# taz.de -- ESC-Kolumne Genderwahl in Wien #10: Politische Fakten zum Finale
       
       > Dem ESC wird nachgesagt, er sei unpoltisch. Stimmt nicht. Da reicht schon
       > ein Blick auf Geschichte, Mitgliedschaften und Realitäten der einzelnen
       > Länder.
       
 (IMG) Bild: Team Ungarn am 22. Mai 2015 in Wien.
       
       Ein Eurovision Song Contest ist nur schlichten, rechten wie linken
       Gemütern, ein unpolitisches Ding. In Wahrheit lässt sich das Finalfeld der
       27 Acts am heutigen Samstag ab 21 Uhr im Fernsehen mit dem
       NDR-Radio-Grand-Ol'-Godfather-Kommentator Peter Urban (oder im
       Zweifelsfall: [1][eurovision.de]) folgendermaßen dekonstruieren: Der Anteil
       der Länder in der Endrunde, die bis 1993 noch zur TV-Kette Intervision
       zählten, beziehungsweise hinter dem Eisernen Vorhang ihr tristes (für
       Putinversteher: glorreich-entbehrungslustvolles) Leben lebten, ist hoch.
       
       In Zahlen: 10 Länder sind Mitglied der EU, 17 nicht. Zum sogenannt
       traditionell freien Westen gehören 13 Länder, 14 sind historisch zum
       Sozialismus zuzurechnen (einerlei ob sowjetischer oder
       jugoslawisch-titoistischer Einfärbung oder ob Enver-Hodscha-hafter
       Tradition wie in Albanien).
       
       In der Nato sind 17 Länder Mitglied, zehn jedoch nicht. Den Euro haben als
       Zahlungsmittel 12 Länder, 15 ist dies nicht gegeben. 7 Länder sind in der
       abendlichen Konkurrenz, die bis 1991 zur Sowjetunion gehörten (Estland,
       Lettland, Litauen, Aserbaidschan, Armenien, Georgien und Russland).
       
       Hätten Moldawien und Weißrussland besser gesungen, wären es gar neun. Die
       beim ESC stets erfolgreiche Ukraine ist nicht dabei – der
       öffentlich-rechtliche Sender hat nicht einmal Geld genug, um in der Wiener
       Stadthalle eine Kommentatorenbox anzumieten. Eine Exilukrainerin,
       verheiratet mit einem Oligarchen in Wien, hat sich als Journalistin
       akkreditieren lassen für den ESC und wird in Kiew vom Bildschirm aus die
       3,5-Stunden-Show auf Ukrainisch kommentieren.
       
       ## Queernessfaktor: fast null
       
       Erstmals seit Jahren haben alle drei baltischen Länder es ins Finale
       geschafft; ebenso erstmals sei Jahren fehlen vom stärksten Block der
       Punktewertungsbegünstigung, dem skandinavischen, drei der fünf Länder.
       Zufall oder Ausdruck der als krisenhaft empfundenen Zeit: Selten waren
       friedenserbittende, sozialflehende Lieder so stark im Rennen – zuletzt
       vielleicht 1990, als etliche Titel von Mauern, Brandenburger Tor und Europa
       handelten.
       
       Conchita Wurst hat voriges Jahr einen heterosexuellen Symbol-Backlash
       bewirkt: Im Finale sind heute fünf Mann-Frau-Paare vertreten, eines
       versucht gar für sich zu werben, indem es sich zum Ende ihrer drei Minuten
       Performance innig küsst (Litauen). Darüber hinaus gibt es einige
       Jungsgruppen (Österreich), Jungstanzgruppen (Israel) und sehr, sehr viele
       Frauen im langen Abendkleid. Die Windmaschine ist sehr oft in Wien vor der
       Bühne aktiv.
       
       Die präsenteste Person der Show wird kein Wettbewerbskünstler sein, keine
       der drei Moderatorinnen (Warum eigentlich keine drei Männer? Der ORF traute
       sich nicht.) – sondern Conchita Wurst. Sie singt zweimal und führt außerdem
       Interviews im Green Room, wo sich die Künstler vor und nach ihren
       Auftritten sehr telegen aufhalten.
       
       Der Frauenanteil an der Konkurrenz beträgt 58 Prozent (ohne
       BackgroundsängerInnen). Queernessfaktor an diesem Finalabend: jenseits von
       Conchita Wurst und dem belgischen Sänger: null. Ein eurovisonärer
       Rückschritt.
       
       Die Punktewertung beginnt gegen 23:10 Uhr.
       
       23 May 2015
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.eurovision.de/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan Feddersen
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Eurovision Song Contest
 (DIR) Schwerpunkt Eurovision Song Contest
 (DIR) Finale
 (DIR) Schwerpunkt Eurovision Song Contest
 (DIR) Schwerpunkt Eurovision Song Contest
 (DIR) Schwerpunkt Eurovision Song Contest
 (DIR) ESC 2015
 (DIR) Schwerpunkt Eurovision Song Contest
 (DIR) Wien
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Eurovision Song Contest 2015: Deutschland null Punkte
       
       Schweden hat mit diesem Sieg der ESC-Community den Dienst erwiesen, im
       kommenden Jahr nicht nach Sankt Petersburg oder Sotschi zu müssen.
       
 (DIR) ESC-Kolumne Genderwahn in Wien #9: Im Kamerafuttersilo
       
       Ein „Anti-Buh-Programm“ soll beim ESC in Wien Unmutsbekundungen
       herausfiltern. Leider wird das wohl auch funktionieren.
       
 (DIR) ESC-Kolumne Genderwahn in Wien #8: Aufmarsch der Verzweifelten
       
       Trachten, Zackigkeit und Verzweiflung: Was eine Kundgebung für die
       Förderung von Marschmusik mit den Klängen des ESC zu tun hat.
       
 (DIR) ESC-Kolumne Genderwahn in Wien #7: Blockwertung reloaded
       
       Abstoßende Weltverbesserungsschnulzen. Belohnt wurde in der ersten
       ESC-Qualifikationsrunde hauptsächlich die Nachbarschaft zu Russland.
       
 (DIR) ESC-Kolumne Genderwahn in Wien #6: Ein Lied kann eine Lüge sein
       
       War da nicht was mit der Krim? Die russische Interpretin Polina tritt beim
       ESC mit „Million Voices“ an – einem süßlichen Friedenslied.
       
 (DIR) ESC-Kolumne Genderwahn in Wien #5: Die Antifigur zum Hippietum
       
       Beim ESC wird für die Qualifikation generalgeprobt. Bereits im Finale:
       Australien. Der Debütant präsentiert sich routiniert und wie aus dem Ei
       gepellt.