# taz.de -- "Lulu" am Schauspielhaus Hannover: Der große Remix
       
       > Einst große Oper, nun zerfallen in funkelnde Fragmente: "Lulu" ist Drama,
       > Oper, Revue. David Marton baut ein Szenario nah am Jazz, Kino und Alban
       > Bergs Fassung.
       
 (IMG) Bild: Lulu in Aktion: Sie ist die "Urgestalt des Weibes", "geschaffen, Unheil anzustiften".
       
       "Nutze deine Sängerin besser aus!" Das ist der Regisseur, im Karopullover
       in der verglasten Regiekabine, der dies dem Komponisten mit der wirren
       Haartolle übers Mikrofon zuruft. Aber tut der das nicht schon? Hat er sie
       nicht gerade erst wie ein dressiertes Hündchen über die Bühne geführt und
       dabei das Diktiergerät, in das er alle seine musikalischen und sonstigen
       Anweisungen spricht, hochgehalten wie die Stimme des Meisters?
       
       Was die Ausbeutung des Weiblichen angeht, insbesondere der erotischen Reize
       ihrer Darstellerinnen, sind sich die beiden Männer also durchaus einig. In
       welchem Geist und zu welchem Zweck diese Verführung aber geschieht, darüber
       streiten sie. Der Komponist hastet durch ein Glaubensbekenntnis, das von
       der Müllkippe des Symbolismus zusammengeklaubt scheint, "die kleinen
       Mädchen, der letzte Mensch, Zarathustra", er will die Oper und das große
       Ganze. Der Regisseur scheint sich mehr für das Roadmovie, ein Showdown à la
       Hollywood und ein großes Publikum zu interessieren. Lulus kurzer Rock und
       der Schmerz in ihrer Stimme sind in beiden Fällen ihr größtes Kapital.
       
       So lernt Lulu in der ersten Szene in David Martons Inszenierung in Hannover
       zu weinen. Das Setting gleicht einem heruntergekommen Tonstudio für
       Hörspielaufnahmen, Filmsynchronisationen und hysterische Szenen im Off. Das
       ist die ideale Kulisse für Martons Musiktheaterfassung von "Lulu", die
       einerseits nah an den Tragödien von Frank Wedekind und der Lulu-Oper von
       Alban Berg ist und anderseits eine Geschichte von Vamp und Kindsbraut im
       Kino und anderen populären Medien erzählt.
       
       Eva, Katja, Mignon sind die Namen, die Lulus Männer ihr geben. Schon bei
       Wedekind sind sie Künstlertypen, Kunstmaler und Journalisten; bei Marton
       werden sie dazu noch Produzent und eben Komponist, sodass die Szenen der
       Eifersucht um die Lulu in ihrem Bett auch immer die Kämpfe um
       konkurrierende Kunstkonzepte sind.
       
       Bisher hat David Marton, der aus Budapest stammt und ursprünglich Pianist
       werden wollte, seine meisten Regiearbeiten in Berlin gezeigt, in den
       Sophiensælen, der Volksbühne (wohin "Lulu" im Februar als Gastspiel kommt),
       dem Gorki Theater. Demnächst kommen in Kopenhagen und in Wien zwei neue
       Inszenierungen Martons heraus; er ist also auf dem Sprung in eine größere
       Sichtbarkeit mit seinen funkelnden Fragmentierungen von dem, was einmal
       große Oper war.
       
       Begleitet wird er dabei von einem Team genialer Crossover-Artisten, wie Sir
       Henry, der für Frank Castorf oft die Bühnenmusik schrieb und nun mit
       Keyboard und Computer auf der Bühne sitzt, die Jazzdiva Yelena Kuljic,
       Thorbjörn Björnsson, der Bariton singt, der Pianist Jan Czajkowski und die
       japanische Sopranistin Yuka Yanagihara. Schauspieler vom Ensemble Hannover
       kommen hinzu, um diese "Lulu", die immer auch ein Making of Lulu ist, zu
       erzählen. Gleich drei Künstlerinnen sind Lulu bei Marton - nur logisch bei
       dieser Projektionsfülle: Yelena Kuljic besetzt die coolste Version, die mit
       jazzigen Exkursionen auch am weitesten aus der Rolle ausbricht. Yuka
       Yanagihara ist stimmlich und expressiv der Femme fatale von Alban Berg am
       nächsten. Die Schauspielerin Lilith Stangenberg ist geradezu verboten gut.
       Manchmal synchronisiert die eine die andere, manchmal erzählen sie eine
       Szene in parallelen Fassungen, als Oper, Schauspiel und Pantomime oder in
       drei Wiederholungen mit unterschiedlichen Soundtracks. Das Paradoxon Lulus,
       um so weniger fassbar zu sein, je mehr sie geformt wird, gerät dabei in
       eine Endlosschleife.
       
       Das macht Sinn. Ebenso wie das Neben- und Ineinander der Musik von Alban
       Berg und des Jazz, zwei Seiten eines historischen Horizonts. David Marton
       geht dabei mit beiden Ebenen illustrierend um, mit Berg die
       Künstlereinsamkeit und das Ringen im gesellschaftlichen Abseits
       skizzierend, mit dem Jazz den Glamour und die Dekadenz, durch die Lulu sich
       bewegt.
       
       Marton ist gelegentlich die Neuerfindung der Oper angetragen worden. Das
       ist etwas daneben gegriffen. Aber ein inspirierender Remix der Oper und
       dessen, was sonst noch so geschah, ist "Lulu" allemal.
       
       20 Jan 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Bettina Müller
       
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 (DIR) Theater Bremen
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