# taz.de -- Kommentar Mittelmeer-Flüchtlinge: Italien gegen Europa
       
       > In der EU stellen sich Staaten gerne taub und dumm, wenn es um
       > Verteilungsquoten für Flüchtlinge geht. In Italien regt sich Widerstand.
       
 (IMG) Bild: Die deutsche Marine rettet mittlerweile auch Menschen im Mittelmeer. Einen ähnlichen Schwenk will Italiens Regierungschef Renzi auch in der Frage, wer für die Flüchtlinge eigentlich zuständig ist.
       
       Der Streit um die Flüchtlinge geht in eine neue Runde. Seit Monaten fordert
       die Regierung in Rom die Solidarität des Kontinents – doch die meisten
       EU-Staaten stellen sich taub, wenn es um die Aufnahme von Flüchtlingen
       geht.
       
       So war es auch, als Italien die Mithilfe der anderen bei den
       Rettungseinsätzen im Mittelmeer einforderte. Deutschland, Frankreich,
       Großbritannien zuckten mit den Schultern und zogen sich aufs EU-Recht
       zurück: Es sei allein Italiens Sache, sich um die Boat People vor der
       eigenen Küste zu kümmern. Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière
       kritisierte sogar die humanitäre Mare Nostrum-Mission, weil diese angeblich
       als Magnet wirke.
       
       Es bedurfte der Katastrophe vom April, als vor Libyens Küste 800 Menschen
       ertranken, um für ein Umdenken zu sorgen. Was lange Zeit nicht ging, war
       plötzlich möglich: Jetzt rettet auch die deutsche Marine Menschen im
       Mittelmeer.
       
       Einen ähnlichen Schwenk will Italiens Regierungschef Matteo Renzi jetzt
       auch in der Frage, wer für die einmal angekommenen Flüchtlinge eigentlich
       zuständig ist: bloß Italien oder nicht doch ganz Europa?
       
       ## Der Druck fehlt
       
       Diesmal jedoch kann er nicht auf die Kraft schockierender Bilder zählen.
       Jene Bilder lösten Entsetzen, Mitgefühl, Betroffenheit aus, sie brachten
       die anderen Regierungen Europas auch unter Druck der öffentlichen Meinung
       und erzwangen einen Schwenk in der Rettungspolitik.
       
       Eben jener Druck fehlt bei der Frage, wer sich am Ende der Eritreer, Syrer
       oder Sudanesen wirklich annehmen soll. Da wird das Mittelmeer plötzlich
       wieder bloß zu Italiens, nicht zu Europas Grenze, da pocht das Gros der
       EU-Regierungen auf die Einhaltung der Dublin-Regeln, nach denen allein das
       Erstaufnahmeland für „seine“ Flüchtlinge zuständig ist.
       
       Es ist nur zu verständlich, dass Italien diesem Spiel ein Ende zu setzen
       sucht. Es ist nur zu verständlich, dass die meisten Syrer oder Eritreer –
       die oft genug Verwandte im Norden Europas haben – absolut nicht einsehen,
       warum sie südlich der Alpen hängenbleiben sollen. Und es leuchtet ein, dass
       Italien auf seine Weise reagiert. Bisher schon unterläuft es die
       Dublin-Abkommen, indem es bei der Identifizierung der Flüchtlinge recht
       unlustig zur Sache geht, indem es viele durch die Maschen schlüpfen lässt
       und ihnen so die Möglichkeit öffnet, die Grenzen nach Norden zu überqueren.
       
       ## Europa muss in den Spiegel schauen
       
       Jetzt droht Renzi einen Schritt weiterzugehen und dem stillen den offenen
       Regelbruch folgen zu lassen, wenn das EU-Innenministertreffen am Dienstag
       keine Fortschritte bringen sollte. In Rom kursieren Überlegungen, die
       Flüchtlinge in Zukunft umgehend mit einer provisorischen
       Aufenthaltserlaubnis für sechs Monate zu versorgen: Damit könnten sie dann
       problemlos nach Frankreich oder Deutschland weiterreisen.
       
       Wenigstens eines dürfte er damit erreichen: Europa wäre endlich gezwungen,
       in den Spiegel zu schauen. Und es wäre gezwungen zu entscheiden, ob es
       Schengen beiseitelegen und die innereuropäischen Grenzen wieder zumachen
       will – oder ob es vom Dublin-Regelwerk Abschied nehmen und endlich zu einer
       humanen und solidarischen Aufnahmepolitik schreiten will.
       
       16 Jun 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Braun
       
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