# taz.de -- Deutschland-Premiere: „Open Library“: Der Vertrauens-Versuch
       
       > Die Bücherhalle in Hamburg-Finkenwerder lässt als erste öffentliche
       > Bibliothek Deutschlands Leser auch dann herein, wenn gar keine
       > Mitarbeiter da sind.
       
 (IMG) Bild: Immer mittwochs in der Bücherhalle Hamburg-Finkenwerder: der erste open access in einer deutschen Kommunal-Bibliothek.
       
       HAMBURG taz | Das beschaulich-überschaubare Finkenwerder ist ab heute ein
       Entwicklungs-Hotspot: Dessen kleine [1][„Bücherhalle“], wie die Hamburger
       Stadtbibliotheken noch immer heißen, als sei die digitale Revolution und
       der damit einhergehende grundsätzliche Bedeutungswandel von Bibliotheken
       ein Gerücht aus ferner Zukunft, diese „Bücherhalle“ also hat heute
       geöffnet. Obwohl die MitarbeiterInnen allesamt frei haben – wie jeden
       Mittwoch.
       
       Jeder, der seine Nutzerkarte durch das Lesegerät neben der Eingangstür
       zieht und mindestens 18 Jahre alt ist, kann hinein. Und wenn er nun mit
       allerlei wieder hinausgeht, das gar nicht für den Leihverkehr vorgesehen
       ist? Immerhin 11.000 Medieneinheiten liegen hier in einer freundlich
       gestalteten Regal-Landschaft für die NutzerInnen bereit.
       
       „Ich kann mir nicht vorstellen, dass hier jemand mit dem LKW vorfährt und
       sämtliche Bücher einlädt“, sagt Michael Studt, der kaufmännische Leiter der
       Bücherhallen. Rechner und Bildschirme wurden fest eingebaut und
       verschraubt, eine offen stehende Kassenschublade signalisiert „hier ist
       nichts zu holen“, die möglicherweise begehrten Nintendo-Spiele sind während
       der „open hours“ weggeschlossen. Das große Fragezeichen sei, sagt Studt, ob
       es – trotz Videoüberwachung – zu Vandalismus komme.
       
       Von der Straße aus ist der helle große Raum gut einsehbar. Für den
       Öffnungs-Versuch wurde er klarer strukturiert, der Ausleih-Automat durch
       eine Rückgabebox ergänzt. Neue Möbel sollen für mehr Aufenthaltsqualität
       sorgen: Skandinavischen Vorbildern folgend verstehen sich Bibliotheken
       zunehmend als Treffpunkte denn als bloße Ausleih-Stationen.
       
       ## Bibliothek als Treffpunkt
       
       In Dänemark gibt es bereits weit über 500 öffentliche Bibliotheken, die
       ihre NutzerInnen zu bestimmten Zeiten allein hereinlassen. Gerade in
       kleineren dänischen Gemeinden ist die kommunale Bibliothek meist der
       einzige überdachte nicht-kommerzielle Treffpunkt – und der soll nicht durch
       begrenzte Arbeitszeiten von BibliothekarInnen limitiert sein.
       
       Hier, in Dänemark, haben sich die Hamburger Bücherhallen-Leute für ihr
       Experiment inspirieren lassen. Zwei Drittel der DänInnen sind registrierte
       Bibliotheksbenutzer – in Deutschland ist es kaum ein Zehntel. Das hat viel
       damit zu tun, dass die dänischen Bibliotheken für ihr Kerngeschäft
       keinerlei Gebühren erheben – aber eben auch mit Service-Ideen wie der „open
       library“. Vandalismus, versichern dänische BibliothekarInnen, komme so gut
       wie nie vor.
       
       Seit gut zehn Jahren sammeln die DänInnen ihre Erfahrungen mit dem offenen
       Konzept. „Nach einem langen Wochenende sind die Möbel manchmal umgeräumt“,
       sagt Susanne Gilling, die in einer Vorort-Bibliothek von Aarhus arbeitet,
       Dänemarks zweitgrößter Stadt. Aber das sei in Ordnung. Allerdings:
       „Gelegentlich will hier auch jemand übernachten.“
       
       In Finkenwerder bräuchte man einen äußerst ruhigen Schlaf, um in der
       Bücherhalle dauerhaft schlummern zu können: Die Alarm-Anlage reagiert
       außerhalb der „open hours“ schon auf leiseste Bewegungen. „Dann kommt ein
       Sicherheitsdienst und bittet die verspäteten BesucherInnen freundlich nach
       draußen“, beschreibt Bücherhallen-Sprecher Markus Franke das geplante
       Szenario.
       
       Schritt für Schritt wollen die Bücherhallen nun weiter experimentieren: Die
       nächste open library ist für Hamburg-Horn geplant, wo die Sozialstruktur
       schon deutlich anders ist als in Finkenwerder. Sind „open libraries“ auch
       ein Lösungsansatz für die viel diskutierte Sonntags-Öffnung, die seit
       Jahren am Bundesarbeitsschutz-Gesetz scheitert?
       
       ## Sonntagsarbeit ist verboten
       
       Dieses Gesetz nennt viele Einrichtungen, in denen Sonntagsarbeit in
       Abweichung vom allgemeinen Arbeitsverbot an Feiertagen erlaubt ist:
       Tankstellen, Videotheken, Museen und so weiter – und es müsste nur ein
       einziges Wort in diesem Ausnahmekatalog gestrichen werden, damit Familien
       endlich dann in die Stadt- und Gemeindebibliotheken dürfen, wenn sie dazu
       gemeinsam Zeit haben: sonntags. Es ist das Wort „wissenschaftlich“ vor
       „Bibliotheken“. Uni-Bibliotheken dürfen in Gegensatz zu ihren kommunalen
       Pendants sonntags selbstverständlich genutzt werden.
       
       Hella Schwemer-Martienßen, die Direktorin der Bücherhallen, hält
       Sonntags-Öffnungen, so sie denn politisch durchgesetzt werden, nur für die
       Zentralbibliothek für sinnvoll – und dort sei man in jedem Fall auf
       präsentes Fachpersonal angewiesen. Apropos: Wie sind die „open libraries“
       aus MitarbeiterInnensicht zu beurteilen?
       
       Die BibliothekarInnen in Finkenwerder freuen sich, dass sie nun mittags
       essen gehen können, ohne zuerst – wie bisher – alle BesucherInnen
       hinauskomplimentieren zu müssen. Denn auch die bisherigen
       Mittags-Schließzeiten sind durch das neue System überflüssig geworden.
       
       Vesna Steyer, die Bundesvorsitzende des Berufsverbandes Information
       Bibliothek (BIB), verweist auf Nachfrage auf die Wichtigkeit der fachlichen
       Beratung in Bibliotheken und auf die Grundsatz-Problematik, dass „aus guten
       zusätzlichen Angeboten immer auch Einsparungen ableitbar“ seien. Ihr
       Verband fordert daher Bibliotheksgesetze, die die Bibliotheksleistungen
       festschreiben.
       
       Dänemark hat solche Gesetze seit den 1920er-Jahren. Aber Hamburg hat nun
       immerhin ein Stück dänische Praxis übernommen. Zahlreiche FachbesucherInnen
       aus der deutschen Bibliotheksszene haben sich bereits in Finkenwerder
       angemeldet, um das Experiment zu besichtigen. Es ist nicht nur ein
       Service-Experiment – sondern auch der bewusste Versuch, Vertrauen zu wagen.
       
       22 Sep 2015
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.buecherhallen.de/finkenwerder
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Henning Bleyl
       
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