# taz.de -- Reich-Ranicki lehnt Fernsehpreis ab: Böse Miene zur blöden Gala
       
       > Der Literaturpapst sollte für sein literarisches Quartett geehrt werden.
       > Doch nach Atze Schröders Fäkalhumor und Ingolf Lücks Kondomtanz weigerte
       > er sich, ausgezeichnet zu werden.
       
 (IMG) Bild: Das Fernsehen ist vor die Hunde gegangen: Reich-Ranicki empört sich über Quatsch-Comedy und schlüpfrige Moderationen.
       
       KÖLN taz Zunächst war es zum Einschlafen, doch dann schlug die Bombe ein:
       "Ich nehme diesen Preis nicht an!", mit diesen schlichten, aber
       durchschlagenden Worten hat Marcel Reich-Ranicki bei der zehnten Verleihung
       des Deutschen Fernsehpreises im Kölner Coloneum deutlich gemacht, was von
       der 1999 gestarteten Jubelfeier der Branche mittlerweile zu halten ist.
       Nichts nämlich.
       
       Das ZDF besaß die Größe, trotz des Eklats die Preis-Gala wie vorgesehen
       ohne Schnitte zu senden. Bis dahin war die dieses Jahr turnusmäßig vom ZDF
       ausgerichtete TV-Gala ohne nennenswerten Aufreger dahingeplätschert.
       
       Und so kündigte TV-Veteran Thomas Gottschalk, der bis dato mit altgedienter
       Souveränität durch die Show geführt hatte, den von den Chefs der
       fernsehpreisstiftenden Sender (ARD, ZDF, RTL, Sat. 1) ausgelobten
       Ehrenpreis auch als besonderen Höhepunkt an.
       
       Doch der 88-jährige Literaturpapst, der infolge seines die TV-Landschaft
       nachhaltig prägenden Schaffens laut Gottschalk als "Gesamtausgabe" für
       seine Sendung "Das literarische Quartett", die knapp 13 Jahre im ZDF lief,
       geehrt werden sollte, lehnte den Preis mit ähnlich deutlichen Worten ab,
       wie er vor der Kamera über Bücher gesprochen hatte: Mit der ihm eigenen
       höflichen Bösartigkeit. "Ich möchte niemanden verletzen, aber ich finde es
       schlimm, dass ich das hier vier Stunden erleben musste. Ich habe nicht
       geahnt, was mich hier erwartet."
       
       Ein im Kapitänsdress auflaufenden Atze Schröder zum Beispiel, der seine
       Laudatio zur "Besten Late Night-Moderation" mit den Worten, "Alle anderen
       haben die Hosen voll, aber bei mir ist das flüssig!" einleitete. Worauf
       sich die in dieser Kategorie ausgezeichnete NDR-Moderatorin Ina Müller
       dafür bedankte, dass sie glücklicherweise für das, was sie am besten könne,
       auch noch Geld bekomme: Nämlich für's "Sabbeln, Saufen und Singen".
       
       Dazu tanzte dann Ingolf Lück - visuell zweifelsohne ansprechend - im "Namen
       der Hose" und im schlumpfblauen "Ganzkörperkondom" vor Reich-Ranicki. Und
       "Deutschland sucht den Superstar" wurde zur besten Unterhaltungsshow
       gekürt. Zum Weinen, das.
       
       "Herr Ranicki hat vor dem Hintergrund seines persönlichen
       Generationenverständnisses reagiert, bei dem Fernsehen und kulturelle
       Vermittlung früher eine ganz andere Rolle gespielt haben, als heute", sagte
       Jurymitglied und Ex-Regierungssprecherin Miriam Meckel. Sie kann die
       Empörung des "Soll"-Preisträgers offenbar nachvollziehen.
       
       Auch ZDF-Intendant Markus Schächter, dessen Sender Reich-Ranickis
       Biographie vor exakt zwei Jahren zur großen Doku verfilmt hatte, schien
       etwas geahnt zu haben. Hatte er doch schon vorab gebeten, "bitte nicht so
       hart" zu sein. Doch Reich-Ranicki nahm kein Blatt vor den Mund: Er habe
       viele schöne Fernsehabende, zum Beispiel bei Arte, verbracht. "Aber nicht
       diesen Blödsinn."
       
       Da hielten nicht nur 1.300 Kulturschaffende im Saal die Luft an. Auch
       Thomas Gottschalk war authentisch verstört - und redete mit Engelszungen
       auf den Literaturpapst ein: "Sie dürfen alles, wenn sie ihn [den
       Ehrenpreis, die Red.] nehmen." Dass er das tatsächlich durfte, darüber
       schien sich Reich-Ranicki im Klaren. Einen unterhaltenderen wie
       geistreicheren Auftritt hätte er kaum "inszenieren" können.
       
       Das Ende vom Lied: Gottschalk bot eine einstündige Sendung an, in der er
       das Thema mit ihm diskutieren wolle. Die soll es laut ZDF auch wirklich
       geben. Ein Sendeplatz werde bereits gesucht, hieß es am Sonntag schon vor
       der Ausstrahlung des Fernsehpreises. In zwei Wochen soll das Konzept
       stehen. Und der Literaturpapst, der seine TV-Karriere als Grantler vom
       Dienst dem ZDF zu verdanken hat, würdigte das Friedensangebot, indem er
       Gottschalk um den Hals fiel: "Ab heute sagen wir 'Du'!"
       
       Verbeten hätte sich Reich-Ranicki derlei Intimitäten wohl mit Laudatoren
       wie den TV-Richtern Barbara Salesch und Alexander Hold (beide Sat.1), die
       ihre Kategorie "Beste Reality-Sendung" unreflektiert mit dem Sprichwort
       "Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!" anmoderierten und damit allen
       Ernstes die grassierenden "Selbsthilfe"-Formate meinten:
       
       Dort würde schließlich "echten Menschen mit echten Problemen echte Hilfe"
       geboten. Senta Berger sekundierte Reich-Ranicki dagegen als kritische
       Stimme und fragte sich, was wohl aus ihr geworden wäre, wenn sie in ihrer
       Jugend schon das heutige Nachmittagsprogramm hätte gucken können.
       
       Dass auch überflüssige Preis-Galas etwas Gutes haben - nämlich
       Aufmerksamkeit für Wesentlicheres schaffen, bewies immerhin die
       Königskategorie "Bester Fernsehfilm". Die Auszeichnung geht an den
       ARD-Zweiteiler "Contergan", der Anfang des Jahres bereits die Goldene
       Kamera, aber keinen Grimme-Preis gewann.
       
       Schon die frühabendliche Promischau am roten Teppich wurde begleitet von
       Demonstranten, die auf Plakaten höhere Entschädigungszahlungen der
       Herstellerfirma Grünenthal für die Opfer forderten. Und
       "Contergan"-Produzent Michael Souvignier widmete seinen Preis dem
       Contergan-Opfer Stephan Nuding, der zusammen mit seiner Mutter und seiner
       Lebensgefährtin seit drei Wochen im Hungerstreik ist.
       
       12 Oct 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marika Dresselhaus
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Maxim Biller
       
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