# taz.de -- Wagners "Walküre" in Hamburg: Mit Buh-Garantie
       
       > Ring frei zur zweiten Runde: An der Hamburgischen Staatsoper hatte
       > Wagners "Die Walküre" Premiere. Claus Guths Inszenierung ist wasserdicht
       > - und beinahe durchgängig idiotensicher. Das Publikum murrt trotzdem.
       
 (IMG) Bild: In einer wasserfesten und idiotensicheren Inszenierung: Stuart Skelton als Siegmund und Yvonne Naef als Sieglinde.
       
       Kurz vor dem dritten Klingeln haut er ab. Bühnentür auf, zwei, drei scheue
       Blicke in die Gesichter derer, die gerade noch im Seitengang stehen -
       keiner erkennt ihn. Hoch die Treppe, ab durch den Ausgang. Oder doch in die
       Loge? Egal. Jetzt kann er ohnehin nichts mehr ausrichten, kann nur warten,
       fünf Stunden lang. Dann muss er auf die Bühne, im grauen Anzug, und sich
       seine Buhs abholen. Dass er die kriegt, ist jetzt schon sicher. Es wäre das
       erste Mal, dass er, Claus Guth, hier keine kriegte.
       
       Und Guth kriegte sie auch diesmal: bei der Premiere der "Walküre", dem
       zweiten Teil des "Rings des Nibelungen", in der Hamburgischen Staatsoper.
       Dabei hatte es der Regisseur des Hamburger "Ring"-Großprojekts seinem
       Publikum diesmal leicht gemacht: Was er servierte, war ganz und gar kein
       dicker Brocken. Sondern sehr leicht zu verdauen. Guth ließ die Finger
       davon, das Libretto so lange zu durchforsten, bis er einen unbeleuchteten
       Fleck gefunden hat, um dort seine Deutung zu verorten. Was er eigentlich
       gerne tut.
       
       In seiner "Walküre" zeigt Guth dagegen nur, was offensichtlich ist. Mit
       einer exzellenten und bis ins Detail ausgefeilten Personenregie. Und mit
       einer Vielzahl mehr oder weniger eleganter Querverweise - lieber einem zu
       viel als zu wenig. Keine Anspielung bleibt in der Luft hängen, alles wird
       illustriert, zu Ende erklärt. Was Guth und sein Ausstatter Christian
       Schmift auf die Bühne der Staatsoper bringen, ist wasserfest und durchweg
       idiotensicher. Vorzubereiten brauchte sich hier niemand, im Gegenteil, wenn
       die Walküren zu Beginn des dritten Akts auf Schlafsaalbetten
       herumgaloppieren, ist es sogar besser, den Text nicht zu genau zu kennen.
       Aber auch Generalmusikdirektorin Simone Young, die die Premiere musikalisch
       leitet, bekommt einige Buhs ab. Sogar schon zu Beginn des zweiten und
       dritten Akts. Daran liegt es vielleicht, dass ihr nach einem fulminanten
       ersten Akt so manches Thema arg in die Breite und sogar der eine oder
       andere Einsatz verlustig ging.
       
       Die Geschichte handelt - in aller Kürze - vom Scheitern eines germanischen
       Patriarchen: Wotan, der oberste Germanengott, sieht seine Allmacht vom
       Nibelungen Alberich bedroht. Der taucht in der "Walküre" zwar gar nicht
       auf, allerdings hatte er sich im "Rheingold", dem einleitenden Teil der
       "Ring"-Tetralogie, einen Ring geschmiedet, der seinem Träger maßlose Macht
       verleiht. Wotan erpresste den Ring für sich, musste dann aber seine Burg
       Walhall damit finanzieren. Während der "Walküre" liegt der Ring in der
       Höhle des Riesen und Burgenbauers Fafner, der sich in einen Drachen
       verwandelt hatte. Fällt der Ring Alberich in die Finger, ists vorbei mit
       der Gottheit. Um ihn zurückzuholen, braucht Wotan - selbst kann er es
       nicht, weil er einen Vertrag mit dem Riesen schloss - die Hilfe eines
       freien Menschen. Die Konsequenz: Wotan geht fremd und zeugt Siegmund, dazu
       noch dessen Zwillingsschwester Sieglinde. Wotan arrangiert, dass sich die
       Geschwister verlieben - was seiner Frau Fricka, der Hüterin der Ehe, nicht
       passt. Sie fordert Siegmunds Tod, nicht zuletzt, weil auch die Existenz
       eines frei denkenden Menschen die Götter in ihrem Wesen bedroht. Wotan
       knickt ein. Er beauftragt seine Lieblingstochter, die Walküre Brünnhilde,
       Siegmund im Kampf gegen Sieglindes Gatten fallen zu lassen. Das wiederum
       gefällt Brünnhilde nicht: Aus Mitleid hält sie zu Siegmund, was diesem
       nichts bringt und dazu Wotan rasend macht - er verstößt Brünnhilde und ist
       damit schlussendlich über seine eigenen Füße gestolpert. Soweit die
       Situation. Die Aufgabe: Bitte einmal in vier Stunden erzählen, so schlüssig
       und spannend wie möglich.
       
       Guth schlug sich wacker: Er legt den ersten Akt, in dem Siegmund Sieglinde
       erst begegnet und sie schließlich, wenn auch nur musikalisch, beschläft,
       symbolisch auf einem überdimensionalen Leuchttisch an. An der Wand lehnt
       das Modell von Walhall in der Landschaft, das im "Rheingold" den Göttern
       noch vielsagend im Weg herum stand. Jetzt ist es eingemottet: Wotan hat
       sichtlich die Grenzen seiner Vision erkannt. Am Leuchttisch versucht er zu
       retten, was zu retten ist: Er lässt die Geschwister treffen und sich
       verlieben, lässt Siegmund das für ihn bestimmte Schwert finden.
       
       Dass hier jemand seine Finger im Spiel hat, bleibt dem Publikum für
       gewöhnlich verborgen. Diesmal nicht: Bei Guth taucht Wotan auch im ersten
       Akt höchstselbst auf, damit auch wirklich jeder kapiert, dass er gemeint
       ist, wenn die Hörner per Leitmotiv an ihn erinnern. Siegmunds Schwert
       bringt er gleich mit und rammt es es in den Haustürrahmen - damit es
       Siegmund theatralisch wieder herausziehen kann. Siegmund und Sieglinde als
       Kinder tauchen auch noch auf - könnte ja sein, dass jemand den Text
       wirklich nicht kennt.
       
       Brünnhildes Todesverkündung an Siegmund findet Ende des zweiten Akts
       schließlich unter dem Leuchttisch statt, der dritte spielt im
       Ausbildungslager der Walküren, einem heruntergewirtschafteten Saal mit
       durchgebrochener Decke. Kein schönes, aber ein stimmiges Bild: Während
       unten Wotans Töchter als graue Mäuschen herumturnen, stehen oben
       abwechselnd Brünnhilde, Sieglinde und zuletzt Wotan buchstäblich vor dem
       Abgrund. Den Walkürenritt als publikumsträchtigsten Teil der Oper
       choreografiert Guth als Nahkampftraining im Hühnerhaufen und spätestens
       jetzt wird sein Schicksal beim Schlussapplaus gewiss. Daran kann auch das
       Schlussbild mit echtem Feuer nichts ändern: Brünnhilde liegt schlafend im
       Feuerkreis, wartet auf einen Helden, der sich vor den Flammen nicht
       fürchtet. Würde nicht schon die Musik verraten, dass dieser Held der noch
       ungeborene Siegfried ist, müsste man meinen: Kann ja nicht lange dauern,
       bei diesen erbärmlichen Flämmchen.
       
       Der einzig echte Schwachpunkt: Die Standpauke Frickas an Wotan, die
       Schlüsselszene für alles, was sich im Weiteren auf der Bühne tut, driftet
       am Premierenabend ab in die Belanglosigkeit. Schade - der souverän
       agierende Wotan Falk Struckmanns würde sich von diesem bisschen Gekeife nie
       so aus der Fassung bringen lassen wie es das Libretto vorschreibt. Außer
       vielleicht am Premierenabend, da Struckmann sich eine Grippe eingefangen
       hatte und seine Partie nur spielen konnte. Für seine Stimme sprang
       kurzfristig der Hamburg-Debütant Thomas J. Mayer ein. Auch die eigentlich
       vorgesehene "Brünnhilde" Lisa Gasteen war indisponiert, weshalb die
       Brünnhilde-erprobte Deborah Polaski den Part routiniert übernahm. Keine
       Frage, dass es Polaski und Mayer sind, die das Publikum frenetisch feiert.
       Guth und Team kommen zum Schluss. Und holen sich die Buhs ab. Ohne dabei
       wirklich überrascht zu wirken. War ja klar.
       
       20 Oct 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Florian Zinnecker
       
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 (DIR) Hamburg
       
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