# taz.de -- Im griechischen Caféhaus: Exit aus dem Grexit
       
       > Seit Wochen verfolgen die Griechen gebannt die Verhandlungen zur
       > Schuldenkrise. Haben sie nie Pause? Über kleine Fluchten aus dem Alltag.
       
 (IMG) Bild: 7. Juli 2015: Suppenküche in der Athener Innenstadt.
       
       Athen taz | Eine Blondine in Shorts und Highheels kommt mit einer Pistole
       aus dem dunklen Gang. Ungelenk hält sie die silberne Automatic in ihrer
       rechten Hand, lässt sie weiter sinken, als sie in Richtung des
       sonnenbeschienenen Ausgangs stöckelt. „Nein, die Waffe muss drin bleiben“,
       sagt Dina, springt von den schwarzen Polstern am Empfang auf und nimmt der
       Besucherin widerstandslos die Waffe ab.
       
       Die junge blonde Frau ist noch ganz im Spiel befangen. Gerade erst hat sie
       als Mitglied von „CSI Athen“ in einem Raum nach Juwelendieben gefahndet.
       Die Tür öffnet sich erst, wenn die Aufgabe gelöst ist. „Athens Clue“ heißt
       diese Freizeitbeschäftigung der Athener, die sich seit zwei Jahren größter
       Beliebtheit erfreut.
       
       Zu zweit, zu fünft, gar zu acht lassen sie sich in einen Raum sperren und
       rätseln, was darin passiert sein könnte. „CSI Athen“ ist sehr gefragt, dann
       gibt es das „Mörder“-Zimmer, in einem anderen ist eine Pandemie
       ausgebrochen und die Besucher müssen innerhalb von 70 Minuten einen
       Impfstoff finden.
       
       Der 15-jährige Evans ist heute zum vierten Mal da, er und seine zwei
       Freunde wollen so lange weitermachen, bis sie alle zwölf Themenräume
       geschafft haben. Drei Frauen, alle in den Dreißigern, kommen von der Straße
       in den gekühlten Vorraum. Sie kichern wie Teenager, als sie sich für die
       „Illuminati“ entscheiden. Nun müssen sie herausfinden, wer den Papst
       ermordet hat.
       
       ## Angenehmer Nervenkitzel
       
       „Es ist eine angenehme Ablenkung“, sagt Andreas, der zum zweiten Mal im
       Rätselhaus ist und drei Freundinnen von der Insel Kos mitgebracht hat.
       Andreas lädt sie ein, zehn Euro pro Person, das ist viel in diesen Tagen,
       aber den Nervenkitzel will er mit seinen Freundinnen teilen, die sich das
       Vergnügen nicht leisten können.
       
       Zu Hause, sagt Andreas, laufe ständig der Fernseher, der Bildschirm
       geviertelt, in jedem Kästchen quatscht einer aus Brüssel, Berlin, Athen
       über die Verhandlungen mit der EU, über den bis gestern drohenden Grexit
       und den wirtschaftlichen Niedergang Griechenlands „Zu Hause kann ich nicht
       entspannen“, sagt Andreas, der seit einem halben Jahr in höherer Funktion
       für die Syriza-Regierung arbeitet. „Da gibt es kein Entkommen aus der
       Realität.“
       
       Dann lieber spielen. Andreas und seine Freundinnen aus Kos werden heute in
       eine Bank einbrechen. „Ziel ist es, so viel Geld wie möglich mitzunehmen“,
       sagt Andreas, und sein massiger Körper bebt vor Lachen. Auch er hat heute
       wieder am Geldautomat angestanden, um den täglichen 50-Euro-Schein
       abzuheben. Mehr geben die Automaten schon seit Tagen nicht mehr aus, obwohl
       jeder Grieche 60 Euro am Tag abheben darf. Seine heutige Zuteilung
       investiert Andreas in den virtuellen Banküberfall.
       
       ## „Drachmatic“, sagt einer
       
       Das Wort Grexit fliegt durch die Cafés und über die Tische auf den Straßen
       in Athen, seit Wochen schon, lange bevor Deutschlands Finanzminister
       Wolfgang Schäuble am Sonntag einen Ausstieg der Griechen auf Zeit aus dem
       Euro vorgeschlagen hat. „Drachmatic“, sagt einer am Donnerstag vergangener
       Woche zum drohenden Grexit und freut sich über sein Wortspiel, wenngleich
       er auch nicht weiß, was dann aus seinem Land werden soll.
       
       Sein Nachbar ist froh, wenn die Zeit mit dem unseligen Euro endlich vorbei
       ist und Griechenland sein eigenes Ding mit seiner eigenen Währung machen
       kann. „Es wird sehr hart werden für uns – so oder so“, sagt er, der Dozent
       an der Universität ist, aber nicht mehr darüber sprechen will.
       
       Der Grexit und auch der Graccident, auf den es seit dem Referendum am 5.
       Juli hinauslief, geht den Griechen so leicht über die Lippen wie Freddo
       Cappuccino, der gemixte Espresso auf einer Handvoll Eiswürfel mit einer
       Kappe aus geschäumter Milch und Zucker. Damit ist für diesen Moment im Café
       alles wieder so wie früher. „Auf einen Kaffee gehen, das ist unsere
       Philosophie“, sagt Dina vom „Athens Clue“, wo sie zwölf Mitarbeiter leitet.
       Ihre schwarzen Haare hat sie zu einem Pferdeschwanz gebunden, der so hoch
       am Kopf sitzt, dass er bei jeder Bewegung dynamisch wippt. „Am liebsten
       treffen wir uns mit unseren Freunden im Café und reden den ganzen
       Nachmittag und Abend“, sagt Dina, die sich das wie die meisten im Moment
       nur noch freitags und samstags leisten kann.
       
       In kleinen Schlucken ziehen die Athener ihr Lieblingsgetränk Kaffee durch
       einen Strohhalm, auch ohne Milch, aber in diesen heißen Tagen des Juli 2015
       immer auf Eis, im Mixer fast schon zu einem Frappé gewirbelt, und reden,
       politisieren, rauchen, erzählen, erfinden Verschwörungen, wälzen Theorien.
       Wie die, wonach die Deutschen eine Mehrwertsteuer von 23 Prozent für die
       Hotels auf den griechischen Inseln wollen, weil die Hotels an der
       türkischen Küste deutschen Unternehmen gehören, die in der Türkei nur acht
       Prozent Steuern zahlen und dann einen Vorteil im Wettbewerb um die
       Touristen hätten.
       
       Der in Brüssel am Montag verabredete Treuhandfonds wird diese Fantasien
       beflügeln und die Theorien über die internationale Finanzwirtschaft und die
       Konzerne nähren.
       
       ## Überlebensstrategien
       
       Geschichten schäumen den Kaffee, mit denen die Griechen erklären wollen,
       was seit Jahren in ihrem Land geschieht und was dennoch unverständlich
       bleibt. Sie reden und reden „über Politik und Religion, Religion und
       Politik“, sagt Elena, die ihren richtigen Namen nicht nennen möchte und
       gleich in die Politik einsteigt, obwohl sie genug davon hat.
       
       „Das Land ist in Agonie“, sagt sie, die 1955 in dem Viertel Makrigianni
       unterhalb der Akropolis geboren wurde, wo sie heute noch lebt. Die Athener
       Mittelklasse wohnt hier, Sekretärinnen wie Elena, Angestellte, Beamte. Mit
       ihrer Schwester kauft sie griechischen Käse, fünf Pakete, eingeschweißt,
       damit er sich auch ein paar Tage im Kühlschrank hält, sollten die Geschäfte
       in dieser Woche keine Lebensmittel mehr haben. Reis, Nudeln, Kichererbsen
       haben Elena und ihre Schwester schon vor Wochen gebunkert. So wie alle, die
       es sich leisten konnten, haben sie wochenlang die Vorräte zu Hause
       aufgefüllt. „Wir sind nicht faul“, sagt Elena mit Nachdruck, mehrmals, sie
       kennt die Schlagzeilen aus deutschen Zeitungen.
       
       Reden gehört zur Kultur Griechenlands, palavern, quatschen. Was
       protestantischen Nordeuropäern wie das Totschlagen der Zeit bei Kaffee und
       Zigarette erscheinen mag und was ein Wolfgang Schäuble in seinem
       pietistischen Wahn vom Sparen nie verstehen wird, macht das Leben am
       Mittelmeer überhaupt erträglich. Das Reden mit Freunden ist eine
       Überlebensstrategie der Griechen, die sie nicht erst in der Krise lernen
       mussten, die ihnen aber nun im tödlich scheinenden Stillstand des Landes
       hilft.
       
       Agonie, der Todeskampf. Wer über die Angst vorm Sterben spricht,
       erleichtert seine Seele. Ein alter Mann schenkt einem Rom-Jungen 20 Cent,
       als der mit einem Akkordeon durch die U-Bahn geht. Ein Bäcker reicht einem
       stammelnden jungen Mann mit drogenleeren Augen im Exarchia-Viertel einen
       Becher mit zwei Kugeln Eis aus dem Laden, das dieser gierig schleckt. Einen
       Sesam-Ring klemmt der Bäcker dem Jungen auch noch unter den Arm, der sich
       damit trollt.
       
       ## Unter Göttern
       
       „Jetzt ist die Zeit, um die wahren Werte zu sehen“, sagt Ioanna. „Liebe,
       Gewaltlosigkeit, Mitgefühl, Großzügigkeit, Friede.“ Bei jedem Wort breitet
       sie den rechten Unterarm aus, als würde sie in dem cremefarbenen Kleid
       durch ihren Garten gehen und säen. Wie so viele Griechen mit Garten
       versorgt sie sich mit Tomaten, Gurken, Zucchini selbst. Doch auch die Seele
       braucht Nahrung, und die finden die gläubigen Griechen in Ioannas Laden im
       sogenannten Anarchisten-Stadtteil Exarchia. Dort versorgt sie die Menschen
       mit Buddha-Figuren, dem indischen Elefantengott Ganesha, Räucherstäbchen,
       tibetischen Gebetsfahnen, Amuletten, Schriften von Osho und dem Dalai Lama.
       Vom Olymp der Regalbretter wachen Zeus, Apollo, Athene und die anderen
       griechischen Götter in Bronze.
       
       Ioanna nennt Ministerpräsident Tsipras „Alexis“, wenn sie von ihm spricht,
       und ihre Augen blitzen, wenn sie, olala, vom zurückgetreten Finanzminister
       Gianis Varoufakis redet. „Wir haben so lange auf jemanden wie Alexis
       gewartet“, sagt Ioanna. „Er kann das ganze System verändern“, und dabei
       denkt sie nicht in ideologischen Rastern.
       
       Sie mag keine Religionen und keine Ideologien. Ihr geht es um die wahren
       Werte. Der Konsum habe die Seelen der Griechen ausgehöhlt, und wie sie dort
       mit wallenden honigfarbenen Haaren inmitten von Buddha und blauweißen
       Fatima-Amuletten steht, ähnelt Ioanna der Demeter auf dem obersten
       Regalbrett. Ein bisschen Heilserwartung schadet nicht, auch die vier
       Päckchen Räucherstäbchen, die eine Kundin kauft, werden die Geister der
       Angst in der Agonie vertreiben, ebenso wie die Gebete und die Kreuze, die
       Griechen vor der Brust schlagen, wenn sie an einer Kapelle vorbeigehen.
       
       „Was wahr ist, wird sich niemals ändern“, sagt Ioanna, doch die Menschen
       denken nur an Autos, Häuser, Klamotten, Smartphones, Geld, Geld, Geld. „Der
       Materialismus beherrscht unser Leben – nicht nur in Griechenland, überall
       in Europa“.
       
       Diese Beobachtung hat sie von ihren Reisen mitgebracht. „Das macht die
       Menschen unglücklich“, sagt Ioanna. „Wir müssen das ändern – und damit kann
       das griechische Volk Europa verändern.“
       
       14 Jul 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrike Fokken
       
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