# taz.de -- Freak Folk: Die Schmetterlingsschwestern
       
       > Wozu eine künstlerische Mutter und ein schamanischer Vater alles gut
       > sind: Ein Treffen mit Coco Rosie.
       
 (IMG) Bild: Ruppiger Plüsch mit Coco Rosie
       
       Es ist noch ein typisch trüber Berliner Spätwintertag, an dem das seltsame
       Paar Hof hält in einer Herberge der oberen Mittelklasse. Vor der Audienz
       wird man in die Lobby geleitet. Draußen huschen geduckt Menschen vorbei,
       ziehen die Mantelkrägen fest um den Hals. Drinnen wartet auf jedem der
       vielen plüschigen Sessel ein bordeauxrotes Kissen. Kuschelig. Das passt,
       denkt man sich so.
       
       Oben, im vergleichsweise schmucklosen Hotelzimmer, geht es ruppiger zu.
       Bianca Casady trägt zerfetzte Jeans und ein verwaschenes
       Mickey-Mouse-T-Shirt, eine angenagte Unfrisur, ihren mittlerweile berühmten
       Damenbart und eine ausgewiesen miese Laune mit sich herum. Manchmal wird
       sie von ihrer eher schweigsamen Schwester Sierra mit einem ernsten Blick
       bedacht, zu dem sich die feinen Fältchen im Mundwinkel etwas kräuseln. Es
       ist Missbilligung, aber nur ein Hauch davon. Auch das passt. Schließlich
       ist "The Adventures of Ghosthorse and Stillborn", das neue Album von
       CocoRosie, ihr düsterstes bisher, eher verschlossen und abweisend.
       
       Es ist dieses das dritte Album der beiden Schwestern Casady. Auf ihm haben
       sie ihr Erfolgsprinzip zu neuer Meisterschaft getrieben. Einerseits kommen
       die Songs von CocoRosie ganz harmlos daher, fast niedlich, mit zuckersüßen
       Melodien, gemütlichen Rhythmen und verhuschten Geräuschen. Andererseits
       fressen sie sich ganz langsam ins Gehirn, wie ein Albtraum, den man morgens
       im Halbschlaf nicht wieder loswerden will, weil es sich so angenehm gruselt
       beim Blick hinab in die eigenen Abgründe. "Es sind die Rätsel in unserer
       Musik", sagt Bianca, immer noch eher muffelig, "in denen können die
       Menschen ihre eigenen Erfahrungen noch einmal leben." Die um Ausgleich
       bemühte Schwester ergänzt: "Wir verstehen selbst nicht ganz, woher unsere
       Musik kommt. Es ist mysteriös."
       
       Ebenso mysteriös wie der kommerzielle Erfolg. Obwohl die Musik bisweilen
       wenig zugänglich ist, radiotaugliches Material und aufdringliche
       Signaleffekte fehlen, stattdessen musikalisch eigentlich Unvereinbares
       zusammengedacht und mit kryptischen Texten versehen wird, haben CocoRosie
       bereits mit ihrem ersten, angeblich in einer Badewanne in Paris
       aufgenommenen Album "La Maison de Mon Rêve" eine Zielgruppe erreicht, die
       um alles, was auch nur den Anschein des Avantgardistischen erweckt,
       gemeinhin einen großen Bogen zu machen pflegt. Mit dem Nachfolger von 2005,
       "Noahs Ark", schafften die beiden exzentrischen Schwestern, diesmal in
       einer indianisch inspirierten Verkleidung, endgültig den Sprung in den
       Mainstream und füllen seitdem problemlos große Hallen mit verzückten
       Ingeneurinnen und verträumten Anwälten. International bekannte Parfums
       versehen ihre Werbekampagnen mit den Songs der Schwestern, und auch BMW hat
       sich ein Lied ausgesucht. Ausgerechnet "unser vulgärstes", freuen sich die
       beiden. "Subversiv" findet das Bianca, "krank" Sierra.
       
       "Der Erfolg ist eine natürliche Entwicklung", findet Bianca, "wie eine
       Puppe, die zu einem Schmetterling wird." Der Flatterfalter dürfte zwar
       mittlerweile eine weitere Metamorphose erfahren haben und zu einem für eine
       Independent-Band ganz ordentlich gefüllten Konto geworden sein. Aber über
       so etwas spricht es sich nur schwer mit Menschen, die - wie Sierra - stets
       eine Träne unters Auge gemalt haben, gerne und oft - wie Bianca -
       Baummetaphern benutzen und sich beklagen, dass sie statt von männlichen
       Groupies von "angsteinflößenden Mädchen heimgesucht werden, die nach den
       Shows unsere besten Freundinnen werden wollen".
       
       Vielleicht ist alles auch nur ein abgekartetes Spiel. Vielleicht sind
       Bianca und Sierra nur selbst geschaffene Kunstfiguren, Protagonistinnen in
       einem großen Plan, dem Poppublikum die eigene Verführbarkeit vorzuführen.
       Tatsächlich ist der weitgehend einzige geäußerte Vorwurf an die Schwestern
       der der Berechnung. Allzu systematisch würden sie alle momentan verfügbaren
       Elemente des Hipstertums einsammeln, ohne Respekt vor den originären
       Wurzeln verwursten und das weitgehend unverdaute Ergebnis ausstellen.
       
       Tatsächlich muss man zugeben: Da ist was dran. Unsere hemmungslosen
       Schmetterlingsjägerinnen bringen auch auf "The Adventures of Ghosthorse and
       Stillborn" wieder reiche Beute heim. Die Grundstimmung ist zwar schwärzer
       als früher, den Großteil der Requisiten, mit dem das CocoRosie-Universum
       ausgestattet ist, kennt man allerdings bereits: HipHop und Oper, Blues und
       Kinderlieder, elektronische Beats und Weird Folk. "Eine Achterbahnfahrt mit
       vielen verschiedenen Fahrern", meint Bianca, "und wir sitzen hinten im
       Heck", findet Sierra. Trotz des Ruckelns verbinden sie mit leichter Hand
       urbane Künstler-Gegenwart und rurale Hippie-Vergangenheit, Naivität und
       Albträume, Geschlechterwirrwarr und Gender-Diskussion - und das alles noch
       vollständig hand- und selbstgemacht mit Harfe und Spielzeuginstrumenten.
       Zur Ehrenrettung lässt sich nur wenig vorbringen. Immerhin so viel
       allerdings, dass sich das Endresultat unglaublich gut anhört.
       
       Auch deshalb ist es leicht, der geneigten Öffentlichkeit zu verzeihen, dass
       sie die beiden Schwestern und ihre Legenden so bereitwillig ins Herz
       geschlossen hat. Zu passgenau sind sie einfach, die Geschichten von der
       Künstler-Mama und dem Schamanen-Papa vom Stamme der Cherokee, dank denen
       sie und ihre neun Geschwister eine eher unruhige Kindheit in steter
       Wanderschaft zwischen Hippie-Kommunen, Waldorfschulen und
       Indianerreservaten erlebten. Vor allem die alljährlich mit einem Vater auf
       Peyote verbrachten Sommerferien bieten viel Material für Schnurren. Fast
       noch schöner die Saga von der jahrelangen Trennung der Schwestern, deren
       überraschendes Ende zum abrupten Abbruch des Opernsängerinnen-Studiums von
       Sierra und der sofortigen Aufnahme des ersten Albums in einer winzig
       kleinen Pariser Wohnung führte. "Seitdem spielen wir Spiele miteinander",
       sagt Sierra. "Psycho-Spiele", ergänzt Bianca.
       
       Die nächste Etappe war Brooklyn, wo den beiden der Spagat gelang,
       einerseits an die New Yorker Bohemeszene um Rufus Wainwright Jr. und Antony
       & the Johnsons anzudocken, andererseits auch neben den Freunden Joanna
       Newsom und Devandra Banhart als Flaggschiff des eher ländlich geprägten New
       Folk zu segeln. Mittlerweile sind die beiden wieder zurückgekehrt nach
       Frankreich, "einem Traum gefolgt", erzählt Sierra. Der Großteil von "The
       Adventures of Ghosthorse and Stillborn" wurde im Süden des Landes
       aufgenommen, auf einem Bauernhof, auf dem schon ihre Mutter dereinst lebte.
       "Ich frage mich oft, wie groß künstlerische Freiheiten wirklich sind",
       sinniert Bianca, "oder wie weit wir bestimmt werden von unserer Kindheit
       und Erziehung." Weitere Aufnahmen führten die beiden zu Valgier Sigurdsson,
       dem Produzenten von Björk und Sigur Ros, nach Island. Seit der Rückkunft
       vom Polarkreis wissen sie nun natürlich von Elfen und Trollen zu berichten,
       deren Gegenwart man dort zweifellos auf Schritt und Tritt spüren könne.
       Viel neuer Stoff also zur Legendenbildung.
       
       Diese Nebengeräusche sind ebenso kunstfertig orchestriert wie ihre
       ätherischen Songs. Die sind wie Nachrichten aus der Zwischenwelt,
       Kampfansagen von süßen kleinen Aliens, deren Augen plötzlich fies
       aufleuchten. Geister scheinen am Werk in diesen Liedern, mal freundlich,
       mal drohend. Werwölfe und verwunschene Frösche springen durch die Texte,
       Dinosaurier, Vampire und schwarze Mohnblumen, Indianer und Schmetterlinge.
       Schizophrenie ist ein Thema, ebenso wie schwarze Magie. Die Totgeburt aus
       dem Albumtitel dreht sich in ihrer Wiege, ein Mädchen spricht mit den
       Gänsen und Sophia Loren schaut vorbei. Bianca singt über ihre zwei Jahre
       ältere Schwester, die lange die Gesellschaft von Tieren der von Menschen
       vorzog, und erzählt von ihrem "Neid auf Bärte". Grundsätzlich inspiriert
       sei man, vermelden die beiden in schwesterlicher Eintracht, von Wee Willie
       Winkie, einer Figur aus einem populären schottischen Kinderreim, und man
       denke darüber nach, gemeinsam Kinder zu adoptieren.
       
       Und noch eine Mitteilung hat Bianca. "Schon immer" sei man "sozialkritisch"
       gewesen. Das ist dann doch eine Überraschung, denn eine allzu intensive
       Verbindung zur Realität, geschweige denn zum politischen Tagesgeschäft
       wurde CocoRosie bislang noch nie vorgeworfen. Aber tatsächlich finden sich
       im ansonsten eher lebenslustigen, die Stimmung eines Jahrmarkts
       adaptierenden Song "Japan" die mittlerweile in amerikanischen
       Künstlerkreisen unverzichtbaren kriegskritischen Zeilen: "Everyone wants to
       go to Iraq / But once the go they dont come back / Bringing peanut butter
       jelly and other snacks / We might have our freedom but were still on
       crack".
       
       Bereits der Eröffnungssong "Rainbowarriors" lässt sich mit etwas Fantasie
       als Hymne auf den Umweltschutz verstehen - und Fantasie ist bei CocoRosie
       nun mal Einlassvoraussetzung. Vom gleichnamigen, dereinst versenkten
       Greenpeace-Boot allerdings wollen die beiden nie vorher gehört haben. "Die
       Musik", erzählt Bianca, "gibt uns das Gefühl, näher dran zu sein an der
       Welt." Die Welt da draußen ist, nicht nur betrachtet aus dem kuscheligen
       Kosmos der Casady Sisters, abweisend und kalt. Doch der Sommer ist nicht
       mehr weit.
       
       CocoRosie: "The Adventures of Ghosthorse and Stillborn" (Touch and Go/
       Soulfood)
       
       17 Apr 2007
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas Winkler
       
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 (DIR) Neues Album
       
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