# taz.de -- Debatte Georgien, die Nato und Russland: Freunde der Nato, mäßigt euch!
       
       > Das westliche Verteidigungsbündnis wird derzeit vielfach und zu Unrecht
       > als Retter angerufen. Ebenso gerne wird vergessen, dass Georgien der
       > erste Aggressor war.
       
       "Georgien muss in die Nato!" Auch diese Zeitung war wiederholt in den
       letzten Tagen von solchen Schlagzeilen bestimmt. Doch sind sie klug?
       
       Welche militärischen und ökonomischen Hoffnungen verbinden sich mit solchen
       Losungen? Gelten sie grundsätzlich einer menschenrechtlich und demokratisch
       orientierten Außenpolitik, oder zielen sie nicht vor allem auf eine frei
       interpretierbare imperiale Aufteilung/Neujustierung der Welt nach dem
       Zusammenbruch des Sowjetsystems? Sollen sich die westlichen Demokratien von
       desperaten nationalistischen Regimen - wie dem eines Michail Saakaschwili
       in Georgien - qua Bündnispflicht in Kriege hineinziehen lassen? Oder glaubt
       man vielleicht, die "jungen Demokratien" qua Einbindung ins Bündnis besser
       kontrollieren zu können und sich darüber ganz ungeniert geostrategisch
       näher an die Ressourcen des imperialen Konkurrenten Russland heranschieben
       zu können?
       
       Ginge es in der jetzigen Kaukasuskrise in erster Linie um Demokratie,
       Menschen- oder Völkerrecht, so müsste zu allererst die georgische Seite
       akzeptieren, dass Osseten oder Abchasien nicht zu ihr gehören wollen und
       Krieg kein Mittel ist, solche Konflikte zu lösen. Dass Saakaschwili und die
       Nato so tun, als hätte jetzt die russische Schutzmacht den 1992
       ausgehandelten Waffenstillstand gebrochen, mögen viele westliche Medien
       fleißig nachbeten. Aber eine Lüge wird nicht dadurch wahrer, dass man sie
       immer wieder wiederholt.
       
       Der von US-amerikanischen Beratern umgebene Saakaschwili hat den
       militärischen Angriff gegen eine abtrünnige Zwergprovinz führen lassen. Man
       kann über Sinn und Verstand dieser Kriegshandlung debattieren, nicht aber
       darüber, wer hier der Aggressor war. Das war eindeutig Georgien.
       
       Dies richtigzustellen, hat nichts mit Sympathie für ossetische Mini- oder
       russische Großimperien, eher mit ein klein wenig Wahrheitsliebe zu tun.
       Und: Im Verhältnis zu Georgien sind auch die Osseten nur Zwerge. Wer also
       im Falle Georgiens jetzt nach der Nato schreit, handelt nach der gleichen
       Logik wie Osseten und Russen.
       
       Osseten und Abchasen allein als fünfte Kolonne Moskaus zu begreifen, ist
       ebenso falsch wie die Annahme, Saakaschwili sei ausschließlich eine
       Marionette Washingtons. Wer die außenpolitische Konfrontationslogik
       überwinden wollte, muss sich den innenpolitischen Realitäten der
       Kontrahenten zuwenden. Das Problem nennt sich Nationalismus, religiöser und
       rassistischer Überlegenheitswahn sowie übersteigertes Konkurrenzdenken.
       Überall auf der Welt sprechen die ökonomisch-territorialen Konflikte davon,
       und gegen dieses Gift ist auch der Westen bekanntlich keineswegs gefeit.
       Wer nun Georgien allein zum russischen Opfer stilisiert, will, dass die
       Lage weiter eskaliert, und verspricht sich offensichtlich Gewinn davon.
       
       Wenn man die US-amerikanische Regierung und die westlichen Militärs
       sprechen hört, könnte man meinen, dass es genau darum gehe. Über Georgien
       provoziert die Nato einen neuen Kalten Krieg mit Russland. Offenbar
       herrscht der Glauben vor, Russland sei ökonomisch und militärisch zu
       schwach, um ernstlich in einen solchen eintreten zu können. Ein riskantes
       Spiel mit ungewissem Ausgang auf zentraleuropäischem Boden.
       
       Russlands Führung klingt jedenfalls, als sei sie für ein neues Wettrüsten
       bereit, auch um den Preis, dass dadurch die Mittel für eine
       wohlfahrtsstaatlichere Entwicklung im Innern abgezogen werden und die
       weitere Demokratisierung blockiert würde.
       
       Allen voran die antirussischen Führer der neuen Nato-Ostblockstaaten
       erweisen sich dabei als Gefangene des alten autoritären Denkens. Groß
       geworden im Warschauer Pakt und mit der Ideologie der Blockkonfrontation
       betreiben sie oftmals weiterhin eine Politik autoritär-nationalistischer
       Zuspitzung. Russland wurde als omnipotentes Übel gegen den Westen
       eingetauscht.
       
       Für neue Kalte Krieger wie etwa Polens Präsidenten gibt es unterhalb der
       Rettung des Vaterlands keine Politik. Schwankend zwischen
       Minderwertigkeitskomplexen und Testosteron-Attacken, bieten Führungen wie
       die polnische eine ideale Umgebung für die US-amerikanischen
       Raketenabwehrsysteme gegen Russland. Nach dem Mauerfall hat sich die
       symbolische Frontlinie des Kalten Kriegs also gerade mal um ein Land nach
       Osten verschoben.
       
       Es fehlt im westlichen Bündnis zurzeit eine klare Stimme gegen die
       militärisch betriebene Hegemonialpolitik des angloamerikanischen Blocks.
       Der viel gescholtene Gerhard Schröder und seine rot-grüne Bundesregierung
       setzten im Verhältnis zu Russland noch ausdrücklich auf einen Wandel durch
       Handel. "Einbindung und Integration" hieß die Strategie gegenüber dem
       großen Land im Osten. Unter Kanzlerin Merkel ist davon immer weniger zu
       spüren. Aus kleinlichen ideologischen Gründen hat ihre Partei erst gegen
       den EU-Beitritt der Türkei opponiert. Und nun stützt ihr Kabinett den
       aggressiven Kurs von Nato und USA gegenüber Russland. Dabei hat schon der
       Irakkrieg gezeigt, dass Briten und US-Amerikaner, über alle Parteien
       hinweg, gewillt sind, Faust- als Kriegsrecht zu betreiben.
       
       Wer also ernsthaft will, dass sich die Logik ändert, mit der Russland in
       Georgien agiert, muss selbst etwas dazu beitragen. Der Westen kann nicht
       behaupten, man müsse das Kosovo aus Jugoslawien (respektive Serbien)
       herauslösen, Osseten und Abchasier müssten aber gegen ihren Willen Georgier
       bleiben. Und die Freunde der "humanitären Intervention" müssten vor allen
       Dingen einmal dafür sorgen, dass ihre Verbündeten auch menschenrechtliche
       Standards gegenüber Oppositionen und nationalen Minderheiten einhalten. Man
       kann im Ringen zweier ungleicher Imperien durchaus auch die russische Seite
       verstehen, ohne deswegen allzu große Sympathie für die Moskauer Autokratie
       aufzubringen.
       
       Prinzipiell gilt: Wer die Ideologie der Ethnie sät, erntet völkische
       Kriege, Massaker und Vertreibung und am Ende zumeist ein Protektorat. Wie
       eine Niederlage im völkischen Krieg aussieht, mussten die Serben wegen
       angeblicher Hufeisenpläne im Kosovokrieg erfahren. Die Nato hat Serbiens
       Infrastruktur in Schutt und Asche gelegt. Und im Kosovo-Reservat geht bis
       heute nichts ohne die westliche Schutztruppe. Gleichzeitig zerstören nun
       russische Truppen Anlagen in Georgien. Überall Trümmerhaufen: So sehen sie
       aus, die humanitären Interventionen zum Wohle von Osseten und Kosovaren.
       
       Die georgische Seite handelt aus dem gleichen Machtdenken heraus wie die
       russische. Und beides sind ehemalige Sowjetstaaten mit einem
       postkommunistischen Typus von Gesellschaft. Aber wahrscheinlich ist der
       Stalinismus einmal genauso wundersam über die Georgier gekommen wie einst
       die Hitlerei über Österreich. Geschichtsvergessenheit und nationale
       Eiferei: vielleicht ist es das, was gut zu dieser Nato passt.
       
       23 Aug 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Fanizadeh
 (DIR) Andreas Fanizadeh
       
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