# taz.de -- Tour de France: War da was?
       
       > Reichlich verwundert reagiert die internationale Radsportszene auf
       > Deutschlands Entsetzen über den positiven Dopingbefund bei Patrik
       > Sinkewitz.
       
 (IMG) Bild: Legale Spritze: Die Tour de France wird am Leben gehalten
       
       MARSEILLE taz Jean-Claude Godin ist bester Dinge an diesem
       Hochsommervormittag. Zusammen mit Tour-de-France-Direktor Christian
       Prudhomme steht der Bürgermeister von Marseille auf einer Bühne im Parc
       Cadot, unweit des alten Hafens und genießt die Festtagsstimmung zum Start
       der elften Etappe. "Wir haben die Begeisterung der Menschen in London
       gesehen", ruft der Stadtvorsteher stolz den sich drängelnden Fans entgegen.
       "Ich glaube, wir in Marseille übertreffen das noch." Prudhomme nickt und
       strahlt. Sollte er sich wegen des Dopingfalls Sinkewitz und des Boykotts
       der deutschen Fernsehsender gegrämt haben, so hat er dies spätestens jetzt
       vergessen.
       
       Die Tour de France rollt weiter, die Probleme des größten deutschen
       Rennstalls und die Empfindlichkeiten des deutschen Fernsehens werden nur am
       Rande wahrgenommen. Maurice Pleury etwa, ein rüstiger Marseillais, der
       behauptet, "seit 70 Jahren" Radsportfan zu sein, lässt sich seinen
       Tour-Spaß nicht verderben. Doping habe es doch schon immer gegeben, sagt er
       und findet die Entscheidung des deutschen Fernsehens "idiotisch". Mehr will
       er nicht sagen, denn jetzt kommen nach und nach die Fahrer und er will
       seine Stars aus der Nähe sehen.
       
       Im Tour-Village, dem reisenden Zeltdorf und täglichen Frühstückstreffpunkt
       für den Tour-Tross, sitzt Richard Virenque am Stand der Supermarktkette
       Champion, eines der Tour-Sponsoren. Der frühere französische Radsportheros
       sowie geständige Dopingsünder hat die Blätter des Tages vor sich
       ausgebreitet und kommentiert die Schlagzeilen in ein Fernseh-Mikrofon.
       "Überraschend und paradox" findet er die Reaktion des deutschen Fernsehens
       auf den Fall Sinkewitz. Wenn sie den Radsport schneiden, so der ehemalige
       Bergkönig der Tour und Ullrich-Herausforderer, müssten sie auch alle
       anderen Sportarten ausblenden.
       
       Solches Unverständnis für die Entscheidung der deutschen
       öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten teilt Virenque hier mit der großen
       Mehrheit der Tour-Familie. Der Präsident der Tour-Holding Gesellschaft ASO,
       Patrice Clerc, etwa hatte der Sportzeitung LEquipe, die ebenfalls seiner
       Firma gehört, gesagt, dass er nicht nachvollziehen könne, warum die Sender
       seine Veranstaltung für den Fall Sinkewitz bestrafen. "Wenn am Eingang von
       einem Fußballstadion Leute mit Waffen erwischt werden, bestraft man ja auch
       nicht Veranstalter dafür."
       
       Der Reporter einer großen französischen Nachrichtenagentur, der anonym
       bleiben will, glaubt gar, dass die Entscheidung von ARD und ZDF dem
       Radsport mehr schade als nutze. "Am meisten tut das doch Gerolsteiner und
       T-Mobile weh", sagt der langjährige Radsportkorrespondent, während er bei
       einem Kaffee die Blätter des Tages studiert. "Und das sind die
       Mannschaften, die am meisten gegen das Doping tun. Ich habe nicht den
       Eindruck, dass die Sender sich sehr gut die Konsequenzen ihres Schrittes
       überlegt haben. Erst haben sie zehn Jahre lang überhaupt keine Fragen
       gestellt und jetzt plustern sie sich auf. Das ist Heuchelei."
       
       Es geht gegen Mittag im Parc Cadot, und die südfranzösische Sonne beginnt
       unangenehm zu brennen. Die Werbekarawane ist gerade in Richtung des
       Etappenziels Montpellier losgerollt, die Mannschaftsbusse trudeln ein und
       nehmen ihren Platz auf dem Startgelände ein. Kinder drängen sich mit Kappen
       und Postern an die Absperrungen, um sie von ihren Lieblingsradlern
       signieren zu lassen. Mechaniker entladen die Rennmaschinen und nehmen
       letzte Einstellungen an den Sportgeräten vor.
       
       Auch hier ist man sich einig, dass der Ausstieg der deutschen Fernsehsender
       eine unangemessene Reaktion war. "Niemandem gefällt ein positiver
       Dopingfall", sagt etwa der Direktor der Quick Step-Mannschaft und
       Vorsitzende der Profi-Team Vereinigung Patrik Leférève, während er am Bus
       seiner Mannschaft lehnt. "Aber wir geben viel Geld für den Kampf gegen
       Doping aus. Und wenn wir Erfolg haben, laufen die Fernsehsender weg. Das
       ergibt keinen Sinn."
       
       Bei den deutschen Kollegen vom Team Gerolsteiner ruft die Entscheidung der
       Sendeanstalt zwar Verwunderung hervor: "Die legen ihre Ethiklatte irgendwo
       an. Ich bin mal gespannt, ob sie das durchhalten", nörgelt
       Gerolsteiner-Chef Hans Michael Holczer. Wirklich wütend ist er nicht auf
       das Fernsehen, sondern auf Sinkewitz. "Wenn er wirklich bewusst manipuliert
       hat, dann ist das angesichts der Lage des deutschen Radsports eine
       unglaubliche Dreistigkeit." Wenn die Vereinigung der Profi-Mannschaften
       Sinkewitz für den Schaden, den er dem Sport zugefügt hat, nicht belange, so
       Holczer, dann werde er das persönlich tun.
       
       Langsam wird die Stimme des Streckensprechers lauter und aufgeregter, der
       Start rückt näher. Die Fahrer tragen sich rituell in die Startkladde ein
       und grüßen die Fans mit einem kurzen Antippen ihrer Rennmützen. Dann nehmen
       sie träge Aufstellung. Ein ganz normaler Arbeitstag bei der Tour beginnt.
       
       20 Jul 2007
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sebastian Moll
       
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