# taz.de -- Protest gegen „Lebensschützer“ in Berlin: Um Himmels Willen!
       
       > Die konservative „Lebensschutz“-Bewegung trommelt gegen Abtreibungen,
       > Sterbehilfe und PID. Die Gegenmobilisierung für Samstag läuft.
       
 (IMG) Bild: So sieht es aus, wenn Lebensschützer protestieren.
       
       „Zeigen Sie Herz“, schnurrt Martin Lohmann in seinem Videoaufruf zum
       „Marsch für das Leben“ mehrmals in die Kamera. Wobei man sich das „r“ in
       Herz dreifach gerollt vorstellen muss, das Lächeln dazu eckig. In der Hand
       hält der Vorsitzende des Bundesverbands Lebensrecht e. V. (BVL) den
       zugehörigen Flyer. Darauf: Ein lächelnder Junge mit Downsyndrom und einem
       großen, rot ausgemalten Herz aus Pappe in der Hand. Daneben steht: „Jeder
       Mensch ist gleich wertvoll, unabhängig von Eigenschaften und Umständen“.
       Wer möchte das bestreiten.
       
       Und doch werden den nach Polizeiangaben angemeldeten 5.000 TeilnehmerInnen
       am kommenden Samstag wieder Tausende GegendemonstrantInnen die rote Karte
       zeigen. Denn im zweiten Teil des Aufruf-Mottos zum „Ja zum Leben“ heißt es
       weiter: „– für ein Europa ohne Abtreibung und Euthanasie!“. Neben dem
       Kernthema Schwangerschaftsabbruch haben die radikalen
       AbtreibungsgegnerInnen neue Themen im Gepäck. Das scheint die Mobilisierung
       zu breiten Gegenprotesten aus dem links-liberalen und
       (queer-)feministischen Spektrum nicht einfacher zu machen.
       
       Euthanasie? Gemeint ist: Sterbehilfe. Neben Abtreibung ist es das zentrale
       Kampagnenthema der christlich-fundamentalistischen „Lebensschutz“-Bewegung.
       Deren rhetorischer Alarmismus bezieht sich damit einmal mehr bewusst
       plakativ auf Nazi-Verbrechen.
       
       Mit Wortneuschöpfungen wie dem „Babycaust“, den der militante Weinheimer
       Abtreibungsgegner Klaus Günter Annen in Anlehnung an den Holocaust geprägt
       hat, will man der „Lebensschutz“-Botschaft unter dem Mantel der Besorgnis
       um Humanität und Verantwortung Nachdruck verleihen. Frauen nach einem
       Abbruch mit Nazitätern gleichzusetzen, gehört seit langem zum
       Kampfrepertoire der Bewegung.
       
       Die Relativierung von Nazi-Verbrechen zieht naturgemäß auch die
       Rechtsextremen an. Anhänger der Neuen Rechten (“Die Deutschen sterben
       aus!“) marschieren alljährlich neben fanatisierten Splittergruppen aus dem
       evangelikalen und freikirchlichen Bereich mit. Dazu gesellen sich mit der
       AfD-Europa-Abgeordneten Beatrix von Storch und ihren Parteifreunden
       AkteurInnen aus dem rechtskonservativen Spektrum. Die Grußworte
       hochrangiger SpitzenpolitikerInnen von CDU/CSU machen den „Marsch“ in die
       Mitte salonfähig.
       
       Die „Lebensschützer“ setzen vor allem auf einfache Botschaften: Gott allein
       entscheidet – der Mensch hat sich seinem Schicksal, ob Schwangerschaft oder
       Tod, zu fügen. Um Auslegungsspielräume der „heiligen Schrift“ zu schließen,
       greift die „Lebensschutz“-Lobby tief in die Trickkiste. So zählen schon
       befruchtete Eizelle und Embryo als ganzer Mensch mit eigenen Rechten. Der
       Wunsch unheilbar kranker Menschen nach einem selbstbestimmten Tod und
       Legalisierung der Sterbehilfe gerät hingegen zur Anmaßung.
       
       ## Zwei bunte Gegendemos
       
       So einfach können es sich die GegnerInnen des Marsches nicht machen. Hier
       wird auch kritisch über Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik (PND/PID)
       – ein weiteres Steckenpferd der „Lebensschützer“-Kampagnen – diskutiert.
       Die große Herausforderung aufseiten der Linken, Liberalen,
       (Queer-)FeministInnen und AntifaschistInnen besteht darin, das
       Selbstbestimmungsrecht der Frau nicht zu relativieren. Zugleich will man
       aber die Gefahren nicht ausblenden, die mit den bio- und medizintechnischen
       Errungenschaften einhergehen.
       
       Das Ergebnis sind zwei große Gegendemonstrationen, organisiert von den
       Bündnissen „Sexuelle Selbstbestimmung“ und „What the Fuck!“ . Beide
       mobilisieren diesmal bundesweit, insgesamt rechnet man am kommenden Samstag
       mit bis zu 4.000 Menschen. Einen gemeinsamen Aufruf gibt es allerdings
       nicht. Dabei sieht Silke Stöckle vom Bündnis „Sexuelle Selbstbestimmung“
       viele Gemeinsamkeiten – „vor allem die Streichung des Paragrafen 218 und
       die selbsternannten Lebensschützer zu stoppen, da stimmen wir zu 90 Prozent
       mit dem anderen Bündnis überein“.
       
       Auch Lotte Schäfer von „What the Fuck!“ betont eine große gemeinsame
       Schnittmenge. Ihr Bündnis ruft aber auch zur Störung und Blockade beim
       „Marsch für das Leben“ auf – ein Punkt, der für Mitglieder des anderen
       Bündnisses, wie öffentlich geförderte Beratungsstellen, problematisch sein
       könnte.
       
       Sprachpolitik ist eines der Felder, auf die es offenbar ankommt. So liege
       auch der Erfolg des „Lebensschützer“-Marsches nicht zuletzt in der
       geschliffenen Rhetorik begründet, die die bürgerliche Mitte der
       Gesellschaft erreicht, meint Ringo Stephan von der Initiative „Vielfalt
       statt Einfalt“. Sie ging aus Protesten gegen die Bewegung der „besorgten
       Eltern“ in Baden-Württemberg hervor, die sich dagegen wehrten, Aufklärung
       über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt im Bildungsplan zu verankern.
       
       Der Sexualpädagoge erkennt im Zulauf des „Lebensschützer“-Marsches „eine
       rückwärtsgewandte Welle, die gerade die ganze Gesellschaft durchzieht“.
       Diese gehe taktisch äußerst klug vor: „Mit ihrer positiven Wortwahl
       erreichen die alle Gesellschaftsschichten, hier ist die Rede von
       ‚Lebensschutz‘, da von ‚besorgten‘ Eltern“, sagt Stephan, „das zielt auf
       eine besondere konservative Zielgruppe ab, erreicht aber sehr viele.“
       
       17 Sep 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Melanie Götz
       
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