# taz.de -- Debatte Schwarz-Grün: Politik statt Projekt
> In Hamburg und Hessen müssen die Grünen zeigen, dass sie der
> Herausforderung des neuen Fünfparteiensystems gewachsen sind. Sonst
> scheitert der grüne Aufbruch.
Gelingt der historische Kompromiss zwischen Grünen und Konservativen?
Erstmals seit den 1980er-Jahren, als es noch viel Fantasie und Courage
benötigte, ihn überhaupt zu denken, lässt er sich heute verwirklichen. Und
die Grünen sollten die Chance ergreifen, genauso, wie sie versuchen
sollten, dem jammervollen Spiel in Wiesbaden durch eine rot-rot-grüne
Tolerierungsallianz ein Ende zu machen. Opportunismus? Ja natürlich - kluge
Politik nutzt stets die gegebenen Möglichkeiten, ohne damit langfristige
Ziele abzusetzen.
Ergreifen die Grünen in Wiesbaden wie in Hamburg ihre Koalitionschance,
sind sie Vorkämpfer einer im besten Sinne experimentellen und zeitgemäßen
Politik, die sich nicht in jenen "kreativen Koalitionen" erschöpft, die
jetzt ohnehin alle fordern. Solche sind aus der Not geboren, die übrigens
keine vorübergehende ist.
Jenseits taktischer Kalküle stehen Parteien, die - wie bei den Grünen
einmal programmatisch der Fall - "vorn" sein wollen, vor der Aufgabe, zwei
nur scheinbar exklusive und konträre Aufgaben unter einen Hut zu bringen:
Der Aufstieg der Linken (und damit die Wiederkehr einer virtuellen Mehrheit
links von der Union) reflektiert eine nicht hinnehmbare soziale Spaltung
der Gesellschaft und den Wunsch nach einer Restauration
wohlfahrtsstaatlicher Minimalgarantien. Die schwarz-grüne Potenz in den
urbanen Dienstleistungsregionen spiegelt die mit dem Klimawandel
unabweisbaren Handlungsnotwendigkeiten einer nachhaltigen Umweltpolitik.
Man kann das eine tun, ohne das andere zu lassen. Es liegt an der
Kurzsichtigkeit einer immer noch nicht ressortübergreifenden Politik, dass
der Umbau des Sozialstaates und ökologische Modernisierung als Widersprüche
erscheinen oder wenigstens so, als müsse man erst das eine und dann das
andere erledigen. Wie man Lösungen finden könnte, demonstriert die
Weltstadt Hamburg. Hier stehen exemplarische Zukunftsentscheidungen an, die
nach einer schwarz-grünen Lösung geradezu schreien - etwa beim geplanten
Kohlekraftwerk in Hamburg-Moorburg oder der Elbervertiefung.
Es ist wohl nicht daran zu rütteln, dass politische Parteien den legitimen
Machterhalt oder Machterwerb anstreben - und wenig sonst. Aber die Schere
zwischen kurzfristigem Kalkül und langfristigen, mehr als eine
Legislaturperiode füllenden Politikaufgaben hat sich bis zu dem Punkt
geöffnet, wo die Wählerschaft (einschließlich der Nichtwähler!) deutlich
klüger und flexibler reagiert als die Parteieliten. Nach Lage der Dinge
können allein die Grünen in der angedeuteten Doppelrolle auftreten.
Doppelrolle bedeutet nicht Beliebigkeit, und das Thema "soziale
Gerechtigkeit" ist nur valide, wenn es im grün-ökologischen Sinne
angegangen wird. Gerechtigkeit ist mit anderen Worten vor dem Hintergrund
der ökologischen Krise zu diskutieren, nicht umgekehrt.
Es geht also darum, die schwarz-grüne Option zu einem Regierungsprogramm
auszubauen. Drei Faktoren stehen dem derzeit im Wege: machtpolitische,
programmatische, prozedurale. Machtpolitisch: Liegen die Widerstände eher
in den Parteien als zwischen ihnen, also in einem Funktionärskörper alter
Schule, der das politische Textbuch der Kohl-Ära nachbetet. Diese
pawlowschen Reflexe muss man nicht zu hoch veranschlagen: Grüne
Parteikader, die schwarz-grüne Visionen immer als Professorengeschwätz
abgetan haben, lernen gerade die Lektion politischer Wirklichkeit, und sie
werden umschwenken wie Joschka Fischer und Jürgen Trittin. Nicht renitente
Parteitage sind Bewährungsproben dieses Kurswechsels, sondern eine jüngere
Generation grüner Modernisierer, die zu ihrem Bürgerstatus stehen und sich
lebensweltlich kaum von der urbanen Basis der Unionsparteien unterscheiden.
Sicherlich aber von den Hardlinern der CDU/CSU, die sich auf eine
ländlich-konservative Stahlhelmbasis stützen. Aber auch die Union wird
ihren Widerstand gegen die "Mesalliance" aufgeben - in Großstädten wie
Frankfurt, Kiel, Köln, Mülheim, Kassel, Essen und Saarbrücken, in
Hamburg-Altona und Berlin-Steglitz hat das längst begonnen. Dafür, dass sie
weiter regieren kann, wird die Union schmerzhafte Kompromisse eingehen.
Hintergrund und Halbwertzeit dieser kommunalen Koalitionen waren klar:
Schwarz-Grün beerbte die in Arroganz und Klientelismus erstarrte
Sozialdemokratie, und es handelt sich um Zweckbündnisse auf Zeit. Diese
taktische Grundlage ist erweiterungsfähig, womit man auch bei den
programmatischen Schnittflächen ist, die realistisch betrachtet nicht
kleiner (oder größer!) sind als beim hochgestylten "rot-grünen Projekt".
Übereinstimmungen gibt es in der Gestaltung der ökologischen und sozialen
Marktwirtschaft, die innovative Ansätze in der Energie- und Verkehrspolitik
erlaubt, ebenso in der Sozial- und Bildungspolitik. Hier kommen
wertkonservative Gemeinsamkeiten zum Tragen, die man in der "Bewahrung der
Schöpfung" sehen mag, wenn dies kein Schlagwort und Kampfbegriff
katholischer Reaktionäre oder protestantischer Fundamentalisten ist.
Eingepasst in diese Zuneigungen, die auch in puncto Bürgergesellschaft
bestehen, sind jung-grüne Neigungen zu einer postindustriellen
Dezentralisierung, die von der Tonnenideologie der Arbeitsgesellschaft
Abschied nimmt, der das rot-grüne Projekt an vielen Stellen noch verhaftet
war. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die erste schwarz-rote
Koalition in der vormaligen SPD-Bastion Hamburg zustande kommen könnte und
nicht in Baden-Württemberg, wo sich Grüne und Union längst darauf hätten
verständigen müssen, aber stets am grünen Veto aus Berlin und an Intrigen
der schwarzen Betonfraktion gescheitert sind.
Bleibt das Prozedurale - bekanntlich die Hauptsache im politischen
Geschäft: Wie vermittelt man die schwarz-grüne Ambition und das sicher
suboptimale Ergebnis zwei Parteien, deren aktuelles Selbstbewusstsein
keineswegs spiegelt, dass die eine die Bundeskanzlerin stellt und die
andere eine Schlüsselrolle in der Politik des 21. Jahrhunderts haben
könnte? Aus beiden Richtungen wird es Sperrfeuer geben, das heißt: Man wird
"Knackpunkte", die gar keine sind (wie Abtreibung, Überwachung, Homoehe und
Afghanistankrieg) betonen, die mehr Unvereinbarkeiten als Gemeinsamkeiten
demonstrieren.
Dahinter stecken Kalküle, die paradoxerweise mit dem Verhältnis beider
Parteien zu ihrer "Linken" zu tun haben: Die CDU möchte durch schwarz-grüne
oder Jamaika-Koalitionen nicht Status und Image als "stärkste
Arbeitnehmerpartei" (Jürgen Rüttgers) gefährden, die Grünen fürchten mit
der Bürgerkoalition, der PDS-Linken in die Hände zu spielen. All das kann
man zum Prinzipienstreit aufbauschen, dessen Folge nur große Koalitionen in
Hamburg und Wiesbaden wären - und womöglich weiter in Berlin. Dann wäre
nicht nur Rot-Grün als Generationsprojekt verabschiedet, sondern der grüne
Aufbruch als solcher endgültig gescheitert.
25 Feb 2008
## AUTOREN
(DIR) Claus Leggewie
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