# taz.de -- Debatte um Spekulation: Das Panikkarussell
       
       > Weltweit haben Schwellenländer Probleme, weil internationale Investoren
       > ihr Geld abziehen. Droht eine neue Wirtschaftskrise?
       
 (IMG) Bild: An der Börse in Mumbai, Indien geht es bergab.
       
       Die Eurokrise ist noch längst nicht überwunden, da könnte sich eine neue
       Wirtschaftskrise anbahnen. Weltweit geraten die Schwellenländer in
       Schwierigkeiten. Ob in Brasilien, der Türkei, in Südafrika, Indien,
       Indonesien, Kasachstan, den Philippinen, in Kolumbien oder Vietnam: die
       internationalen Investoren ziehen ihr Geld ab.
       
       Es geht um gigantische Summen: Etwa eine Billion Dollar wanderte im letzten
       Jahr aus den Schwellenländern ab. Aber warum? Liegt es an konkreten
       Wirtschaftsproblemen? Oder platzt gerade wieder eine Finanzblase?
       
       Viele Schwellenländer kämpfen tatsächlich mit echten Wirtschaftsproblemen.
       In dieser Woche geriet Brasilien in den Fokus, weil Kanzlerin Merkel dort
       auf Staatsbesuch war. Also bot sich Gelegenheit, auf die überbordende
       Bürokratie und die dort grassierende Korruption hinzuweisen. Nach dem
       Motto: 39 Ministerien – was soll das denn? Besonders lustig fand man, dass
       es in Brasília nicht nur ein „Agrarministerium“ gibt, sondern auch ein
       „Agrarentwicklungsministerium“.
       
       Auch in anderen Schwellenländern lassen sich Wirtschaftshemmnisse
       ausmachen: Die miserable Infrastruktur in Indien, die geringe Bildung
       vieler Südafrikaner, das seltsame Amtsverständnis des türkischen
       Präsidenten Erdoğan.
       
       ## Nicht ganz bombensicher
       
       Aber: Die Infrastruktur in Indien ist nicht erst seit gestern marode, und
       das Schulwesen in Südafrika war vor fünf Jahren auch nicht besser als
       heute. Akute Finanzereignisse lassen sich nicht mit strukturellen Ursachen
       erklären – zumal die Investoren ihr Geld aus allen Schwellenländern
       abziehen, obwohl diese sehr unterschiedlich sind.
       
       Es geht nicht um die reale Wirtschaft; stattdessen werden Finanzwetten
       aufgelöst, die als „Carry Trade“ firmieren.
       
       Ein Carry Trade funktioniert immer nach dem gleichen Prinzip: Es werden
       Kredite in einem Währungsraum aufgenommen, in dem die Zinsen niedrig liegen
       – und dieses Geld wird dann in Ländern investiert, wo die Renditen höher
       sind. Für diese Geschäfte war der Dollar besonders beliebt, denn die
       Leitzinsen in den USA liegen derzeit bei 0 Prozent. Die billigen Kredite
       wurden dann genutzt, um die Schwellenländer mit Geld zu fluten.
       
       Carry Trades erscheinen anfangs als bombensicher. Denn die Spekulanten
       können nicht nur die Zinsdifferenz kassieren – meist werten sie auch noch
       die Währungen der Schwellenländer auf, weil diese plötzlich international
       begehrt sind. Es fällt also ein Kursgewinn ab.
       
       ## Immer mit der Herde
       
       Für Spekulanten lohnt es sich immer, mit der Herde zu traben – bis die
       Herde kehrtmacht. Und seit etwa einem Jahr werden die Spekulanten nervös.
       Die US-Notenbank Fed hat nämlich erkennen lassen, dass sie die Leitzinsen
       erhöhen will. Zudem wertet der Dollar schon auf, weil die amerikanische
       Wirtschaft auf Hochtouren läuft.
       
       Plötzlich lohnt sich der Carry Trade mit den Schwellenländern nicht mehr,
       sondern wird riskant. Also ziehen sich immer mehr Spekulanten zurück.
       
       Die Lage der Schwellenländer war schon prekär, als der nächste Tiefschlag
       kam: China wertete vor zwei Wochen seinen Renminbi ab. In den Köpfen der
       Spekulanten dreht sich nun ein Panikkarussell: Wenn der Kurs der
       chinesischen Währung sinkt, heißt das, dass die chinesische Wirtschaft
       schwächer wächst als angenommen; also wird China weniger Rohstoffe
       verbrauchen; also werden die Rohstoffpreise fallen; also werden alle
       Schwellenländer in Bedrängnis geraten, die Rohstoffe exportieren; also muss
       man aus den Schwellenländern aussteigen.
       
       Die Gemengelage erinnert an die Asienkrise von 1997. Allerdings gibt es
       einen Unterschied: Diesmal haben sich viele Schwellenländer Devisendepots
       zugelegt, um gegen den Abzug der Spekulanten gewappnet zu sein.
       
       Vielleicht kommt es daher nicht zum großen Crash, aber das ist kein Trost.
       Denn die Devisenreserven bedeuten ja nichts anderes, als dass arme
       Schwellenländer den reichen Westen beschenkt haben, weil sie permanent
       Exportüberschüsse erzielen mussten.
       
       23 Aug 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrike Herrmann
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwellenländer
 (DIR) Schwerpunkt Finanzkrise
 (DIR) Spekulation
 (DIR) US-Notenbank
 (DIR) Schwerpunkt Türkei
 (DIR) Erdöl
 (DIR) Menschenrechte
 (DIR) Schwerpunkt TTIP
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Stabilität der Bankensysteme gefährdet: Janet Yellen regiert die Welt
       
       In dieser Woche könnte die Chefin der US-Notenbank Fed eine Anhebung der
       Leitzinsen verkünden. Das wird die Weltwirtschaft hart treffen.
       
 (DIR) Keine Regierungsbildung in der Türkei: Erdogan ruft Neuwahl aus
       
       In der Türkei ist die Bildung einer Koalitionsregierung gescheitert.
       Präsident Erdogan hat nun wie erwartet eine Neuwahl in zwei Monaten
       ausgerufen.
       
 (DIR) Krise durch fallenden Ölpreis: Wenn Gold nicht mehr schwarz ist
       
       Öl ist billig, der Dollar teuer: Viele Schwellenländer rutschen derzeit in
       eine tiefe Wirtschaftskrise. Jetzt ziehen Investoren ihr Geld ab.
       
 (DIR) Kreditvergabe bei der Weltbank: Sozialstandards adé
       
       Es gibt neue Richtlinien für die Finanzierung von Großprojekten in
       Entwicklungsländern. Sie achten wenig auf Menschenrechte und Vertreibung.
       
 (DIR) Bischof Franz-Josef Overbeck über TTIP: „Es geht nicht allein um Wirtschaft“
       
       Die Entwicklungsländer müssten mit an den Verhandlungstisch, sagt Overbeck.
       Zur Not wird die Kirche gegen TTIP klagen.