# taz.de -- Im Kino "300": In der Geisterbahn der Geschichte
       
       > Am Donnerstag läuft in deutschen Kinos das US-Sandalenspektakel "300" an.
       > Im Iran ist die Comic-Verfilmung der Schlacht zwischen Persern und
       > Spartanern schon jetzt ein DVD-Hit - und ein Skandal, weil "300" die
       > Ahnen der Iraner ausnahmslos dämonisiert oder als behinderte Zombies
       > darstellt
       
 (IMG) Bild: Handelndes Subjekt und Fantasieobjekt in einem: Eva Green in „Sin City 2“.
       
       ## In der Geisterbahn der Geschichte
       
       ## Am Donnerstag läuft in deutschen Kinos das US-Sandalenspektakel "300"
       an. Im Iran ist die Comic-Verfilmung der Schlacht zwischen Persern und
       Spartanern schon jetzt ein DVD-Hit - und ein Skandal, weil "300" die Ahnen
       der Iraner ausnahmslos dämonisiert oder als behinderte Zombies darstellt
       
       VON POUYEH ANSARI UND PATRICK HEMMINGER
       
       Zwischendurch mal eben aufs Klo zu gehen oder Popcorn zu kaufen, das ist
       bei einem Besuch von "300" kein Problem. Gering ist die Gefahr, etwas zu
       verpassen. In den meisten Szenen schlachten ein paar Spartaner eine Menge
       Perser ab, dabei brüllen sie rum und es spritzt Blut. Zur Geschichte später
       mehr.
       
       "300" ist die Verfilmung eines Comics von Frank Miller aus dem Jahr 1999
       und als solche gelungen. Die Bilder sind schlicht grandios in ihrer
       Absurdität und Surrealität. Ernst nehmen kann den Film niemand. Eigentlich.
       Und dort beginnt das Problem. Zwar lässt sich der Film als leicht debile
       Abendunterhaltung abtun, aber besonders im Iran geschieht derzeit das
       Gegenteil.
       
       "Ich dachte ja, die Iraner übertreiben wie immer", sagt Kambis, ein
       iranischer Jungunternehmer aus dem schicken Norden Teherans: "Aber als ich
       den Film selber gesehen habe, dachte ich nur: heftig." Zwar läuft "300"
       nicht im Kino, aber die DVD gibt es überall zu kaufen - und der Film ist
       das beherrschende Gesprächsthema in der Hauptstadt. Kambis Angestellte sind
       genauso wütend wie die iranische Regierung, die bei den Vereinten Nationen
       protestiert hat. Der Vorwurf: Die Perser werden im Film, gelinde gesagt,
       schlecht dargestellt. Und dieser Vorwurf trifft zu.
       
       Der Film erzählt die Geschichte der ersten Schlacht bei den Thermopylen im
       Jahr 480 v. Chr. An diesem wenige Meter breiten Pass hielten damals ein
       paar Griechen das persische Heer auf. Die im Film genannten Zahlen von 300
       gegen eine Million sind sicher nicht realistisch, was für diese Betrachtung
       aber keine Rolle spielt.
       
       Wichtig ist das Bild, das beim Zuschauer erzeugt wird. Eine kleine Truppe
       Spartaner verteidigt Europa vor dem Reich des Bösen: Persien. Diese kleine
       Truppe verkörpert eine Sammlung westlicher Ideale: demokratisch,
       freiheitsliebend, edel, aufopferungsvoll und so weiter. Dabei sehen sie aus
       wie die "California Dream Boys" und kleiden sich auch so.
       
       Auf der Seite des Bösen stehen Menschen, die fast keine Menschen mehr sind.
       Monster, Riesen und ein Henker mit Scherenhänden. Dazu Gruppen, die oft als
       Feindbilder herhalten müssen: Dunkelhäutige, Krüppel, Entstellte,
       Homosexuelle. "Die Iraner werden dargestellt, als kämen sie direkt aus der
       Geisterbahn. Und die Spartaner sehen alle aus wie Adonis", sagt Kambis. Der
       Perserkönig Xerxes ist um die drei Meter groß, trägt einen goldenen Slip
       und ist am ganzen Körper mit goldenen Piercings, Ringen und Ketten behängt.
       
       Das empfinden die Iraner als besondere Demütigung, als Teil eines
       "psychologischen Krieges gegen den Iran", der zu der Zeit, in der der Film
       spielt, bereits eine hoch entwickelte Kultur hatte. So hatte etwa Kyros
       II., der Großvater von Xerxes, bereits Menschenrechte niedergeschrieben.
       Mit der Epoche der Achämeniden, zu deren Stamm auch Xerxes gehört,
       verbinden die Iraner eine besondere Identifikation, vor allem, da sie in
       die vorislamische Zeit reicht. Den Islam brachten die Araber erst im 7.
       Jahrhundert n. Chr. in den heutigen Iran, davor gab es dort - neben dem
       Manichäismus - vor allem zahlreiche Naturreligionen.
       
       Was die Darstellung der Perser in "300" noch demütigender macht, ist der
       Gegensatz zu den Spartanern. Nicht nur, dass diese körperlich ohne Makel
       sind. Während der Szenen im persischen Feldlager feiert der tuntige Xerxes
       Orgien à la Sodom und Gomorrha, Verderbtheit in jeder Ecke. Wie anders
       hingegen die Darstellung der zurückgebliebenen Spartanerkönigin Gorgo - die
       natürlich unverschämt gut aussieht. Sie hält vor einer nicht näher
       erläuterten Ratsversammlung eine Rede, und an dieser Rede sind drei Dinge
       bemerkenswert. Erstens existiert sie nicht in der Comicvorlage. Was aber
       nicht verwundert, weil sie, zweitens, für die Geschichte komplett
       irrelevant ist. Und drittens enthält diese Rede alles, was ein
       amerikanischer Neo-Con auch sagen könnte. Gorgo beklagt die fehlende
       Unterstützung an der Heimatfront, schwärmt von Freiheit, die verteidigt
       werden müsse, und schwadroniert über Mütter, die ihre Söhne im Krieg
       verlieren. Nicht nur, dass diese Szene jedem ins Konzept passt, der den USA
       einen Propagandakrieg vorwirft. Sie verdreht schlicht die historischen
       Tatsachen. So ist nicht erwiesen, dass es im persischen Reich überhaupt
       Sklaven gab - im Gegensatz zu Griechenland, wo zur damaligen Zeit manchen
       Angaben zufolge jeder zweite Bewohner nicht frei war.
       
       "Die Menschen Irans sind darüber entrüstet, wie es dazu kommen konnte, dass
       eine Nation (wie die USA), die keine eigene historische Hochkultur besitzt,
       daherkommen kann und über unser Land, das über eine weitreichende
       kulturelle Geschichte verfügt, einen solchen Film dreht, der die
       kultivierten Perser als Tiere darstellt", schreibt die iranische Studentin
       Pegah in einer E-Mail. Besonders unter den Jugendlichen im Iran ist die
       Enttäuschung groß, ist die amerikanische Popkultur mit ihrer Musik, ihren
       Filmen doch ein Vorbild. Trotz der Verbote der Regierung besorgen sich
       junge Leute die neueste amerikanische Musik, hängen Poster ihrer Stars auf
       und schauen deren Filme. Die Zensur haben die rund 49 Millionen unter
       30-jährigen Iraner satt - die Gesamtbevölkerung des Landes beträgt 70
       Millionen. Viele sehen die westliche Lebensweise als erstrebenswert an und
       leiden unter dem schlechten Bild, das der Iran im Ausland hat und das durch
       den Film zweifelsohne verstärkt wird.
       
       Deshalb versucht der iranische Blogger Pendar Yousefi aus Kanada mit seiner
       Internetseite, die Menschen über die iranische Geschichte, Kunst und Kultur
       aufzuklären. Er fordert iranische Comiczeichner und Künstler dazu auf, ihm
       Werke zu schicken, die über das Perserreich aufklären sollen. Mehr als 600
       iranische Blogger haben Yousefis Seite inzwischen verlinkt.
       
       Der Iraner Kambis erinnert an die Proteste gegen die dänischen
       Mohammed-Karikaturen, die vor gut einem Jahr weltweit Ärger bei Muslimen
       auslösten. "Damals waren hier in Teheran 300 Leute auf der Straße", sagt
       er. "Das ist nicht vergleichbar mit dem, was jetzt hier los ist. Es gibt
       zwar keine Demonstrationen oder so, aber die Wut geht durch alle
       Schichten." Diese ist auch damit zu erklären, dass durch die
       Propaganda-Schulbücher der Regierung wohl die wenigsten wissen, wie es
       wirklich war.
       
       Diese Empörung findet sich auch im Internet in Filmblogs. Und dort gibt es
       auch Antworten, meist von Amerikanern, die über Geschichte ähnlich wenig
       wissen. Sie beschimpfen die Iraner, meist mit dem Tenor, sie sollten sich
       nun mal nicht so anstellen, schließlich sei es doch so gewesen und wenn
       nicht ganz, dann sicher teilweise.
       
       Die Gefahr hierbei ist, dass die Wahrheit an Bedeutung verliert. Wenn
       interessiert schon, wie es wirklich war, wenn ein Film spannend ist und
       dazu noch das eigene Weltbild festigt. Wir die Guten. Die anderen die
       Bösen. Der Westen will uns vernichten. Alle Perser sind böse Monster.
       Solche Gedanken sind verführerisch, weil einfach. Beängstigend ist nur, wie
       sehr diese Aufregung den Regierungen in Washington und Teheran derzeit in
       den Kram passt - wenn man nicht an Zufälle glaubt.
       
       kultur SEITE 16
       
       4 Apr 2007
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Patrick Hemminger
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kino
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Kinofilm „Sin City 2“: Am Ende wird die Frau bestraft
       
       Kneipen, Schlägereien, Huren, Psychos, miese Absteigen, korrupte Bullen: In
       „Sin City 2“ werden Männerneurosen wie im Speedrausch runtergerasselt.