieben Prozent halten es gar für unvermeidlich.
       
       Noch experimentiert Russland, wie es mit dem neuen Kriegsschauplatz im
       Nahen Osten umgehen soll. Selbst die Meteorologen des Fernsehens versuchen
       Optimismus zu verbreiten. Und darin sind sich alle einig: günstiger hätte
       der Zeitpunkt für einen Lufteinsatz nicht gewählt werden können.
       Oktoberwetter sei auch Flugwetter. Nur Sandstürme könnten gelegentlich die
       empfindliche Technik beeinträchtigen.
       
       Für die meisten Russen liegt Syrien noch weit entfernt. Die antiwestliche
       Ideologin Veronika Kraschenikowa sieht das anders. In Syrien verteidige die
       russische Luftwaffe die „entfernten Grenzen“ Russlands, sagt sie in der
       NTW-Talkshow „Die Mehrheit“. Die Umstellung vom Kriegsschauplatz Ukraine
       auf den Nahen Osten fällt dem TV-Publikum schwerer als den
       Kriegsberichterstattern. Einige von ihnen haben den Donbas schon in
       Richtung Syrien verlassen. Vorübergehend könnte das bedeuten, dass im
       Donbas Ruhe einkehrt.
       
       In der Ukraine durften die russischen Journalisten Moskaus Soldaten nicht
       als Armeeangehörige bezeichnen, offiziell liefen sie unter „Freiwillige“.
       In Syrien muss sich niemand mehr verstellen. Im Gegenteil. Dort verteidige
       Russland zum vierten Mal in der Geschichte das Abendland vor dem Untergang,
       ist Dmitrij Kiseljow überzeugt.
       
       Wie gesagt, noch wird experimentiert. Dazu gehört auch der Versuch des
       Abgeordneten Semjon Bagdasarow, der im Nachrichtenkanal Rossija24 mal eben
       die „heilige Erde“ Syriens für Russland beanspruchte. In Anlehnung an die
       Bewegung „Krimnasch“ (die Krim ist unser) schuf er dasselbe für Syrien.
       „Syrien ist unser Land“, behauptet er. Ohne Antiochia gäbe es weder die
       Orthodoxie noch die heilige Rus.
       
       Antiochia heißt heute Antakya und gehört zur Türkei. Vermutlich hatten die
       russischen Kampfjets, die vergangene Woche mehrmals den türkischen Luftraum
       verletzten, schon neue Karten. Dabei geht es Moskau weder um Syrien noch
       die Türkei. Es ist wie besessen vom Hass auf die USA.
       
       17 Oct 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus-Helge Donath
       
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