# taz.de -- Grausame Kriegsverbrechen im Kongo: Sexueller Terrorismus
       
       > In der Demokratischen Republik Kongo üben vor allem ruandische
       > Hutu-Milizen unvorstellbar brutale Gewalt gegen Frauen. Die Welt sieht zu
       > bei diesem Völkermord mit anderen Mitteln
       
 (IMG) Bild: Die UNO zählte allein in der Provinz Südkivu 27.000 sexuelle Übergriffe im Jahr 2006.
       
       Als sie zur Klinik kam, trug die Frau eine Plastiktüte. In ihrem Dorf hatte
       sie längere Zeit zwei ihrer kleinen Mädchen vermisst, erzählte sie. Sie
       ging zum Milizenchef des Dorfes, und fragte ihn, ob er die Kinder gesehen
       habe. Der lachte sie aus. "Du hast jetzt jeden Tag Fleisch gegessen",
       erklärte er ihr. "Denkst du, wir haben Ziegen geschlachtet?" Die Knochen
       schenkte er ihr. Seitdem trägt sie in ihrer Tüte zwei kleine Schädel herum
       - die Reste ihrer Töchter.
       
       Eine andere Frau schlug ihren Wickelrock auf. Blut und Eiter quollen
       hervor, darunter ihr sechs Monate altes Baby. Es war mehrfach von
       erwachsenen Männern vergewaltigt worden, sein Unterleib war nur noch eine
       einzige, fürchterliche Wunde. Das Baby musste sofort in den OP. Es
       überlebte nicht.
       
       Die Szenen, die sich auf der Station für vergewaltigte Frauen im
       Panzi-Krankenhaus des ostkongolesischen Bukavu abspielen, übersteigen
       zuweilen die menschliche Vorstellungskraft. Frauen, denen man nach
       Mehrfachvergewaltigung in die Vagina geschossen hat, sind keine Seltenheit.
       Eine Frau wurde vergewaltigt, während ihr Mann gefesselt zusehen musste;
       dann wurde der Mann bei lebendigem Leibe von den Bewaffneten zerstückelt,
       und die Frau musste sein Geschlechtsteil essen. "Seit zehn Jahren kann ich
       nur mit Schlafmitteln schlafen", erzählt Christine Schuler-Deschryver, die
       im Auftrag der deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ)
       die Frauenstation von Panzi betreut. "Dies ist kein Krieg, dies ist
       sexueller Terrorismus."
       
       Die jahrelange Arbeit mit brutal zugerichteten Frauen hat die einst stolz
       auftretende, hochgewachsene Belgokongolesin an den Rand des psychischen
       Zusammenbruchs gebracht. Nicht viel anders ergeht es der Engländerin Lyn
       Lusi in Ostkongos anderer großen Stadt, Goma, die zusammen mit ihrem
       kongolesischen Ehemann das Docs-Krankenhaus des US-Hilfswerks Heal Africa
       betreut, wo ebenfalls ständig Vergewaltigungsopfer chirurgisch behandelt
       werden müssen. Wenn sie mit ihrem glasklaren, unterkühlten Oxford-Englisch
       das Leid der Frauen beschreibt, offenbart sich eine Mischung aus großer
       Erschöpfung und Fassungslosigkeit, immer überlagert von den Problemen des
       Alltags, der nie gesichert ist in der Demokratischen Republik Kongo.
       
       Kongos Ostregion Kivu ist heute die Kriegsregion mit den übelsten
       Verhältnisse der Welt, es gibt mehr Vertreibungen und Verbrechen als in
       Darfur. Es hat Jahre gedauert, bis die unmenschliche Gewalt gegen
       Zivilisten durch Milizen dort international zur Kenntnis genommen wurde.
       Solange im Kongo Krieg zwischen Warlords auf nationaler Ebene herrschte,
       jeder mit der Unterstützung einer anderen ausländischen Armee, blieben die
       Vorgänge in den schwer zugänglichen Wäldern und Bergen von Kivu vergessen.
       
       Seit den Wahlen 2006 aber herrscht im Kongo offiziell Frieden und
       Demokratie, und so sticht das Chaos in Kivu stärker als Problem hervor. Das
       Panzi-Krankenhaus von Bukavu ist mehr noch als das Docs-Krankenhaus von
       Goma eine regelrechte Pilgerstätte für durchjettende Politiker und
       Journalisten geworden. Es mangelt heute nicht mehr an Reportagen,
       Dokumentarfilmen, Zeitungsberichten über die sexuelle Gewalt in Kivu. Zum
       morgigen Internationalen Tag zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen hagelt
       es anklagende Presseerklärungen, das Spektrum der Absender reicht von der
       Gesellschaft für Bedrohte Völker bis zur CDU-Bundestagsabgeordneten
       Michaela Noll.
       
       Viele Berichte konzentrieren sich auf erschütternde Einzelschicksale,
       hinter denen der Kongo als das erscheint, was er im europäischen Weltbild
       schon immer war: das Herz der Finsternis, undurchdringlich und
       unverständlich. Wenn regelmäßig am Schluss solcher Berichte Frauen aus der
       Behandlung wieder nach Hause geschickt werden, ist das wie eine Abschiebung
       zurück in die Hölle, wo die finstere Gewalt sie wieder verschlucken wird.
       Man kann, so schließt der Medienkonsument, wenig für sie tun außerhalb des
       Lichts der Krankenstationen.
       
       Dabei ist von brutalster Folter begleitete Vergewaltigung ein relativ neues
       Phänomen im Kongo. Noch vor zehn Jahren kannte man das nicht. Die vielen
       als "Mayi-Mayi" bekannten lokalen Milizen Ostkongos, die sich mit
       Zauberwasser unverwundbar machen und seit den Wirren der 60er-Jahre mit
       Ritualen und Tabus an alte Geheimbundtraditionen anknüpfen, verboten früher
       sexuellen Kontakt: Frauen sind unrein, Kinder rein, weshalb ein Krieger
       keine Frau anschauen soll, Kinder dagegen die besten Kämpfer sein können.
       
       Inzwischen aber nutzt jede Kriegspartei im Ostkongo, ob lokale Stammesmiliz
       oder nationale Armee, Vergewaltigung als Zeichen der Macht und als Mittel
       der Einschüchterung. Und die Mehrheit der sexuellen Kriegsverbrechen in
       Kivu, darüber sind sich alle Untersuchungen einig, werden von Hutu-Milizen
       aus Ruanda begangen. Sie waren dort 1994 die Haupttäter des Genozids an
       rund 800.000 Menschen, zumeist Tutsi, flohen nach dem Zusammenbruch ihres
       Regimes in den Kongo und kämpften dort jahrelang aufseiten der Regierung
       gegen ostkongolesische Rebellen. Heute werden sie vom Staat nicht mehr
       gebraucht, und so errichten sie ihren eigenen Staat im Staate, mit der
       Kontrolle über Gold- und Zinnminen, Trainingslagern im Wald, Steuererhebung
       auf Märkten und Straßen und einem eindrucksvollen Waffenarsenal. Politisch
       als FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) organisiert, regieren
       ihre Führer im kongolesischen Exil mit denselben Terrormethoden, die sie
       früher in Ruanda anwandten. Ein Großteil ihrer einfachen Kämpfer ist zwar
       zu jung, um aktiv am Völkermord von 1994 teilgenommen zu haben, aber die
       Führungsebene kommt noch aus dieser Zeit oder wurde von
       Völkermordverantwortlichen herangezogen.
       
       Die sexuellen Kriegsverbrechen im Kongo sind somit als Fortsetzung des
       Völkermords in Ruanda zu verstehen. 60 Prozent der registrierten
       Vergewaltigungen in der Provinz Südkivu wurden laut Erhebungen von den
       ruandischen Hutu-Milizen begangen. Es ist eine durchaus an- und abstellbare
       Strategie, wie der niederländische Wissenschaftler Hans Romkema feststellt,
       der die Milizen vor Ort erforscht hat. "Die FDLR hat eine Hierarchie. Wenn
       es einen vernünftigen lokalen Kommandanten gibt, wird Vergewaltigung oft
       bestraft."
       
       Weil viele FDLR-Kommandanten in Kivu früher auch in Kongos Regierungsarmee
       gedient haben, verwundert es kaum, dass Kongos Regierung jetzt nichts gegen
       sie tut. Zudem sind auch Regierungssoldaten für sexuelle Kriegsverbrechen
       verantwortlich. Die einzige Gruppe Ostkongos, die sich den Kampf gegen die
       ruandischen Hutu-Milizen auf die Fahnen schreibt, sind die kongolesischen
       Tutsi-Rebellen des abtrünnigen Armeegenerals Laurent Nkunda. Doch
       international gilt Nkunda mehr noch als die FDLR als Haupthindernis für den
       Frieden im Kongo.
       
       Es ist ein Skandal: Die internationale Gemeinschaft, die ihre Untätigkeit
       während des Völkermords in Ruanda heute gerne öffentlich bedauert, bleibt
       angesichts der im Kongo aktiven Nachfolger der Völkermörder tatenlos. Die
       UNO im Kongo setzt weiter auf das Konzept "freiwilliger" Repatriierung der
       Milizen nach Ruanda. Sie hat damit seit 2001 zwar 6.715 FDLR-Kämpfer aus
       dem Kongo entfernen können, aber der harte Kern aus 3.000 bis 7,000 Mann
       bleibt, und je kleiner er wird, desto terroristischer übt er seine
       Herrschaft aus. Rund die Hälfte der beiden Kivu-Provinzen steht laut
       Romkema unter direkter oder indirekter Kontrolle der FDLR sowie lokaler
       Frontmilizen. Und ein mit UN-Sanktionen belegter Führer der Organisation
       lebt als anerkannter politischer Flüchtling in Deutschland und klagt
       derzeit gegen seine Ausweisung.
       
       Die sexuellen Kriegsverbrechen im Ostkongo als politisch-militärische
       Strategie benennbarer Täter zu verstehen - dies wäre die Grundvoraussetzung
       dafür, etwas dagegen zu tun. Die Freunde der Völkermörder haben das
       schneller verstanden als die internationale Gemeinschaft. Einschlägige
       Kreise, die den Völkermord von 1994 in Ruanda entweder leugnen oder dafür
       alle Welt verantwortlich machen außer die Täter selbst, verbreiten derzeit
       Apologien zum sexuellen Terror im Ostkongo. Einer klagt, die USA hätten die
       UNO dazu gezwungen, Vergewaltigung als Tatbestand vor
       Kriegsverbrechertribunalen aufzunehmen. Ein anderer versucht, die
       Frauenhelferin Christine Schuler-Deschryver durch Hinweis auf ihre
       Teilherkunft aus einer belgischen Siedlerfamilie im Kongo ins Zwielicht zu
       rücken und dadurch, dass sie und ihr Mann für die deutsche GTZ arbeiten -
       wo doch Deutschland als Abnehmer von Mineralien aus Ostkongo mitschuldig
       sei.
       
       Es sind hilflose, aber konzertierte Versuche, die politische Komponente des
       sexuellen Terrors im Kongo zu diskreditieren. Denn den Völkermordapologeten
       bleibt nicht viel Zeit. Diesen Monat einigten sich die Regierungen Kongos
       und Ruandas mit UNO, USA und EU darauf, bis zum 1. Dezember einen Plan zur
       gewaltsamen Zerschlagung der Milizen im Ostkongo zu entwerfen. Ob danach
       wirklich etwas geschieht, hängt vom Druck der internationalen
       Öffentlichkeit ab. Diese muss endlich die Grausamkeiten an Kongos Frauen
       als lösbares Problem begreifen - und nicht als bedauerliches kulturelles
       Phänomen.
       
       23 Nov 2007
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dominic Johnson
       
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