# taz.de -- Theaternachwuchs trifft sich: „Ich möchte, dass der Flirt weitergeht“
       
       > Die Hamburger Theaterregisseurin Paulina Neukampf ist zum Theatertreffen
       > des „Körber Studio Junge Regie“ eingeladen.
       
 (IMG) Bild: Keine Furcht vor den großen Namen und der Ferne: Paulina Neukampf.
       
       HAMBURG taz | Sie hatten es nicht erwartet. Wie wild haben sie sich also
       darüber gefreut! Mit ihrer Inszenierung von „FaustIn and out“ von Elfriede
       Jelinek sind Paulina Neukampf und ihr Schauspielerinnen-Team zum
       diesjährigen „Körber Studio Junge Regie“ in Hamburg eingeladen. Das heute
       beginnende Theaterfestival versammelt ausgewählte Produktionen von
       NachwuchsregisseurInnen aus dem ganzen deutschsprachigen Raum.
       
       Bei „FaustIn and out“ schaut der Zuschauer gut eine Stunde lang in einen
       Keller. Wo es dunkel und bedrückend eng ist, einerseits. Wo andererseits
       sieben Frauen leben, die um ihren Platz in der Welt ringen, die von ihren
       Depressionen erzählen, die schwanger werden, die eine Ausgabe des Faust
       gebären. Die sich ins Wort fallen, die minutenlang hysterisch lachen, die
       wieder ernst und auch verzweifelt werden und die vor allem sprechen und
       sprechen und sprechen.
       
       Dabei kann der Bühnenkeller auch ganz real genommen werden: als der Keller,
       in dem Josef Fritzl 24 Jahre lang seine Tochter einsperrte. Als das Verlies
       des Wolfgang Priklopil, der Natascha Kampusch acht Jahre lang gefangen
       hielt. Und er geht eben auch als Auerbachs Keller durch, in dem Mephisto
       Faust die Welt neu erklärt, nach Männerart - damit die Frau nicht länger
       dieses große Rätsel bleibt.
       
       Ganz einfach war es für Paulina Neukampf nicht, das Stück im dritten Jahr
       ihres Regiestudiums auf die Bühne zu bringen: „Jelinek sagt ja, dass ihr
       Stück ein Sekundärdrama sei“, erzählt sie, „und daher nur im Zusammenhang
       mit Faust 1 und Faust 2 oder dem Urfaust aufgeführt werden darf.“ Also
       schickte sie der Autorin eine E-Mail: „Ich habe ihr geschrieben, dass ihre
       Gründe absolut verständlich seien, wir aber für unsere Studienprojekte die
       Vorgabe haben, dass ein Stück nicht länger als 60 Minuten sein darf und ich
       es so gerne machen möchte.“
       
       Und sie präsentierte Jelinek eine Idee: Während des Stücks würde auf einem
       kleinen Monitor die Filmfassung des Faust von Friedrich Wilhelm Murnau aus
       dem Jahr 1926 zu sehen - Faust wäre also die ganze Zeit anwesend! „Sie war
       sehr angetan - und als sie erfuhr, dass die Premiere im Thalia Gaußstraße
       sein soll, bot sie selbst eine Brücke an: Im Thalia-Haupthaus werde ja
       gerade Faust 1 und 2 gegeben, von daher ließe sich das verbinden.“
       
       Wie sie überhaupt zum Theater gekommen sei? Sie lacht, und sie sagt: „Das
       ist eine dieser schwierigen Fragen, warum man sich im Leben für etwas
       entscheidet, was man schon immer gespürt hat - es gibt keine klare Antwort.
       Ich könnte damit anfangen, wie ich schon mit fünf Jahren etwas gespielt
       habe, aber das macht ja jedes Kind. Von daher braucht man das nicht zu
       mythologisieren.“ Nur so viel: „Was mich am Theater so sehr anzieht, das
       ist diese Parallelwelt, die für mich viel realistischer ist als unsere
       Welt; und wo man viel komprimierter die Dynamiken zwischen Menschen sehen
       und dann untersuchen kann.“
       
       Sie beharrt überhaupt darauf, das ein Rest Rätsel bleibt: „Warum soll man
       alles bis zum Ende benennen und noch bis ins Kleinste durchdringen? Ich
       möchte, dass der Flirt mit dem Theater weitergeht, so wie ich auch zunächst
       keine Ahnung habe, wenn ich inszeniere, ob das gut ist. Ich kann nur sagen:
       Da ist eine verrückte Energie, die mir gefällt; da ist Potenzial.“
       
       Sie wächst in der Kleinstadt Miedzyzdroje auf der Insel Wolin auf. Die
       Ostsee liegt vor der Haustür, 15 Kilometer sind es bis zur deutschen
       Grenze. „Deutschland war mir immer sehr nahe, man traf immer wieder
       Deutsche. Ich habe auch Deutsch in der Schule gehabt, auch wenn ich lange
       nichts anderes sagen konnte als ,Ich heiße Paulina und komme aus Polen‘.“
       Sie studiert technische Kybernetik, wechselt zu polnischer Philologie,
       spielt nebenher Theater in freien Projekten, ist auch in Sachen
       Performances unterwegs, arbeitet als Radiojournalistin, als Sprecherin.
       2004 macht sie ihren Abschluss als Lehrerin und immer wieder unterrichtet
       sie Polnisch.
       
       Ein Schweizer aber wird sie erst einmal nach Japan einladen. Ein
       Butoh-Tänzer und sie selbst werden in dem Jahr, das sie in Japan verbringt,
       dreimal die Woche Butoh-Tanzunterricht nehmen. Sie tritt nie auf, aber sie
       lernt die Kraft und die Präsenz des Körpers zu schätzen, nicht unwichtig
       für ihre heutigen Regiearbeiten. Dann will der Schweizer zurück ins
       Deutschsprachige.
       
       Wohin geht man dann, wenn man jung ist und voller Ideen, aber ohne viel
       Geld? Man geht nach Berlin. „Wir hatten am Anfang kaum Freunde, wir suchten
       uns erste, kleine Jobs, aber in Berlin geht das, dort machen das viele so,
       in Hamburg wäre das nicht gegangen, wo man umgeben ist von Leuten, die viel
       Geld haben oder die viel Geld verdienen.“
       
       Nach Hamburg führt sie das Unterrichten und in gewissen Sinne auch Luk
       Perceval, der seit 2009 leitender Regisseur am Thalia-Theater ist. „Ich
       kannte seine Inszenierungen von der Berliner Schaubühne her, doch ich
       wusste gar nicht so genau, wer dieser Luk Perceval eigentlich ist. Aber ich
       habe mich hingesetzt und ihm geschrieben.“ Sie schlägt ihm vor, er solle
       sie als Schauspielerin besetzen. Davon will er nichts wissen, doch er
       bietet ihr an, dass sie ihm, wann immer es geht, bei seiner Arbeit
       zuschauen kann.
       
       Ein Freund bringt sie schließlich auf die Idee, Theaterregie zu studieren.
       Und zwar an der Theaterakademie in Hamburg, nicht an der Ernst-Busch-Schule
       in Berlin. Für deren brachialen Stil, Schüler erst auseinanderzunehmen und
       dann wieder zusammenzusetzen, sei sie schon viel zu erfahren und daher
       ungeeignet. Vier Jahre dauert ihr Studium, ihre Diplominszenierung wird
       Ödön von Horvaths „Geschichten aus dem Wiener Wald“.
       
       Aber jetzt wirft sie sich mit ihrer Jelinek-Fassung ins Getümmel. Zwei Tage
       hat sie Zeit, auf der bisherigen Arbeit aufzubauen, alles noch einmal
       aufzufrischen. Viel Zeit ist das nicht. Aber es wird schon reichen. Und
       wenn in Hamburg danach niemand auf sie zugehen sollte: Lars-Ole Walburg,
       Intendant des Staatstheaters Hannover, hat sie jüngst für eine Produktion
       engagiert.
       
       Festival „Körber Studio Junge Regie“: bis Sonntag, [1][Thalia] Gaußstraße,
       Gaußstraße 190, Hamburg
       
       9 Jun 2015
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.thalia-theater.de/koerber
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Frank Keil
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Thalia-Theater
 (DIR) Thalia-Theater
 (DIR) Regisseur
 (DIR) Hannover
 (DIR) Deutsches Theater
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Politischer Regisseur-Nachwuchs: Klamauk wird Tragik
       
       Die Themen der zum Hamburger Theaterfestival „Körber Studio Junge Regie“
       Geladenen reichten vom Rechtspopulismus bis zum Flüchtlingsschicksal.
       
 (DIR) Intendant bleibt in Hannover: „Das macht derzeit großen Spaß“
       
       Lars-Ole Walburg bleibt bis 2019 Intendant in Hannover – und will etwas von
       der im Theater abgeladenen Verantwortung zurückgeben an die Gesellschaft.
       
 (DIR) Autorentheatertage in Berlin: „Die Welt ist alles, was der Unfall ist“
       
       Ferdinand Schmalz hatte mit „am beispiel der butter“ sein Debüt. Nun
       eröffnet er mit „dosenfleisch“ das Festival am Deutschen Theater.