# taz.de -- Nadal besiegt Federer in Wimbledon: Epochaler Wahnsinn
       
       > Rafael Nadal entthront in einem dramatischen Finale den langjährigen
       > Maestro von Wimbledon. Die Niederlage von Roger Federer markiert den
       > Beginn einer neuen Zeitrechnung in der Tenniswelt.
       
 (IMG) Bild: Da lag Nadal noch am Boden: Nach Regenpausen und bei Einbruch der Dunkelheit hatte er Federer bezwungen.
       
       WIMBLEDON taz Fehlte nur noch, dass der Kerl da oben auf dem Flachdach der
       Fernsehkabine die Arme ausgebreitet und den 15.000 Leuten in der von
       zuckenden Blitzlichtern durchsetzten Dunkelheit zugerufen hätte: Ich bin
       der König der Welt! Aber so was hätte er nie getan; schließlich war er auf
       dem Weg zum Thronfolger seines Landes, dem Kronprinzen Felipe. Dennoch
       hätte es gestimmt, denn nach dem Ende eines epochalen, völlig wahnsinnigen
       Spiels war Rafael Nadal nichts weniger als der neue Souverän.
       
       Von den Dingen, die sich an diesem Sonntag zwischen halb drei und viertel
       nach neun auf Wimbledons Centre Court zutrugen, werden alle, die dabei
       waren, ihren Kindern und Enkeln noch erzählen. Mehr an Drama, mehr an
       Stärke und Beharrlichkeit, mehr an atemberaubendem Wechsel der Strömungen
       kann in einem Spiel kaum enthalten sein. Und erst recht nicht mehr von der
       Herausforderung an die Helden des Dramas, mit all dem umzugehen.
       
       Als Nadal auf dem Dach stand, hockte Roger Federer unten auf dem dunklen
       Centre Court auf einem Stuhl, und sein Blick verlor sich im Nirgendwo.
       Später sagte er, diese ersten Momente seien nicht die schlimmsten, die
       nehme man kaum wahr. Aber es war in diesem Moment schon klar, dass ihn die
       Niederlage mitten ins Herz getroffen hatte. Seine Serie von fünf Titeln,
       das Gefühl, bei diesem Turnier und auf diesem Platz der bewunderte und
       verehrte Champion zu sein, hatte ihm immer mehr bedeutet als alles andere
       in der Welt des Tennis.
       
       Er wusste, dass er sich nicht beschweren durfte über die Niederlage in fünf
       Sätzen (4:6, 4:6, 7:6, 7:6, 7:9) nach vier Stunden und 48 Minuten im
       längsten Finale der Geschichte Wimbledons. Denn hätte Nadal alle Chancen
       genutzt, unter anderem schon Mitte des dritten Satzes, dann wäre das Spiel
       vielleicht schon vor der ersten Regenpause zu Ende gewesen. Aber offenbar
       hatte sich der Himmel vorgenommen, ein Schauspiel zuzulassen, wie es das im
       nächsten Jahr und denen danach nie mehr geben wird. Mit einem Dach über dem
       Centre Court wären dem Spiel ein verspäteter Beginn und zwei Regenpausen
       erspart geblieben, aber es hätte eben auch jener dramatische Moment der
       Verzögerung gefehlt und die schillernde halbe Stunde am Schluss in der
       hereinbrechenden Dunkelheit. Am Ende, sagt Federer, habe er kaum noch
       erkannt, gegen wen er spiele, und Nadal meinte: "Als ich zum Match
       aufgeschlagen habe, hab ich nichts mehr gesehen".
       
       Er musste nichts sehen, er konnte sich blind auf seinen Instinkt verlassen.
       Und auf seine offenbar angeborene Fähigkeit, sich von keiner Situation aus
       der Ruhe bringen zu lassen. Wie konnte er schaffen, die Unterbrechungen und
       die beiden vergebenen Matchbälle im Tiebreak des vierten Satzes
       wegzustecken? Das sei gar nicht schwer gewesen, versicherte er. "Nachdem
       ich den vierten Satz verloren hatte, hab ich mich hingesetzt und gedacht:
       Ich spiele gut, ich bin gut drauf, ich werde so weitermachen, und dann
       sehen wir ja, was passiert". Gegen diese mentale Stärke, gegen diese
       gottgegebene jugendliche Gelassenheit stand der bisweilen zögernde Zauberer
       Roger Federer auf verlorenem Posten.
       
       Er wird lange brauchen, um sich von dieser Niederlage, der zwölften im 18.
       gemeinsamen Spiel, zu erholen. Unendlich länger jedenfalls als nach der
       überaus klaren Niederlage vor vier Wochen im Finale der French Open. "Paris
       war gar nichts", sagte er eine Stunde nach der Niederlage mit einer Spur
       von Tränen in den Augen, "das hier ist ein Desaster". Er war untröstlich
       und wäre vermutlich am liebsten irgendwo in der Dunkelheit verschwunden. Um
       auch die Diskussion nicht zu hören, ob die erste Niederlage an dieser
       Stelle nach sechs Jahren so etwas wie eine Zeitenwende sei. Ein Ereignis
       wie seinerzeit 1981 die erste Niederlage nach fünf Titeln von Björn Borg
       gegen den aufmüpfigen, stürmischen John McEnroe.
       
       Die Nummer eins des Tennis wird er auf dem Papier zunächst mal bleiben.
       Aber erst in ein paar Wochen, gibt Federer zu bedenken, könne man Genaueres
       zu den Machtverhältnissen sagen, nach den Olympischen Spielen und den US
       Open. Als er am Montagmorgen nach einer kurzen und vermutlich nicht
       besonders schönen Nacht aus dem Fenster blickte, zeigte Wimbledon dem
       entthronten Maestro noch mal die kalte Schulter; es regnete in Strömen. So
       ist das nun mal: Nichts hält für alle Ewigkeit; das kleine Glück wird
       täglich neu verhandelt. Vielleicht wird es darin bestehen, das Bild des
       Turners auf dem Dach nicht allzu oft im Traum zu sehen.
       
       8 Jul 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Doris Henkel
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Stadtland
       
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