# taz.de -- Militärische Willkür: Der birmesische Patient
       
       > Birma ist landschaftlich und kulturell ein reizvolles Land. Angesichts
       > des politischen Stillstands und rapide steigender Preise wirken viele
       > Menschen resigniert.
       
 (IMG) Bild: Die Shewadagon-Pagode in der Hauptstadt Rangun
       
       Endlich ist Nang Inn am Ziel. Die korpulente Frau breitet eine Matte aus
       und stellt vier Whiskey-Flaschen darauf. Ihre Schwester fügt zwei gekochte
       Hühner und verschiedene Schalen mit Reis hinzu. Zum Schluss falten beide
       Frauen die Hände zum Gebet und wenden ihre Blicke auf eine lebensgroße, mit
       Alkoholika behangene Reiterstatue.
       
       Sie stellt Ko Gyi Kyaw dar, einen in ganz Birma populären Schutzgeist. Ein
       Nat - wie diese in Birma genannt werden. Alles, was mit dem Geschäftsleben
       zu tun hat, fällt in seinen Zuständigkeitsbereich. Aus diesem Grund haben
       sich auch Nang und ihre Schwester von ihrer Heimatstadt Tachilek an der
       thailändischen Grenze auf den weiten Weg nach Zentralbirma gemacht, um Ko
       Gyi Kyaws Pilgerstätte am Chindwin-Fluss unweit von Pakokku aufzusuchen.
       
       „Unser Edelsteinhandel lief in den letzten Jahren sehr gut“, erzählt Nang
       Inn. „Daher konnten wir uns endlich für zehn Millionen Kyat (umgerechnet
       8.000 Euro, d. V.) einen 15 Jahre alten Nissan Sunny leisten. Dies
       verdanken wir vor allem Ko Gyi Kyaw.“ In Thailand und anderswo hätte die
       Shan-Frau für dieses betagte Fahrzeug einen Bruchteil davon zahlen müssen.
       Doch in Birma sind Gebrauchtwagen ein Vermögen wert, denn die
       Militärregierung reglementiert deren Einfuhr und hält somit die Preise
       hoch.
       
       Ob Nangs Geschäfte in naher Zukunft weiter gut laufen werden, ist fraglich.
       Denn seit der brutalen Niederschlagung der Mönchsdemonstrationen im letzten
       Oktober herrscht Flaute im Tourismus-Geschäft. Das ist auch in Tachilek zu
       spüren, da sich in diesem Grenzort thailändische Besucher mit birmesischen
       Edelsteinen und chinesischen Billigwaren eindecken. Doch auch anderswo
       bleiben die Gäste aus. Etwa am Ngwe Saung Beach am Golf von Bengalen. Der
       14 km lange „Silberstrand“, fünf Autostunden westlich von Yangon, ist vor
       allem bei deutschen Urlaubern beliebt, die nach ihrer Rundreise durch Birma
       noch etwas entspannen wollen. So weit das Auge reicht, wiegen sich hier die
       Kokospalmen im Wind. „Bis zur Oktoberkrise war die Buchungslage
       hervorragend. Doch nun bleiben die meisten Betten leer“, klagt Bi Mar, die
       Direktorin des Palm Beach Resort. Seit drei Jahren leitet die 38-Jährige
       die Hotelanlage mit nur 31 Zimmern. „Von den Demonstrationen der Mönche
       haben wir nur durch die Berichte von CNN und BBC erfahren“, erzählt sie.
       
       Für Politik interessiert sich Bi Mar schon lange nicht mehr. „Was kann ich
       schon machen“, lamentiert die Enkelin nepalesischer Einwanderer. „Mir geht
       es vor allen Dingen darum, den Menschen hier in Ngwe Saung ein Auskommen zu
       bieten.“ Daher widmet sie sich der Aus- und Weiterbildung ihrer hundert
       Angestellten. Die meisten davon kommen aus den ärmlichen Dörfern an der
       Küste und dem Hinterland. Außer durch Landwirtschaft und Fischfang gibt es
       hier nichts zu verdienen. Die Infrastruktur ist katastrophal, vor allen
       Dingen fehlt der Strom. Deshalb sind alle zwanzig Hotels und Gästehäuser in
       Ngwe Saung mit Dieselgeneratoren ausgestattet. Abgesehen von der
       Umweltbelastung drücken die Kosten aufgrund des gestiegenen Ölpreises mehr
       denn je auf den Geldbeutel. Anderswo wäre dieser Strand eine Goldgrube,
       hier jedoch schreiben alle Hoteleigentümer - vorwiegend Geschäftsleute aus
       Yangon - tiefrote Zahlen.
       
       Möglicherweise ist dies ganz im Sinne jener Stimmen, die sowieso keine
       Touristen im Land sehen wollen. Etwa für den britischen Reiseveranstalter
       [1][responsibletravel.com], der sich die Umsetzung eines verantwortlichen
       Tourismus auf die Fahnen geschrieben hat. Während er keine Probleme hat,
       Urlauber nach Libyen und Simbabwe zu schicken, ist Birma für ihn eine
       No-go-Area. Bei Verantwortung denkt Laurent Kuenzle hingegen in erster
       Linie an seine 500 Mitarbeiter. Der 40-jährige Schweizer ist Direktor der
       Agentur Asian Trails und arbeitet seit über zehn Jahren im Land. Allein im
       Yangoner Büro sorgen 50 Angestellte für einen reibungslosen Ablauf der
       angebotenen Rundtouren. Zu den Kunden zählen renommierte Veranstalter wie
       Studiosus, TUI und Kuoni. „Konservativ gerechnet ernährt jeder meiner 500
       Mitarbeiter im Schnitt drei weitere Personen. Folglich bin ich dafür
       verantwortlich, dass 2.000 Menschen ihren täglichen Reis bekommen“, meint
       Kuenzle. „Angesichts fehlender Industrie ist der Tourismus einer der
       wenigen Bereiche, wo auch normale Leute etwas verdienen können“,
       argumentiert er weiter und erinnert an all die Souvenirverkäufer und
       Restaurantbesitzer.
       
       Die Demonstrationen des letzten Oktobers hätten sicherlich nicht jene
       weltweite Resonanz erhalten, wäre Birma so isoliert gewesen wie in den
       1980er-Jahren. Viele ehemalige Besucher des Landes waren bei den jüngsten
       Sympathiekundgebungen in aller Welt dabei. Vor allem ist der Tourismus eine
       der wenigen Möglichkeiten für Birmesen, mit Menschen aus dem Ausland in
       Kontakt zu kommen.
       
       So auch für Hla Myint*, einem Reiseleiter für englisch- und
       spanischsprachige Gäste. Bei einigen Demonstrationen war der 31-jährige
       Yangoner aktiv dabei. Einmal hielt er Soldaten, welche die berühmte
       Shwedagon-Pagode absperrten, ein Plakat hin. „Darauf forderten wir sie auf,
       sich den Mönchsprotesten anzuschließen“, erzählt er auf Spanisch, damit
       niemand dem Gespräch lauschen kann. Mit ausländischen Freunden war er per
       Internet ständig in Kontakt, bis die Militärs die Leitung kappten.
       „Eigentlich wäre ich ja gerne Journalist geworden“, meint er mit einem
       resignierten Lächeln. „Aber welche Möglichkeiten hätte ich angesichts der
       rigiden Zensur?“ Nur wenige sind so mutig wie der mittlerweile inhaftierte
       Lyriker Saw Wai, der kürzlich ein Liebesgedicht veröffentlichte, in welchem
       er eine Kritik gegen die Nummer eins im Land, General Than Shwe, versteckt
       hatte.
       
       Fünf Monate nach den Demonstrationen wirkt die Stimmung überall ziemlich
       gedrückt. Birma gleicht einem latent depressiven Patienten. Die
       Militärregierung sitz fest im Sattel, und das Ausland ist in seiner Haltung
       gegenüber dem Land heillos zerstritten, da bleibt für sie nur der Gang zur
       buddhistischen Pagode - oder zu Ko Gyi Kyaw, dem lebenslustigen Nat.
       
       16 Feb 2008
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://responsibletravel.com
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin H. Petrich
       
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