# taz.de -- Türkei: Ein Bollwerk gegen alles und jeden
       
       > Oppositionsführer Deniz Baykal ist unbeliebt. Wenn er gewählt wird, dann
       > nur aus Angst vor den Islamisten
       
 (IMG) Bild: Baykal: Ein Apparatschik versucht die Massen für sich zu begeistern
       
       ISTANBUL taz Wenn Deniz Baykal redet, fällt einem unwillkürlich die
       Metapher vom Maschinengewehr ein. Denn der Mann redet nicht, er feuert
       seine Sätze als Salven ab. Derzeit gibt der Oppositionsführer in der
       türkischen Politik den Enthüller. Der letzte Schrei seiner Wahlkampagne ist
       die Armbanduhr von Ministerpräsident Erdogan. Sie koste mindestens 60.000
       Dollar, behauptet Baykal und hofft, so die überwiegend arme Klientel der
       regierenden AKP gegen den Ministerpräsidenten aufzubringen.
       
       Überhaupt spricht die kemalistische CHP im Kampf gegen Erdogan in den
       letzten Tagen des Wahlkampfs hauptsächlich über das Thema Korruption. Ein
       Schiff, das Erdogans Sohn für drei Millionen Dollar gekauft haben soll,
       oder die 600 Wohnungen, die die Familie des Forstministers angeblich
       zusammengerafft hat, gehören zu Enthüllungen, mit denen Baykal Erdogan
       madig machen will. Nun ist Korruption in der Türkei immer ein Thema, doch
       es ist typisch für die CHP und ihren Vorsitzenden, dass es ihnen im
       Wahlkampf ebenso wenig wie in den viereinhalb Jahren zuvor als
       parlamentarischer Opposition gelungen ist, wirklich eigene Akzente zu
       setzen.
       
       Als Person dürfte Deniz Baykal die niedrigsten Sympathiewerte aller
       türkischen Politiker überhaupt haben. Wenn er und seine Partei gewählt
       werden, dann nur aus einem einzigen Grund: der Angst des türkischen
       Mittelstandes vor einer schleichenden Islamisierung, falls die AKP zu
       mächtig wird. Baykal ist ein Apparatschick, der zeit seines Politikerlebens
       noch nie durch eine innovative Idee aufgefallen ist, sondern seine Energie
       immer hauptsächlich in parteiinternen Machtkämpfen einsetzte. Unter seiner
       Führung hat die kemalistische CHP, die älteste Partei der Türkei, die sich
       immer noch als eigentliche Staatspartei versteht, in den Neunzigerjahren
       kontinuierlich Stimmen verloren, bis sie bei den Wahlen 1999 endgültig aus
       dem Parlament flog. Baykal musste abtreten und wurde durch einen
       linksliberalen Intellektuellen, Altan Öymen, ersetzt.
       
       Doch Öymen und seine Anhänger verspielten die Chance einer grundlegenden
       Erneuerung der Partei. Es begann ein parteiinterner Machtkampf, der mit
       Baykals und seiner Rückkehr in die Parteiführung endete. Nach und nach
       traten alle parteiinternen Oppositionellen aus, und die kemalistischen
       Funktionäre blieben zurück. Jene Leute also, die die CHP als Bollwerk gegen
       alles und jeden verstehen und im Militär ihre natürlichen Verbündeten
       sehen.
       
       Damit hat Baykal verhindert, dass sich eine Opposition gegen die AKP
       formieren konnte, die die Partei dort angreift, wo ihre Schwächen liegen:
       im strikt neoliberalen Kurs der Regierung und ihrer konservativen bis
       reaktionären Grundeinstellung. Die CHP konnte dem kein anderes Wirtschafts-
       und Gesellschaftskonzept entgegensetzen, wusste auf die Europolitik der AKP
       nur mit nationalistischen Parolen zu antworten. Und zum Kurdenkonflikt
       fällt Baykal nichts anderes ein, als im Nordirak einzumarschieren. Damit
       wetteifert er mit der rechtsradikalen MHP, die ebenfalls gute Chancen hat,
       die 10-Prozent-Hürde zu überspringen.
       
       21 Jul 2007
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Gottschlich
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Türkei
       
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