# taz.de -- Vom Staatsschutz verfolgter Andrej Holm: "Was für eine Zeitverschwendung!"
       
       > Wegen angeblicher Unterstützung von Terroristen war Holm drei Wochen in
       > Untersuchungshaft. Ein Gespräch über den Einbruch des Verdachts ins
       > Leben, den Knastalltag und die Solidarität.
       
 (IMG) Bild: Sorgt mal wieder für Gesprächsstoff: Die Biografie des künftigen Staatssekretärs Andrej Holm.
       
       taz: Herr Holm, wenn Sie an die drei Wochen Untersuchungshaft zurückdenken,
       was fühlen Sie da: Trauer? Wut? Genugtuung? 
       
       Andrej Holm: Eher eine Form von schlechter Laune. Auf der anderen Seite war
       die Aufhebung des Haftbefehls eine große Erleichterung. Davor war noch die
       Angst da, wieder in den Knast zu müssen. Manchmal hat ein Polizeifahrzeug
       auf der Straße ausgereicht, diese Angst auszulösen. Oder das Klingeln an
       der Tür, wenn man keinen Besuch erwartet.
       
       Am 31. Juli hat es bei Ihnen geklingelt. Was passierte genau? 
       
       Die haben nicht geklingelt. Die haben mit Füßen oder Fäusten gehämmert und
       riefen: "Polizei! Polizei!" Es war kurz vor sieben am Morgen, ich habe es
       noch geschafft, mir eine Hose anzuziehen und die Tür zu öffnen, bevor sie
       eingetreten wurde. Eine Gruppe bewaffneter Männer hat mich dann überrollt,
       meine Arme wurden mit einer Handschelle auf dem Rücken zusammengebunden.
       Einer der Beamten kniete auf mir. Die andern sind mit gezogenen Waffen
       durch die Räume gegangen.
       
       Auch in die Zimmer, in denen sich Ihre Lebensgefährtin und Ihre beiden
       Kleinkinder befanden? 
       
       Das war denen egal. Sie sind rein, haben gerufen: "Raum eins gesichert.
       Raum zwei gesichert." Wie man es halt in der Ausbildung lernt.
       
       Wussten Sie, weshalb das alles? 
       
       Überhaupt nicht. Ich fragte mich eher: Was wollen die von mir? Erst nach
       einer Weile haben sie mich mit dem Vorwurf konfrontiert. Da war ich nicht
       nur überrascht, sondern auch fassungslos.
       
       Was haben Ihnen die Beamten vorgehalten? 
       
       Es war eine regelrechte Belehrung: "Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen
       Sie wegen des Vorwurfs, Mitglied einer terroristischen Vereinigung
       'militante gruppe' zu sein." Völlig absurd. Am liebsten hätte ich
       losgelacht. Ich hab es mir verkniffen und gedacht: Okay, dann sucht doch
       mal, ob ihr die militante Gruppe bei mir in der Küche oder unterm Bett
       findet.
       
       Wann wurde Ihnen klar, dass es doch ernst gemeint war? 
       
       Das hat gedauert. Auch nachdem ich zum LKA an den Tempelhofer Damm gebracht
       und erkennungsdienstlich behandelt worden war, dachte ich, das wird sich
       schon auflösen. Dieser Optimismus hielt sogar bis zur Vorstellung beim
       Haftrichter in Karlsruhe, insbesondere nachdem ich zusammen mit meiner
       Anwältin die Argumentation der Bundesanwaltschaft gelesen hatte. Auf der
       anderen Seite waren da die drei Männer, die in weißen Ganzkörperanzügen in
       den Hubschrauber gebracht wurden. Meine erste Assoziation war Guantánamo
       und dass irgendwas hier ziemlich ernst gemeint sein muss.
       
       Einen dieser Männer sollen Sie unter konspirativen Umständen getroffen
       haben. 
       
       So steht es jedenfalls in den Akten. Als konspirativ galt vor allem, dass
       die Verabredungen über einen anonymen E-Mail-Account vereinbart worden sein
       sollen und bei den Treffen keine Mobiltelefone geortet werden konnten. Aber
       die Hauptargumentation war eine andere: Im Antrag zum Haftbefehl stand zu
       meiner Überraschung, dass gegen mich und drei Freunde schon ein Jahr
       ermittelt wurde - wegen so schlimmer Dinge wie der "intellektuellen
       Kapazität, einen Text schreiben zu können" oder "Begriffe wie
       Prekarisierung oder Gentrification benutzen zu können". Das waren die
       Indizien für die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung.
       
       Aus dieser Beweislage wurden dann drei Wochen Untersuchungshaft in Moabit.
       Wie war der Knastalltag? 
       
       Ich war in einer Einzelzelle untergebracht. Sieben Quadratmeter, die waren
       vollgestellt mit Bett, Tisch, Stuhl, Schrank, Waschbecken und Toilette. Man
       liest ja manchmal, die Gefangenen schritten ihre Zelle ab und zählten die
       Schritte. Das war gar nicht möglich. Das Einzige, was ging: Den Stuhl aufs
       Bett stellen und Kniebeugen machen. Dazu kam, dass ich als
       Terrorismusverdächtiger 23 Stunden in der Einzelzelle war und nur eine
       Stunde Hofgang hatte.
       
       Wären Sie gerne in Gesellschaft gewesen? 
       
       Aus meinem Fenster konnte ich den Hofgang der anderen beobachten. Ehrlich
       gesagt, ich hatte wenig Lust, mich da reinzubegeben. Immerhin waren beim
       Hofgang, den ich hatte, noch zwei andere dabei, von denen einer Deutsch
       konnte. Das war gut, da mal ein bisschen quatschen zu können oder zu
       fragen, worin sich die Wärter unterscheiden.
       
       Und? Unterscheiden Sie sich? 
       
       Am deutlichsten die Männer von den Frauen. Die Männer waren schroffer. Bei
       manchen Frauen hatte ich das Gefühl, dass sie sich für meine Situation
       interessieren. Die haben auch gefragt, was ein Sozialwissenschaftler so
       macht: "Das sind ja interessante Sachen, die man da tut. Meine Tochter
       studiert auch Geografie. Muss die denn jetzt aufpassen, wenn sie eine
       Hausarbeit schreibt?" Die hatten in der Zeitung von der Festnahme gelesen.
       Da gab es so was wie einen ganz normalen Dialog, der mit den Männern nicht
       zustande kam.
       
       Also keine Knastschikane. 
       
       Nein. Alle waren sehr höflich zu mir. "Herr Doktor Holm" habe ich im Knast
       häufiger gehört als an der Uni.
       
       Ihre Verhaftung hat zu einer beispiellosen Solidarität geführt, nicht nur
       in Berlin und Deutschland, sondern auch im Ausland. Was haben Sie im Knast
       davon mitbekommen? 
       
       Zunächst haben die Anwälte von Unterschriftenlisten erzählt und dass es in
       Fulda bei der Attac-Sommerakademie eine kleine Demo gegeben hat. In Moabit
       gab es gleich zu Beginn eine Knastdemo, von der ich zwar nichts gehört
       habe, im Radio aber habe ich in den Verkehrsmeldungen mitbekommen, dass die
       Straße vor dem Knast gesperrt ist.
       
       Dachten Sie auch mal: Von denen will ich lieber keine Unterstützung? 
       
       Nein. Zwar gab es auch Soliadressen von sehr traditionell orientierten
       kommunistischen Gruppen. Da dachte ich aber eher: Dass du dich über deren
       Stellungnahmen freust, hättest du vor einem halben Jahr nicht gedacht. Der
       Konsens von allen war ja: Einstellung der Verfahren und Freilassung der
       vier Festgenommenen.
       
       Was denkt der linke Soziologe über die "militante gruppe"? 
       
       Was deren Veröffentlichungen betrifft, bin ich sicher nicht textfest. Ab
       und an habe ich mal ein Schreiben von denen gelesen, in den Akten wurden
       auch Texte von denen als Beweismaterial beigelegt. Da gibt es wohl eine
       starke ideologische Ausrichtung auf die kommunistische Weltgesellschaft.
       Damit kann ich, damit können auch die meisten meiner Freunde wenig
       anfangen. Viele von ihren Themen jedoch sind die Themen, die auch sonst in
       der Linken und bei sozialen Bewegungen diskutiert werden. Aber als
       zentralen Stichwortgeber für eine linke Politik habe ich sie nie
       wahrgenommen. Da waren die Aktivitäten gegen den G-8-Gipfel wichtiger.
       
       Ein Thema, mit dem Sie sich beschäftigen, ist Gentrification, die
       Aufwertung von Stadtteilen und die Verdrängung der Bewohner. Ein Begriff,
       dessen Verwendung Sie in den Augen der Bundesanwaltschaft zum
       Terrorverdächtigen macht. Sie haben nach der Wende die Initiative "Wir
       bleiben alle" mitgegründet, waren in der Betroffenenvertretung
       Helmholtzplatz, haben sich Forderungen wie dem nach Mietboykott
       angeschlossen. Was ist geblieben? 
       
       Wenig. Die Schlacht gegen die Aufwertung haben wir ja leider verloren.
       
       Was ist Prenzlauer Berg für Sie heute? 
       
       Ein Stadtteil, in dem ich lange Zeit gewohnt habe. Ein Stück Heimat, an das
       viele Erinnerungen geknüpft sind. Der Ort in der Stadt, an dem ich
       Veränderungen am intensivsten wahrnehme, weil ich auch den Ausgangszustand
       intensiver in Erinnerung habe. Es gibt Traurigkeit und Wehmut, weil den
       Erinnerungen die Orte genommen wurden. Wenn ich mir das aus der
       sozialwissenschaftlichen Perspektive anschaue, ist Prenzlauer Berg
       inzwischen eines der wohlhabendsten Gebiete der Stadt mit einer sehr
       jungen, karriere-, aber auch familienorientierten Klientel.
       
       Was ist schlimmer: eine Veränderung nicht verhindern zu können oder
       feststellen zu müssen, dass genau diese Veränderung den Bezirk Prenzlauer
       Berg so attraktiv macht? 
       
       Als jemand, der sich an den Auseinandersetzungen beteiligt hat, muss ich
       sagen: Die Niederlage schmerzt. Aber dass es Leute gibt, denen der sanierte
       Bezirk gefällt, erstaunt nicht. Die Urbanitätsvorstellungen der
       Mittelklasse sind nun mal der kulturelle Ausgangspunkt einer jeden
       Aufwertung.
       
       Einer, der den Bezirk auch attraktiv findet, ist Ihr Doktorvater Hartmut
       Häußermann. Er hat sich dort ein Haus gekauft. Gabe es deshalb Kontroversen
       zwischen Ihnen und Häußermann? 
       
       Ja. Es ging lange Zeit um die Frage: Gibt es Verdrängung oder nicht? Das
       haben wir in fachlichen Auseinandersetzungen ausgetragen. Was für einen
       Mieteraktivisten wie mich eher Verdrängung war, war für Häußermann Ausdruck
       eines städtischen Wandels.
       
       Hat es Sie überrascht, dass Häußermann gleich nach Ihrer Festnahme zu den
       Initiatoren der Protestbewegung gehörte? 
       
       Es hat mich sehr gefreut. Ich erinnere mich noch, wie ich im Knast die
       Abendschau geschaut habe, und Häußermann hat dem Publikum vor laufender
       Kamera erklärt, was Gentrification ist.
       
       Wie war Ihre erste Begegnung nach Ihrer Freilassung? 
       
       Hochemotional. Häußermann hat mir nach über zehn Jahren Zusammenarbeit
       spontan das Du angeboten. Das halten wir bis heute so. Sein Engagement hat
       für mich auch den antiquierten Begriff des Doktorvaters mit Leben gefüllt.
       
       Als Sozialwissenschaftler sind Sie nun bekannt wie nie zuvor. Ist das
       hilfreich oder eher ein Nachteil? 
       
       Bekannt ist vor allem der Fall Andrej H. Der Wissenschaftler Andrej Holm
       wird sich neu beweisen müssen. Es würde mich nicht überraschen, wenn das
       Interesse an meinen Veröffentlichungen und Thesen steigt. Auf der anderen
       Seite ist der Kontext meiner Popularität bei Bewerbungen an Universitäten
       oder Instituten sicher nicht förderlich.
       
       Hat das alles, rückwirkend betrachtet, auch einen Sinn gehabt? 
       
       Wenn, dann vielleicht den, dass schon lange nicht mehr so viel über
       Aufwertung und Verdrängung diskutiert wurde. Ansonsten war das alles eine
       grandiose Verschwendung von Zeit.
       
       Was hat Ihnen nach der Freilassung am meisten geholfen? 
       
       Die breite Unterstützung von Freunden und auch Kollegen, die ja bis heute
       einen großen Teil der Soliarbeit stemmen. Und, auch wenn es eine bisschen
       spießig klingt: das Familienleben. Für die Kinder war ich auf Dienstreise.
       Nun bin ich wieder zurück. Wenn wir zusammen auf dem Sofa sitzen, ist das
       die beste Gelegenheit, einfach mal abzuschalten.
       
       11 Nov 2007
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) G. Asmuth
 (DIR) U. Rada
       
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 (DIR) Andrej Holm
       
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