# taz.de -- Böses Blut: Ist die Stasibehörde noch nötig? Ja!
       
       > Die CDU und die Linkspartei attackieren die Birthlerbehörde. Der Eindruck
       > wird vermittelt, deren Ende sei gekommen. Der Umzug ihrer Akten in andere
       > Archive, würde den Zugang zu ihnen erschweren.
       
       Attacken auf die Stasiunterlagenbehörde (BStU) und ihre Chefin Marianne
       Birthler sind üblich geworden. Von Seiten der Linkspartei ist das nicht
       verwunderlich, von Teilen der CDU dagegen schon - ein eigentümliches, ja
       peinliches Zusammenspiel! Die Kritik von aufarbeitungspolitischen und
       wissenschaftlichen Konkurrenten ist nicht wirklich überraschend. Alle
       zusammen erzeugen den Eindruck, dass das Ende der BStU gekommen sei.
       
       Gewiss, die Behörde und ihre Leiterin mögen Fehler gemacht haben, die
       Anlass zu öffentlicher Aufregung waren: vor einigen Wochen die Tatsache,
       dass ehemalige Stasimitarbeiter bei der Behörde arbeiten; in diesen Tagen
       die falsche Bewertung eines Dokuments zum Schießbefehl. Das waren und sind
       Ärgerlichkeiten, aber rechtfertigen sie wirklich die Aufregungen, die
       Angriffe, die Forderungen nach einem baldigen oder "mittelfristigen" Ende
       der Behörde, wie sie auch der Kulturstaatsminister Neumann vorgetragen hat?
       
       Der Öffentlichkeit, vor allem den Opfern die schriftliche
       Hinterlassenschaft des SED-Regimes, der Stasikrake zugänglich zu machen -
       das war ein besonders leidenschaftlich erkämpfter Erfolg der friedlichen
       Revolution von 1989/90. Die erste frei gewählte Volkskammer und der
       Deutsche Bundestag haben dieses revolutionäre, geschichtlich und weltweit
       wohl einmalige Ergebnis in ein Gesetz gegossen, eine eigene Institution
       dafür geschaffen. Sind deren Aufgaben inzwischen erledigt, kann dieses
       Kapitel abgeschlossen werden? Ich meine nicht.
       
       Denn das waren und sind die Aufgaben der BStU: Aktenerschließung, Zugang zu
       den Akten der Stasi für die Opfer, die Betroffenen; Unterstützung der
       zeitgeschichtlichen Forschung; Aufarbeitung und Dokumentation der
       Funktionsweise der Stasi, der Strukturen und Verantwortlichkeiten der
       SED-Herrschaft; politische Bildung über dieses schwierige Kapitel deutscher
       Geschichte. So sind die Aufgaben im Gesetz beschrieben. Sind sie schon
       erledigt? Der Andrang zu den Akten, die Anzahl der Anträge auf
       Einsichtnahme sind ungebrochen hoch. Die Erforschung, Aufarbeitung und
       Dokumentation der Stasi- und SED-Herrschaft ist zwar nicht mehr am Anfang,
       aber noch lange nicht zu Ende. Und die politische Bildung zu diesem Thema
       liegt eher im Argen. Alles keine Argumente also für ein baldiges Ende und
       ein Zurückstutzen der BStU! Und was heißt übrigens "mittelfristig"?
       
       Nein, diese Aufgaben sind nicht erledigt. Die Zugänglichkeit der Akten muss
       auch in Zukunft gesichert sein. Deshalb schlagen wir Sozialdemokraten vor,
       dass die BStU bis 2019 erhalten und entsprechend ihrem gesetzlichen Auftrag
       in vollem Umfang arbeits- und funktionsfähig bleibt.
       
       Danach können die Ausnahmeregeln vom Bundesarchivgesetz auslaufen, die
       besonderen Zugangsrechte zu den Stasiakten haben dann ihre Notwendigkeit
       verloren. Eine vorherige, baldige Eingliederung ihrer Bestände in das
       Bundesarchiv beziehungsweise in Landesarchive würde mit Gewissheit zu
       Einschränkungen des Aktenzugangs führen, die wir nicht wollen sollten! In
       den zwölf Jahren bis dahin sollten wir die Zeit nutzen, um darüber zu
       diskutieren und Konzepte zu entwickeln, wie und in welcher institutionellen
       Form die Aufgaben der BStU danach weitergeführt werden können und sollen.
       
       Bis dahin muss die Erschließung der bisher noch unbearbeiteten und die
       Rekonstruktion des vorvernichteten Aktenmaterials erfolgen. Bis dahin
       müssen Dokumentation und Ausstellung der Stasitätigkeit verbessert werden,
       deshalb sollte das Haus 1 der Normannenstraße in Berlin in der Trägerschaft
       der BStU zu einem Ausstellungs- und Bildungszentrum zur Tätigkeit des MfS
       entwickelt werden.
       
       Die DDR-Vergangenheit ist noch nicht vergangen, das SED-Unrecht noch nicht
       vollends aufgearbeitet. Bei der BStU ist ein großer Schatz an Wissen und
       Erfahrung dafür versammelt, den wir auch weiter nutzen müssen. Eine
       Beerdigung zweiter Klasse hat die BStU, die Frucht der Herbstrevolution von
       1989, nicht verdient!
       
       15 Aug 2007
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Wolfgang Thierse
       
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 (DIR) Schießbefehl-Akten: Hättest du geschwiegen
       
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