# taz.de -- Türkei auf Frankfurter Buchmesse: Unser inneres Ausland
       
       > Die Frankfurter Buchmesse macht mit ihrem Schwerpunkt deutlich, wie sehr
       > die türkische Kultur ein Teil Deutschlands geworden ist.
       
 (IMG) Bild: Literarische Beziehung zu Deutschland: Die Türkei ist Gastland der Messe.
       
       Was wird bleiben vom "Gastland"-Auftritt der Türkei bei der diesjährigen
       Buchmesse in Frankfurt, die heute eröffnet? Ganz sicher mehr als von den
       Gastspielen von Litauen (2003), Korea (2005) oder der katalanischen
       Literatur im vergangenen Jahr (2007), da muss man kein Prophet sein. Nicht
       nur, weil die Türkei ein viel größeres Land ist, weshalb der Vergleich
       etwas unfair ist, sondern auch, weil die Kulturlandschaft des Landes seit
       den frühen Neunzigerjahren so auffällig aufgeblüht ist, was die
       Aufmerksamkeit des Auslands entsprechend befördert hat. Dem trägt die
       Buchmesse mit ihrem Schwerpunkt jetzt nur Rechnung.
       
       Der Nobelpreis für Orhan Pamuk, der ihm vor zwei Jahren verliehen wurde,
       hat wie ein Katalysator gewirkt und die Rezeption anderer Autoren aus der
       Türkei beschleunigt. Mit gerade mal 55 Jahren ist der Schriftsteller aus
       Istanbul damit schon Doyen einer postmodernen Literatur, welche die
       gesellschaftlichen Umbrüche zwischen Bosporus und Ararat reflektiert. Diese
       Literatur findet weltweit ein wachsendes Publikum, die Bestseller von Elif
       Shafak oder Orhan Pamuk liegen auch in Brasilien oder in Hongkong in den
       Buchhandlungen aus.
       
       Die offensichtlichen Erfolge der Türkei - sei es bei Fußballturnieren oder
       in der Wirtschaftsbilanz, beim Song-Contest oder, was die internationale
       Wettbewerbsfähigkeit ihrer Literatur betrifft - sind nur der sichtbarste
       Ausdruck einer Veränderung, die weit tiefer reicht. Die Türkei ist im
       Aufbruch, und infolge dessen hat sich ihr Image in der Welt gewandelt.
       
       An die Stelle des Bilds vom "kranken Mann am Bosporus", wie der letzte
       Sultan des Osmanischen Reichs einst genannt wurde, oder der verknöcherten
       kemalistischen Republik, deren Personenkult um den Staatsgründer Atatürk
       nicht mehr so recht in die Zeit zu passen scheint, schiebt sich nun eine
       junge und dynamische Gesellschaft in den Vordergrund, die zwischen
       Europa-Orientierung und kultureller Eigenständigkeit ihren Platz sucht.
       
       Gerade in Deutschland, wo man die Türkei lange Zeit vor allem mit der Figur
       des armen Gastarbeiters Ali aus Günter Wallraffs Reportageband "Ganz unten"
       in Verbindung brachte, stellt das so manche überkommene Gewissheit auf den
       Kopf. Auch wenn einige noch immer Mühe haben, der Türkei auf Augenhöhe zu
       begegnen - der mitleidig-gönnerhafte Blick ist passé.
       
       Maßgeblich dazu beigetragen haben jene Deutschtürken, die in den
       etablierten deutschen Kulturbetrieb drängen - auch hier mit Erfolg, wie
       sich von der Berlinale bis zum Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt
       gezeigt hat. In den Filmen von Fatih Akin oder den Romanen von Feridun
       Zaimoglu ist die Türkei Teil einer deutschen Seelenlandschaft.
       
       Aber auch jenseits türkischstämmiger Autoren hat die Emigration aus der
       Türkei - von Sten Nadolnys "Selim und die Gabe der Rede" über Zoe Jennys
       "Ein schnelles Leben" bis zu Thorsten Beckers Roman "Sieger nach Punkten" -
       ihren Eingang in die deutschsprachige Literatur gefunden. Anatolien ist,
       aus deutscher Sicht, längst eine Art inneres Ausland geworden.
       
       Vertiefen wird sich diese Beziehung noch, wenn erst jene deutschtürkischen
       Universitäten starten, die in Izmir und Istanbul geplant sind. Oder wenn im
       historischen Sommersitz der deutschen Botschaft am Bosporus demnächst eine
       deutsche Auslandsakademie eröffnet, die ein Pendant zur Villa Massimo in
       Rom bilden soll. Spätestens in zwei Jahren, wenn Istanbul und das
       Ruhrgebiet 2010 zeitgleich den Titel der "Kulturhauptstadt Europas" tragen
       werden, soll es mit diesem Projekt so weit sein. Die Frage, inwieweit die
       Buchmesse die Türkei und Deutschland einander näher bringen wird, erübrigt
       sich da. Der Frankfurter Event fügt der Entwicklung nur einen weiteren
       Mosaikstein hinzu.
       
       Bei der Buchmesse gibt es indes nicht nur die zeitgenössische Literatur der
       Türkei zu entdecken: die Romane von Elif Shafak, die dem kosmopolitischen
       Alltag im heutigen Istanbul nachspürt, die Großstadtkrimis von Ahmet Ümit,
       die Lyrik des schwulen, kurdischstämmigen Popliteraten Murathan Mungan oder
       die historischen Romane von Zülfü Livaneli, einst linke Liedermacherikone
       und heute liberaler Zeitungsautor -, sie alle erscheinen bei prominenten
       Verlagen.
       
       Der Schweizer Unionsverlag geht mit gutem Beispiel voran und legt in seiner
       "Türkischen Bibiliothek" auch viele Klassiker der modernen türkischen
       Literatur auf Deutsch vor. Zu hoffen ist, dass bald auch die
       Kurzgeschichten von Sait Faik (1906-1954) oder die Satiren von Aziz Nesin
       (1915-1995) folgen. Auch sie zeigen, wie weit die Wurzeln der literarischen
       Moderne in der Türkei in die Vergangenheit reichen.
       
       14 Oct 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Bax
       
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