# taz.de -- Die Wahrheit: Junior und die weisse Frau
       
       > Die Kundin sollte immer Königin sein, auch wenn sie irgendwo in
       > Deutschland nach dem Weg zum Empire State Building fragt.
       
       Die alte Frau mit den langen weißen Haaren und der Gorilla standen vorm
       Kühlregal in Ümits Supermarkt, und Ümit, der mit Raimund und mir zwischen
       Nudeln und Reis in Deckung gegangen war, sagte: „Meint ihr, dass der echt
       ist?“ Wir zuckten die Schultern, während die Frau zwei Joghurtbecher
       hochhielt. „Mango-Sahne oder Rhabarber-Vanille?“, fragte sie. Der Affe
       schnaubte verdrossen. „Herrschaftszeiten“, sagte die Frau: „Tarantel, immer
       bloß Tarantel! Wenn der Herr ausschließlich Joghurt mit Tarantelstücken
       essen will, muss er halt zu Hause bleiben!“
       
       Wir schlichen vorsichtig hinaus und duckten uns hinter die
       Wassermelonenpyramide auf dem Gehsteig. „Was soll ich tun, die Polizei
       anrufen?“, fragte Ümit. „Und was“, erwiderte Raimund, „willst du dem
       diensthabenden Telefonkommissar erzählen? Dass in deinem Laden ein Gorilla
       steht, der nach Taranteljoghurt verlangt?! Es würde keine fünf Minuten
       dauern, bis hier zwei sehr verständnisvolle Pfleger vorfahren, die dir eine
       Jacke ohne Ärmel überstülpen und dich zu einem längeren Kuraufenthalt in
       die Waldklinik Ochsenforst chauffieren.“
       
       Unterdessen trippelte die alte Dame um die Melonenpyramide herum und hielt
       Ümit einen zerknitterten Geldschein vor die Nase „Können Sie den
       wechseln?“, fragte sie. Auf dem Schein stand „Skull Island Bank /One
       Million Kong“, und auf der Rückseite war eine Insel abgebildet, die
       tatsächlich wie ein riesiger, palmenbewachsener Totenschädel aussah, der
       komplett aus dem Ozean ragte.
       
       Auch der Affe trat jetzt aus dem Supermarkt. Er trug einen Armvoll
       Joghurtbecher und schüttete sich den Inhalt eines Bechers in den Schlund.
       Dazu hielt er das Behältnis hoch und presste es mit einer Hand aus wie eine
       Zitrone. Ümit kam ins Schwitzen. Dann sagte er zu der Lady: „Lassen Sie
       nur. Ein Geschenk des Hauses. Sie sind meine tausendste Kundin!“ - „Sehr
       schön“, sagte die: „Wenn Sie mir nun noch den Weg zum Empire State Building
       erklären würden.“
       
       Sie faltete einen Stadtplan auseinander, ebenso zerschlissen wie der
       Geldschein, und Raimund kicherte: „Ganz einfach, Sie kaufen sich zwei
       Flugtickets nach New York und …“ Weiter kam er nicht, denn der Gorilla
       grunzte böse. „Hören Sie“, sagte die Alte spitz, „wir sind nicht
       hergekommen, um uns veräppeln zu lassen!“ – „Aber Sie sind nicht in New
       York!“, sagte ich, doch der Gorilla grunzte wieder und die Frau schnappte:
       „Papperlapapp, ich bin zusammen mit Juniors Opa schon auf dem Empire State
       gewesen, als Sie noch in Abrahams Hobbykeller standen!“
       
       Der einzige, der sehr genau spürte, was zu tun war, war Ümit. „Sie haben
       vollkommen recht, Gnädigste“, sagte er mit der Liebenswürdigkeit des
       orientalischen Gentlemans. Dann zeigte er auf das Goethedenkmal am
       Goetheplatz, und während sich im Gesicht der alten Dame ein verklärtes
       Lächeln breitmachte und der Gorilla zufrieden brummend den nächsten Joghurt
       auspresste, sagte er: „Sie gehen links an der Freiheitsstatue vorbei und
       biegen dahinten in die Church Street, die …“
       
       10 Aug 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Joachim Schulz
       
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