# taz.de -- Ukrainische Flüchtlinge in Russland: Kein propagandistischer Nutzen mehr
       
       > Vor Jahresfrist wurden die geflohenen Menschen noch wie lange vermisste
       > Heimkehrer begrüßt. Jetzt ist das Verhältnis deutlich abgekühlt.
       
 (IMG) Bild: Ukrainerinnen in einem Flüchtlingslager in Svatovo in der Region Lugansk.
       
       MOSKAU taz | Vor einem Jahr waren sie noch umworben. In der Hochphase des
       nationalen Überschwangs wurde fast jeder Flüchtling aus dem Osten der
       Ukraine in Russland wie ein lange erwarteter Gast willkommen geheißen.
       Zumindest vor laufenden Kameras. Inzwischen hat sich das Verhältnis etwas
       abgekühlt.
       
       Nach Schätzungen des Föderalen Migrationsdienstes (FMS) halten sich zurzeit
       mehr als eine Million ukrainische Flüchtlinge in Russland auf. Etwa 900.000
       wollten für immer bleiben, teilte die Behörde mit. Bislang beantragten
       225.000 Ukrainer eine vorübergehende Aufenthaltserlaubnis. Rund 100.000
       schrieben sich für die Teilnahme an einem Programm ein, das den Erhalt der
       russischen Staatsbürgerschaft beschleunigen soll und 48.000 beantragten ein
       Bleiberecht.
       
       „Die Bewilligungen sind in diesem Jahr drastisch zurückgegangen“, sagt
       Swetlana Ganuschkina von der NGO „graschdanskoe sodeistvie“
       (Staatsbürgerliche Hilfe). Im Vergleich zum Vorjahr sei nur noch einem
       Bruchteil der Aufenthaltsanträge stattgegeben worden. Nach der Annexion der
       Krim half zunächst die nationale Begeisterung, die sonst hohen
       bürokratischen Schranken zu schleifen. Inzwischen ist der Anschlussbonus
       jedoch verbraucht und die potenziellen Neubürger sind in Russlands harscher
       Realität angekommen.
       
       „Die Bevölkerung hat kein großes Interesse mehr“, meint Ganuschkina. Auch
       Jewgeni Bobrow vom Rat für Menschenrechte beim russischen Präsidenten
       beobachtet ein wachsendes Desinteresse. Bobrow zweifelt überdies an den
       offiziellen Angaben des FMS, wonach mehr als 500.000 Flüchtlinge in
       Russland bei Verwandten, Freunden oder in angemieteten Privatwohnungen
       untergeschlüpft sein sollen.
       
       In den 369 Auffanglagern landesweit leben zurzeit nur 21.000 Menschen. Nach
       und nach bauen auch regionale Behörden Aufnahmekapazitäten schon wieder ab.
       „Die Machthaber waren nie ernsthaft an den Problemen dieser Menschen
       interessiert“, sagt Bobrow. Von dem staatlichen Programm „Russland kümmert
       sich um Flüchtlinge“, das letztes Jahr landauf, landab propagiert wurde,
       ist nichts mehr zu hören.
       
       Auch der Leiter des Moskauer Instituts für nationale Strategie, Michail
       Remisow, beklagt das auffallende Desinteresse von offizieller Seite. „In
       den Regionen versuchen die Behörden an höherer Stelle beschlossene
       Maßnahmen entweder zu beschneiden oder Flüchtlingshilfsprogramme ganz
       einzustellen.“ Der Grund: Manchmal fürchteten die Beamten, Hilfsleistungen
       könnten soziale Spannungen vor Ort noch verschärfen.
       
       Es lohne sich nicht mehr für Amtsträger, Millionen Rubel in das Wohl
       ukrainischer Flüchtlinge zu stecken, meint Jewgeni Bobrow. Der
       propagandistische Effekt sei verstrichen. Inzwischen müsse man fragen: Wer
       ernährt hier eigentlich wen? Will ein Neuankömmling alle bürokratischen
       Auflagen erfüllen, zahlt er für die Papiere mehrere hundert Euro.
       Angefangen beim monatlichen „Arbeitspatent“, der Arbeitserlaubnis, dem
       russischen Sprachnachweis und dem obligatorischen Geschichts- und
       Rechtstest bis hin zur vorübergehenden Registrierung. Die Papiere müssen
       dann noch übersetzt und notariell beglaubigt werden.
       
       ## Keine Garantie für medizinische Behandlung
       
       Schwierigkeiten bereitet auch die Krankenversicherung. Premier Dmitri
       Medwedjew wies die Behörden schon voriges Jahr an, Flüchtlinge in das
       System der russischen Pflichtversicherung aufzunehmen. Vergeblich. Eine
       Versicherungspolice ist meist nur gegen Bestechungsgeld zu haben. Aber auch
       sie böte Ukrainern keine Garantie, behandelt zu werden, so Bobrow.
       
       Für Ukrainer sei selbst die Arbeitssuche schwieriger, sagt Ganuschkina. Im
       Unterschied zu Mitbewerbern seien sie des Russischen mächtig und ließen
       sich nicht alles bieten. Zentralasiaten muckten nur selten auf.
       
       25 Jul 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus-Helge Donath
       
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