# taz.de -- Historie: Ein Atlantik aus Milch
       
       > Von der Alten in die Neue Welt. In Emanuele Crialeses "Golden Door"
       > wandert Charlotte Gainsbourg aus nach New York - zum Sound von Nina
       > Simone.
       
 (IMG) Bild: Zwischen den Welten: Charlotte Gainsbourg
       
       Steine, Wasser, vitales Leben - mit solchen wiederkehrenden Bildmotiven
       entfaltet Emanuele Crialeses magische Kraft, auch wenn er in drei Filmen
       drei gegensätzliche Welten inszenierte. Häuser, Wasser, einander fremde
       Menschen in New York faszinierten ihn in seinem Debüt "Once we were
       strangers" (1999), ähnlich bildmächtig geriet die Meer- und
       Felsenlandschaft der Insel Lampedusa im gleichnamigen zweiten Film (2001),
       in dem er eine Meute wilder Hunde aus ihrem Gefängnis ausbrechen ließ.
       
       Im dritten, "Golden Door" (der im Original viel schöner "Nuovomondo"
       heißt), zeigt Crialese sizilianische Bauern um die Wende zum 20.
       Jahrhundert, die mit nackten Füßen einen Gipfel über dem Meer erklimmen,
       dabei Steine im Mund tragen, die sie unter dem Gipfelkreuz ablegen, um so
       ein Himmelszeichen zu erbitten. Sollen sie in die Neue Welt auswandern oder
       nicht?
       
       Der Sizilianer Emanuele Crialese lebte neun Jahre in New York. In seinen
       Filmen untersucht er, was Fremdheit auslöst, was Italianità bedeutet,
       welche untergründigen Verbindungen zwischen der Alten und der Neuen Welt
       bestehen. Der Sound der Naturgewalten, die Klänge der technischen Welt des
       Auswandererschiffs, sizilianische Musik und Nina Simones swingende Songs
       entfalten die Spannungen und Kontraste mit surrealer Poesie. Scorsese sieht
       Gewalt als das patriarchale Erbe Siziliens in New York, Crialese beschreibt
       den Zusammenstoß archaischer Kultur mit der Moderne in subtileren, auch
       komischen Facetten. Seine Blicke in die getrennte Welt der Männer und
       Frauen sind behutsam, geben Raum für den sprachlosen Ausdruck innerer
       Schocks. Dass Junggesellen bei der Einwanderung in einem Massenritual
       formell um eine Frau werben konnten und den ausgewählten alleinstehenden
       Frauen nur die Wahl blieb, den Antrag anzunehmen oder zurückgeschickt zu
       werden, ist nur eines von vielen Details der grausamen
       Einwanderungsprozedur, die der Film immer wieder zu listigen Volten nutzt.
       Allein die Szenen, in denen ein hölzernes Tangram von der
       Prüfungskommission als Intelligenztest eingesetzt wird, nutzt der Film für
       präzise Miniaturen seiner Charaktere. Am Ende wird die Mutter, die sich
       stolz gegen die Unterwerfung wehrt, zurückkehren.
       
       Die Sprache der Alten Welt ist eine der Gesten, Blicke, Kleidertrachten.
       Die Figuren des Films sprechen kaum, überraschen vor den
       Einwanderungstechnokraten jedoch mit schlauer Dickköpfigkeit und Würde.
       Crialese inszeniert ihre Traumbilder vom gelobten Land sogar als surreale
       Sinnfälligkeiten. Historische Postkarten, die Auswanderer an die daheim
       Gebliebenen sandten und auf denen Fotomontagen mit übergroßen Karotten und
       Kartoffeln für die Neue Welt warben, inspirierten ihn dazu, Inserts zu
       inszenieren, in denen die Hauptfiguren mit monströsen Früchten balancieren
       und buchstäblich in Milch baden.
       
       "Golden Door" erzählt mit allegorischen Bildern (Kamera: Agnès Godard) von
       der animistisch beseelten Landschaft, die es zu verlassen gilt, von den
       physischen Wandlungen der Reisenden, von den kleinen Ritualen, mit denen
       die Massenunterbringung auf dem Schiff in erste Schritte einer Anpassung an
       die künftige Großstadtexistenz umgesetzt werden, vom Entsetzen, den ein
       Sturm im Innern des Schiffsbauchs auslöst.
       
       Vieles bleibt unausgesprochen in den drei episodenhaften Schritten der
       Reise. Die Hauptfigur Salvatore Mancuso (Vincenzo Amato), der reine Tor,
       sucht jenseits des Atlantiks seine einst fortgezogene Frau. Von ihr ist
       nicht mehr die Rede, wenn er sich auf der Überfahrt in eine allein reisende
       wortkarge Engländerin (Charlotte Gainsbourg) verliebt. Ihre Annäherung
       geschieht in einer lyrisch choreografierten Szene, in der das Paar mit
       großem Abstand zueinander zwischen monströsen Lüftungsschächten an Deck
       spaziert und im Rhythmus der Musik die Blicke des anderen auf sich zu
       ziehen versucht. Die Schöne ist das Inbild einer Städterin auf der Flucht,
       eine realistische viktorianische Verwandte der Abenteurerinnen aus Marlene
       Dietrichs frühen Filmen. Sie weiß Salvatore Avancen zu machen, ohne sich zu
       kompromittieren, und gewinnt ihn am Ende in der Einwanderungsschleuse Ellis
       Island geschickt für sich.
       
       ## "Golden Door", Regie: Emanuele Crialese. Mit Charlotte Gainsbourg,
       Vincenzo Amato u. a., Italien/Frankreich 2006, 118 Min.
       
       2 Jun 2007
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Claudia Lenssen
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kino
       
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