# taz.de -- Debatte Syrien-Krieg: Steinsuppen-Komplott
       
       > In der aktuellen Situation bedeuten Feuerpausen nur noch mehr Tote. Sie
       > helfen nicht, eine politische Lösung zu finden.
       
 (IMG) Bild: Al-Aqsa-Rebellen in einem Tank auf der Autobahn zwischen Aleppo und Latakia
       
       Die Geschichte von der Steinsuppe ist uralt. Sie erzählt davon, wie
       hungrige Fremde die Dorfbewohner dazu bringen, am Ende doch ihr Essen mit
       ihnen zu teilen. Sie füllen einen großen Topf mit Wasser und legen einen
       großen Stein hinein. Dann warten sie, bis die ersten Neugierigen
       vorbeikommen. Denen erklären sie, dass ihre Steinsuppe fantastisch schmecke
       und sie diese gerne mit jedem teilen, der nur eine Zutat beisteuere. Nach
       und nach spricht sich die Steinsuppen-Geschichte herum und die Dörfler
       kommen und bringen Gemüse und Fleisch mit, bis die Suppe tatsächlich
       fantastisch schmeckt. Am Ende sind alle satt und glücklich.
       
       Erst vor zwei Wochen hörte ich diese Geschichte wieder, und zwar auf einer
       Konferenz in Beirut zum Thema Waffenstillstand und Peace Building in
       Syrien.
       
       Auf der Konferenz diskutierten Aktivisten und Experten über Feuerpausen,
       die sie entweder selbst erlebt oder genau verfolgt hatten. Viele fanden
       Waffenstillstände eine gute Idee. Doch ich fragte mich immer wieder: Auf
       Syrien übertragen – welche konkreten Folgen haben Waffenpausen dort für die
       Leute vor Ort? Natürlich hört es sich prinzipiell gut an, eine
       Unterbrechung der Kämpfe zu fordern, zumindest theoretisch:
       Waffenstillstände gibt es überall auf der Welt, denn Menschen können ja
       nicht auf ewig gegeneinanderkämpfen, warum sollten sie in Syrien nicht
       funktionieren?
       
       Gleichzeitig bedeuten sie für die jeweils betroffene Gegend eine enorme
       Entlastung und können daher die Basis für eine längerfristige Lösung sein.
       
       ## Kapitulation statt Waffenstillstand
       
       Sie auszuhandeln ist ein langwieriger Prozess. Werden sie einmal nicht
       eingehalten, heißt das nicht, dass sie nicht doch noch später zustande
       kommen können. Und letztlich sind sie die einzige Möglichkeit, in Syrien
       die tägliche Gewalt zu beenden, denn es wird kein internationales
       Engagement für Syrien geben. Was also ist die Alternative?
       
       So weit, so gut. Doch sieht man die konkrete Situation an, kommen Zweifel
       auf. Zunächst handelt es sich bei solchen Deals bislang zumeist um
       Kapitulationen und nicht um einen Waffenstillstand.
       
       Die verhandelten Bedingungen werden nie eingehalten, vor allem seitens des
       Assad-Regimes nicht. Stattdessen benutzt es sie als Teil seiner Strategie,
       die eine Region zu befrieden, um Truppen abziehen zu können, damit eine
       andere angegriffen werden kann. Später kehren die syrischen Armeen zu den
       befriedeten Orten zurück, besetzen sie und hungern die Bevölkerung aus und
       nehmen massenhaft Verhaftungen vor.
       
       Das ist möglich, da es an glaubwürdigen Mediatoren sowie generell
       unabhängigen Kontroll- und Durchsetzungsmechanismen fehlt. Und überhaupt an
       vertrauensbildenden Maßnahmen. Ergo gibt es keine erfolgreichen Beispiele
       in Syrien, die als Vorbild dienen könnten.
       
       ## Assad verschärft die Kämpfe
       
       Gegen diese Vorbehalte lässt sich einwenden, dass bei allen Schwierigkeiten
       und Einschränkungen in Syrien eine schlechte Idee immerhin besser ist als
       gar keine. Und wenn der Waffenstillstand nur einer Person hilft, ist das
       besser als nichts.
       
       Das ist natürlich prinzipiell richtig, doch widerspricht es anderen
       wesentlichen Prinzipien: Du sollst niemanden töten. Denn sobald die
       Vorbereitungen für die Verhandlungen für einen Waffenstillstand beginnen,
       verschärfen sich die Kämpfe. Alle Seiten wollen schließlich Druck aufbauen.
       Gemeinhin ist das der Preis, den die Menschen zahlen müssen oder auch
       bereit sind zu zahlen, um Frieden zu erlangen, und sei es nur ein
       vorübergehender.
       
       Doch in Syrien bezahlen die Menschen diesen blutigen Preis – ohne etwas
       dafür zu bekommen. So haben die vereinbarten Feuerpausen de facto stets zu
       noch mehr Opfern geführt. Denn die Kämpfe intensivieren sich nicht nur vor
       den Verhandlungen, sondern auch nachdem die Waffenruhe wieder gebrochen
       wurde – um die gegnerische Partei wieder an den Verhandlungstisch zu
       zwingen.
       
       So gesehen, ist keine Idee manchmal besser als eine schlechte Idee –
       insbesondere wenn Letztere noch mehr Opfer verlangt und den
       Verantwortlichen darüber hinaus noch eine Entschuldigung liefert, nicht
       weiter nach anderen, wirklichen Lösungen zu suchen, um den Krieg
       tatsächlich zu beenden.
       
       ## Den richtigen Zeitpunkt für eine politische Lösung suchen
       
       In der arabischen Welt kursiert noch eine zweite Version der
       Steinsuppen-Geschichte: Eine arme Frau lebt mit ihren kleinen Kindern in
       einem Zelt und kann sie ohne die Hilfe von anderen nicht versorgen. Wenn
       immer ihr mal wieder das Geld fehlt, um Essen zu kaufen, füllt sie einen
       Topf mit Wasser und Steinen und stellt ihn aufs Feuer. Denn die hungrigen
       Kinder sollen denken, sie würde kochen, gleich gäbe es etwas zu essen. Dann
       bittet sie die Kinder, noch ein bisschen zu schlafen, und verspricht, sie
       zu wecken, sobald sie fertig ist.
       
       Und immer, wenn sie aufwachen und nach dem Essen fragen, redet sie ihnen
       gut zu, doch noch ein bisschen weiterzuschlafen, und versichert, sie
       rechtzeitig zu wecken. So vergeht ein Tag ohne Nahrung und schließlich
       schläft auch die Mutter ein in der Hoffnung, am nächsten Tag genügend Geld
       zu haben, um den Hunger ihrer Kinder zu stillen.
       
       Ein Waffenstillstand ist nur dann ein richtiger Schritt, wenn er Teil eines
       nachhaltigen, konsistenten Friedensplanes oder zumindest einer größeren
       Lösung ist. Das sollte man bedenken, wenn die Forderung nach Waffenruhe
       erhoben wird und viele ihr blind zustimmen – ohne zu überlegen, welche
       Folgen sie für die verhandelnden Gruppen und vor allem für die Leute in der
       Region hat.
       
       Natürlich dürfen wir deshalb nicht aufhören, neue Wege zu finden, um Syrien
       zu helfen oder die Bedingungen für einen Waffenstillstand zu verbessern,
       damit er überhaupt gelingen kann. So lange, bis auch in Syrien endlich der
       richtige Moment für eine politische Lösung gekommen ist.
       
       Übersetzung aus dem Englischen: Ines Kappert
       
       10 Jun 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Haid N. Haid
       
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