# taz.de -- Sarah Polleys Filmdebüt: Alzheimer als verhuschte Schönheit
       
       > Julie Christie spielt in Polleys "An ihrer Seite" eine
       > Alzheimerpatientin. Die Krankheit ist dort eine Allegorie mit elleganten,
       > anrührenden Bildern statt klinischer Zustand.
       
 (IMG) Bild: Fiona (Julie Christie) hängt der Speichelfaden nicht aus dem Mund und sie hat auch keine vollen Windeln.
       
       Es ist ein langer, ein merkwürdiger Abschied. Alzheimer ist eine unendlich
       traurige Krankheit, weil man den, den man liebte, noch sehen, riechen,
       hören, vielleicht sogar ansprechen kann, obwohl er oder sie schon nicht
       mehr da ist. Abgetaucht in einem Leben ohne Bewusstsein, in den Schleifen
       einer frühen, sich wiederholenden Erinnerung oder in dem einen Kontext, den
       man zuletzt begriffen hat. Das ist herzzerreißend und schrecklich für die
       Lebenspartner, die zurückbleiben. Für das Kino ist es ein trefflicher
       Tragödienstoff, der seine Zuspitzungen von Anfang an, mit der Anamnese, mit
       sich bringt. Aber auch einer, der sich vor jeder weiteren Überhöhung in
       acht nehmen muss, um nicht zum gut gemeinten Rührstück zu geraten.
       
       Filme über das Sterben und Verschwinden gab es in den vergangenen Jahren
       immer wieder. Isabel Coixet, Francois Ozon, Patrice Chéreau, André Techine
       oder Deny Arcand haben sich diesem Thema gewidmet. Und es ist interessant
       zu sehen, dass das Spektrum von fast gotischen Leidensdarstellungen bis zu
       kleinen hedonistischen Triumphen über die Angst vorm Sterben reicht. Die
       28-jährige kanadische Schauspielerin Sarah Polley, die unter der Regie von
       David Cronenberg, Michael Winterbottom, Hal Hartley oder Atom Egoyan vor
       allem auf irgendeine Art und Weise versehrte junge Frauen spielte, hat sich
       in ihrem ersten eigenen Film für eine forschende Neugier entscheiden.
       Zärtlich und warm umfangen ihre Bilder die Protagonisten, nehmen sie
       gewissermaßen in den Arm und führen sie zu jenem neuralgischen Punkt, an
       dem die Krankheit die Liebe zu einer einseitigen und mühevollen
       Angelegenheit macht.
       
       Dass das die meiste Zeit gut geht und im schönsten Sinne anrührt, hat
       mehrere Gründe. Der offensichtlichste heißt Julie Christie. Egal, ob sie
       als Fiona die eben gereinigte Bratpfanne mit der allergrößten
       Selbstverständlichkeit in den Kühlschrank stellt oder darüber sinniert,
       dass sie den halben Tag damit zubringt, etwas zu suchen, von dem sie bald
       vergessen hat, um was es sich da handeln könnte. Ob sie somnambul mit den
       Skiern über verschneite Felder zieht oder nach der Bedeutung des Wortes
       "Gelb" sucht. Das alles hat eine Eleganz, Würde und verhuschte Schönheit,
       die man ansonsten wohl kaum mit der Krankheit in Verbindung bringen würde.
       Und natürlich hängt Christies Fiona der Speichel nicht in Fäden aus den
       Mundwinkeln, und es beult sich auch keine volle Windel in ihrer Hose. Auch
       die aggressiven Etappen der Krankheit, das Keifen, Beißen, Schlagen oder
       das Misstrauen und die Misanthropie, mit denen viele auf die schmerzhafte
       Ahnung reagieren, dass ihnen gerade das eigene Leben und jede
       Entscheidungssouveränität abhanden kommt, lässt der Film aus. Schließlich
       geht es ihm nicht um eine klinische Studie, sondern eher um einen
       allegorischen Zustand, der die Rätsel des Lebens noch einmal neu
       durchmischt, alle logischen und zwischenmenschlichen Verbindlichkeiten
       erschüttert.
       
       Sarah Polley tut gut daran, den Grundton der Kurzgeschichte "Der Bär
       kletterte über den Berg" der kanadischen Schriftstellerin Alice Munro
       möglichst zu übernehmen; mit seiner liebevollen Nüchternheit und einer nur
       schwer zu erschütternden Ironie stemmt er sich gegen jede Verzauberung und
       Verkitschung der Heldin. Dazu eine Kamera (Luc Montpellier), die mit ihren
       leicht verwischten Bildern schnell und ohne Umschweife das Wesentliche
       klarmacht: das Verschwinden, die Verletzungen und den Schmerz. Und die
       Trauer nicht nur derjenigen, die hilflos zuschauen müssen, sondern auch der
       traumschönen Heldin, in deren immer wieder in die Ferne gerichteten Blick
       eine Art Phantomschmerz kauert. Die Ahnung, dass sie den Faden zu ihrer
       eigenen Lebensgeschichte verloren hat.
       
       Wenn das Objektiv Fiona immer wieder in die Unschärfe und in ein wattiges
       Weiß aus fernem Schnee oder Pflegeheimwänden entlässt, solidarisiert sich
       der Kamerablick auf schöne Weise mit dem Ehemann Grant, der mehrere Anläufe
       braucht, um seine Frau ziehen zu lassen. Von Anfang an entscheidet sich
       Polley für die Perspektive des tapfer Abschied nehmenden Grant (Gordon
       Pinsent), durchleidet mit ihm Fionas Umzug ins Heim, die verhängte
       Kontaktsperre. Und die Kamera schluckt förmlich mit ihm, wenn er sieht, wie
       verliebt seine Frau schon bald einen Mitpatienten über die Gänge rollt.
       
       Polley, die als Darstellerin einer krebskranken jungen Frau in Isabel
       Coixets "Mein Leben ohne mich" alles daran gab, ihre restliche Zeit mit
       Vorsorge und machbarem Glück zu füllen, durchwirkt auch ihren eigenen Film
       mit kleinen paradiesisch entrückten Momenten. Und mit einem
       unkonventionellen Appell für eine schon schmerzhafte Toleranz und die nicht
       minder qualvolle Bereitschaft, einen neuen Liebespartner neben sich zu
       dulden. Diese Selbstlosigkeit, die auch Polleys Todkranke an den Tag legte,
       dieser unerschütterliche, naive Glaube an die heilige Reinheit einer
       Sterbenden und die Opferbereitschaft ihrer Bezugspersonen ist die
       Schwachstelle des Films. Ein labiles Scharnier, an dem das Ganze ins
       Schwelgerische kippt und ein normales, kleines Leben zwanghaft in eine
       märtyrerhafte Perfektion treibt.
       
       6 Dec 2007
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Birgit Glombitza
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Literatur
 (DIR) Alzheimer
 (DIR) Generationen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Zum Tod der Autorin Alice Munro: Das Schreiben hat sie sich erkämpft
       
       In ihren Kurzgeschichten leuchtete Alice Munro die Lücken in Beziehungen
       aus. Nun ist die Literaturnobelpreisträgerin im Alter von 92 Jahren
       gestorben.
       
 (DIR) Alzheimer-Forschung: Diagnose ohne Aussicht auf Heilung
       
       Weltweit suchen Forschende nach Möglichkeiten, Alzheimer möglichst früh zu
       diagnostizieren. Aufhalten lässt sich die Krankheit damit aber nicht.
       
 (DIR) Spielfilm „Kaffee mit Milch und Stress“: Gehen mit Schmerzen
       
       Die Alterskomödie von Regisseur Dome Karukoski ist ein Appell für mehr
       Flexibilität im Denken und Tun – und zwar von allen Generationen.