# taz.de -- Manson-Ausstellung: Anspielungsknäuel, nicht roter Faden
       
       > Sie zelebriert nicht das Jahr 1968, wie es nun so viele gemacht haben.
       > Nein, die Hamburger Kunsthalle hat sich für ihre nächste Ausstellung das
       > Jahr 1969 ausgesucht: Das Jahr, in dem die Manson-Family mordete, der
       > erste Mensch auf dem Mond landete und Andreas Baader mit Gudrun Ensslin
       > nach Paris floh. Die zentrale Frage: Wie konnte aus Flower-Power Gewalt
       > werden, und was ist da eigentlich schiefgelaufen?
       
 (IMG) Bild: Mansonschen Kommune, inszeniert von Till Gerhard.
       
       Diese Ausstellung wird eine Provokation. Eine Reise in den Diskurs. Ein
       Weg, auf den sich zwei Kuratoren gemacht haben, um Zusammenhänge zu finden,
       die das zunächst unspektakuläre Jahr 1969 erhellen. Um lose Enden
       probeweise zusammen zu bringen und scheinbar disparate Ereignisse zu
       verknüpfen. Diese Schau wird mutig und scheu zugleich. Sie formuliert eine
       These, um sie gleich darauf zu negieren.
       
       Die Ausstellung "Man Son 1969. Vom Schrecken der Situation", die ab dem
       kommenden Freitag in der Hamburger Kunsthalle gezeigt wird, ist behaftet
       mit dem denkbar größten Repertoire an Widersprüchen. Das mag daran liegen,
       dass die Kuratoren Frank Barth und Dirck Möllmann 16 Jahre trennen. Auch
       sind die beiden Ausstellungsmacher in Persönlichkeit und Zugriff auf die
       Welt so verschieden, dass sich ihr Konflikt wohl zwangsläufig in der
       Ausstellung spiegelt. Genau darin liegt aber vielleicht deren Potenzial:
       Der eine konterkariert unverzüglich, was der andere sagt; das bringt mal
       chaotische, mal plausible Folgerungen hervor.
       
       Da wäre zunächst das Thema: der 1934 geborene Hippie Charles Manson, dessen
       Kommunenmitglieder 1969 die Schauspielerin Sharon Tate und sechs weitere
       Hollywood-Bewohner töteten. Manson, wie die Mörder selbst bis heute in
       Haft, war eine schillernde Figur: Mal bediente er sich beim Satanskult, mal
       pries er Rassismen und ritzte sich Hakenkreuze in die Stirn. Dieser
       verqueren Persönlichkeit also soll die Ausstellung huldigen, indem sie 53
       Künstler vom Mittelalter bis heute präsentiert? Nein, sagen die Kuratoren
       unisono. Handeln soll die Schau, für die rund ein Drittel der Arbeiten
       eigens konzipiert wurde, vielmehr von dem Ereignis-Konglomerat des Jahres
       1969; und zu dem zählten auch die Morde der Manson-Anhänger.
       
       Im selben Jahr flohen aber auch die späteren RAF-Mitgründer Andreas Baader
       und Gudrun Ensslin nach Paris, um der Strafe für die Frankfurter
       Kaufhaus-Brandstiftungen ein Jahr zuvor zu entgehen. Zudem wurden mit über
       einem Jahr Verspätung Massaker der US-Armee in dem vietnamesischen Dorf My
       Lai bekannt: "1969 ist das Jahr, in dem die Brutalität des Vietnamkriegs
       offenbar wurde", sagt Barth. "Ein Indiz, vielleicht Auslöser weiterer
       gesellschaftlicher Verrohung, von der auch die Manson-Morde zeugen."
       
       Soweit, so plausibel. Was aber hat das mit dem mittelalterlichem Tafelbild
       des "Christus als Schmerzensmann" zu schaffen, der hier ebenfalls hängen
       soll? "Es ist ein Bild über Schmerz und Tod - und insofern durchaus auf die
       Brutalität der Manson-Morde beziehbar", sagt Möllmann. Laute der Untertitel
       der Ausstellung doch schließlich "Vom Schrecken der Situation" - damit
       öffne man bewusst ein breites Themenspektrum. So gehört auch das während
       einer Schädelöffnung aufgenommene Hörstück "Trepanationen" von Teresa
       Margolles hierher. Sie wolle, sagt die Spanierin selbst, den Tod
       ent-tabuisieren - und schockiert gern durch die Verwendung echter
       Leichenteile.
       
       Die Tür zum soziokulturellen Diskurs öffnet dann Lutz Dammbecks
       Installation "Die Umerziehung der Umerzogenen", das Remake einer 1970 in
       New York gezeigten Versuchsanordnung: Mäuse wuseln zwischen Stahlwürfeln,
       die ein Greifarm immer wieder ordnet. Eine Anspielung auf die Ende der 60er
       Jahre hergestellte Verbindung von Konzeptkunst und Kybernetik, die sich
       nicht zuletzt fragte, von welcher Populationsdichte an Tiere - respektive
       Menschen - gewalttätig werden. Ein indirekter Rechtfertigungsversuch von
       Brutalität, gar der Manson-Morde? "Nein, das liegt uns fern", sagt
       Möllmann. "Diese Morde sind durch nichts zu rechtfertigen. Aber wir
       bewerten sie auch nicht." Und Barth fügt lakonisch an: "Ich weiß nur, dass
       ich gegen Gewalt in jeder Form bin."
       
       Verhält sich die Schau hier ambivalent? Will sie provozieren? "Provokation?
       Kenne ich nicht", kontert Barth. Andererseits: Die Verbindung zu ziehen
       zwischen Manson und der RAF zu ziehen, wie es die Ausstellung tut, ist eine
       bizarre - vielleicht auch nur private - These von Frank Barth. Zeitlich
       zumindest geht sie nicht sauber auf, wurde die RAF doch 1970 gegründet und
       hat ideologisch mit Manson zunächst einmal nichts gemeinsam. "Aber es
       könnte doch sein, dass auch die RAF letztlich durch Vietnam und die damit
       einher gehende Verrohung geprägt ist", sagt Barth. "Ja, ich bin sogar fast
       sicher."
       
       Eine These, in deren Reflexion alle möglichen Koordinaten einfließen können
       - auch jene Ausstellungsstücke, die ansonsten fester Bestandteil der
       Kunsthallen-Sammlung sind. Edward Kienholz Installation "The eleventh hour
       final" zum Beispiel: ein Monitor, der Zahlen von Verwundeten und Toten
       zeigt. Er spielt auf die amerikanischen Spätnachrichten an, in denen
       regelmäßig die Zahl Toten des Vietnam-Kriegs veröffentlicht wurden - was
       die Stimmung im Land schließlich kippen ließ.
       
       Aber was hat Ilja Kabakovs Installation "Healing with Paintings", die das
       Malen als therapeutische Methode propagiert, in diesem Zusammenhang zu
       suchen? "Diese Arbeit stellt mittelbar den Bezug zu Susan Atkins her, einer
       der Mörderinnen der Manson Family", sagt Möllmann. "Auch sie hat in ihrer
       Zelle oft gemalt." Sie habe sich inzwischen radikal von den Morden
       distanziert - vielleicht gelangt bis zur Eröffnung noch ein Statement von
       Atkins in die Ausstellung.
       
       Ob die mordenden Manson-Jünger damals unter Drogen standen? Oder, wie
       manche vermuten, von der CIA ferngesteuert waren? "Das sind alles
       Vermutungen, und ich persönlich glaube das nicht", sagt Möllmann. "Fakt ist
       aber, dass es eine Zeit des Sich-Einkapselns war - sei es in einer
       Aussteiger-Kommune, sei es im Raumanzug der Mondfahrer."
       
       Schon wieder so ein bizarrer Link. Der aber keine Erfindung der Kuratoren
       ist: Der argentinische Künstler Mario Asef hat in seiner DVD "Mans on Moon"
       Manson über Funk mit dem Mann auf dem Mond sprechen lassen, als sei auch
       die Mondlandung - drei Wochen früher als die Morde - von Manson
       ferngesteuert gewesen.
       
       Durchaus vergleichbar ist indes die Aufmerksamkeit, die beide Ereignisse
       erfuhren: In der selben Ausgabe des Life Magazine wurden prominent Manson,
       Mondlandung und Vietnamkrieg bebildert. "Und ohne den Medienhype", sagt
       Möllmann, "wären die Manson-Morde in den 60ern, 70ern niemals so aufgebläht
       und ein solches Politikum geworden." Auch wenn Manson, darauf besteht Barth
       ausdrücklich, nicht entfernt so geschickt mit den Medien umgegangen sei wie
       später die RAF. Da schweigt dann der jüngere Möllmann; hier scheiden sich
       abermals die Geister. Die Ausstellung jedenfalls zeigt - auf wessen
       Betreiben auch immer - Fotos von Baader und Ensslin, die Astrid Proll
       1969/70 in Paris aufnahm.
       
       Warum haben die beiden Kuratoren eigentlich keine - viel leichter
       begründbare - Ausstellung über das Jahr 1968 gemacht? "1968 hat mich
       persönlich vergleichsweise wenig tangiert", sagt Barth. Seine
       künstlerischen und gesellschaftspolitischen "Erweckungserlebnisse" hätten
       1969 stattgefunden, sagt er - und mehr auch nicht. Aber natürlich gehe es
       um die 60er Jahre insgesamt, das sei ja klar.
       
       Vielleicht ist es aber auch ein ganz klein bisschen renitent, um nicht zu
       sagen: bockig, mit der 60er-Betrachtung ein Jahr später anzusetzen, als
       alle es erwarten. Und den Signalnamen Manson in den Titel zu nehmen - das
       war eine Versuchung, der die beiden offenbar nicht widerstehen konnten.
       Aber sie bedienten ja nicht die Bedürfnisse der immer noch lebendigen
       Manson-Fangemeinde, winden sich die beiden ein wenig. Auch wenn sie Bilder
       wie "Wächter der Natur" von Till Gerhard zeigen, auf dem die Manson-Family
       inmitten des Naturidylls ihrer Kommune zu sehen sind.
       
       Aber es stimmt natürlich: Nur ein Bruchteil der Arbeiten befasst sich
       ausdrücklich mit Charles Manson. Auch rollt die Schau nicht die
       Manson-Geschichte neu auf, sondern forscht nach deren medialer Wirkung,
       nach der Wechselwirkung von Medien und Ereignissen überhaupt. "Ursache und
       Wirkung funktionieren ja auch in umgekehrter Richtung", sagt Möllmann: "Das
       Medienecho hat diesen Morden nachträglich erst Wirkung verliehen." Haben
       sie zu einem Politikum werden lassen und jene Fangemeinde erzeugt, die bis
       heute existiert.
       
       Die bildet freilich bloß ein winziges Segment der Gesellschaft. Wenig weiß
       dagegen wohl der europäische Durchschnittsbürger über Manson. "Die
       Künstler, die wir gefragt haben, kannten ihn alle. Jedenfalls die älteren",
       sagt Barth. "Der ist schon sehr präsent."
       
       Und - für alle Beteiligten - ein wunderbarer Anlass, in
       Verschwörungstheorien zu baden: Abgesehen von der angeblichen Fernsteuerung
       der Mörder durch Manson kursiert bekanntlich auch die Idee, dass die
       Mondlandung nie real, sondern nur im Film stattgefunden habe. Möllmann
       faszinieren solche Konstrukte, Barth nicht: "Das ist mir piep-egal", sagt
       er. "Für mich war die Landung real. Basta."
       
       Was er sich aber letztlich von der Ausstellung verspricht, die doch
       ausdrücklich keinen roten Faden haben soll? "Ob da ein Erkenntnisgewinn bei
       herauskommt, lässt sich nie vorhersagen", sagt Barth. "Ich mache eine
       Ausstellung, weil ich bestimmte Arbeiten mal zusammen sehen will. Manchmal
       fällt mir dabei eine Erkenntnis wie Schuppen von den Augen. Darüber bin ich
       dann jeweils überrascht und erfreut."
       
       "Man Son 1969. Vom Schrecken der Situation" ist ab dem 30. 1. in der
       Hamburger Kunsthalle zu sehen
       
       23 Jan 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Petra Schellen
       
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