# taz.de -- Heinz Strunks Fleckenteufel: Magna Charta der Darmwinde
       
       > Der Duft des Jahres 1977: Elvis stirbt, und ein junger Mann ist im
       > Ferienlager an der Ostsee. Heinz Strunk erzählt vom "Fleckenteufel" und
       > ergänzt damit Charlotte Roches "Feuchtgebiete".
       
 (IMG) Bild: Heinz Strunk hat den Furz durch seinen Roman "Fleckenteufel" der (männlichen) Jugend zurückgegeben.
       
       "Pffffffkkkkkkrrrrrräää", "Fffffffüüürrrrrkkk", "Pppppfffffiiiiiggglll". So
       könnten auch Zeilen in einem Lautgedicht von Ernst Jandl aussehen, es sind
       aber Literatur gewordene Fürze. Der Hamburger Schriftsteller Heinz Strunk
       lässt sie Thorsten Bruhn entweichen, dem halbwüchsigen Protagonisten aus
       seinem neuen Roman "Fleckenteufel". Mit "Fleckenteufel" hat Strunk so etwas
       wie die Magna Charta der Darmwinde verfasst.
       
       Mit Verve und geradezu unersättlichem Zwang zur Wiederholung beschreibt der
       Autor zwischen "Entlastungspups" und "stiller Kriecher mit dumpf-erdiger
       Blume" jedes scheinbar noch so nebensächliche akustische und olfaktorische
       Detail der Blähungen, die einen pubertierenden 16-Jährigen, der an
       chronischer Verstopfung leidet, auf der "Familienfreizeit" in einem
       evangelischen Ferienlager an der Ostsee beschäftigen.
       
       Wer beim Thema Analfixierung sofort an "Feuchtgebiete" denkt, liegt mit
       "Fleckenteufel" goldrichtig. Schon beim Design des Buchcovers zielt Strunk
       auf eine plumpe Kopie des ziemlich genau vor einem Jahr erschienenen
       Postfeminismus-Bestsellers von Charlotte Roche über die sexuelle
       Selbstermächtigung eines Teenagermädchens und dessen Aufgeilen an den
       eigenen Hämorrhoiden und Wunden im Analbereich.
       
       War auf dem Cover von "Feuchtgebiete" und seinem in altdeutschem Schrifttyp
       geletterten Titel ein Heftpflaster vor dunkelrosa Hintergrund abgebildet,
       gibt es bei Strunk über dem Titel im baugleichen altdeutschem Schrifttyp
       die Fotografie eines fleckigen Waschlappens vor türkisem Hintergrund zu
       sehen. So weit, so durchsichtig.
       
       Roche und Strunk haben auch eine gemeinsame Vergangenheit beim
       Musik-TV-Sender Viva, wo Roche vor einem Jahrzehnt die Kunst der Moderation
       revolutionierte und den musikalischen Nischen mit der Clipsendung "Fast
       Forward" zu mehr Sendezeit verhalf, während Strunk 2003 mit dem animierten
       Comic "Fleischmann-TV" eine Weile auf sich aufmerksam machen konnte, bevor
       ihn der Sender wieder aus dem Programm nahm.
       
       Der "plastische Psychiater" Fleischmann war ein vor der Glotze sitzender
       stiernackiger Unterhemdenträger, ein Seelsorger Marke "billig TV". Schon
       damals fiel der unaufdringliche Witz und die Penetranz im Sprachduktus auf,
       die der Autor seiner Figur in den Mund gelegt hatte. In "Fleckenteufel" ist
       dieser lieblos-absurde Sprachwitz perfektioniert und auf die negative
       Spitze getrieben.
       
       Thorsten Bruhn erklärt die Sitzordnung der Busfahrt an den Ostseebadeort in
       einem einzigen Satzungetüm: "Vom Ding her ist es so, dass man umso geiler
       ist, je weiter hinten man sitzt." Strunk ist ein harter Sprachfrevler, der
       den bildungsbürgerlichen Kanon immer aus Richtung des abgehackt redenden
       Bescheidwissens herausfordert. Pädagogisch mag das unkonventionell sein,
       und doch hat "Fleischmann" den zusehenden Teenagern gerade durch
       sprachliche Plattitüden den Lauf der Dinge erklärt.
       
       Thorsten Bruhn ist gegen jede Form von Toleranz und praktische christliche
       Nächstenliebe beratungsresistent. Der 16-Jährige mit der Quäkstimme
       erstickt Vermittlungsversuche von Erwachsenen oder auch gut gemeinte
       Ratschläge seiner Mutter schon im Ansatz. Er sucht Anschluss, kann aber die
       meisten Gleichaltrigen im Ferienlager nicht ausstehen und findet die
       erwachsenen Begleitpersonen grundsätzlich verdächtig. Strunk porträtiert
       Thorsten als zutiefst verunsicherten "Alles peinlich"-Finder, der weit
       davon entfernt ist, seine Bestimmung gefunden zu haben. "Ich schäme mich zu
       Tode, seit ich denken kann, und weiß nicht wofür", sagt Thorsten. Sein
       Körper ist in schlecht sitzende Kleidung eingezwängt. Die chronische
       Verstopfung macht ihn zum wandelnden Unruheherd.
       
       Erfüllung findet er nur, wenn er auf alles unangenehme Körperliche, von
       Schweiß bis Mundgeruch, von abgekauten Fingernägeln bis Kotzen fokussiert;
       ein Ablenkungsmanöver wie aus dem Lehrbuch der Abject Art. Nun legt es
       Heinz Strunk sicher nicht darauf an, zum Symbol für die selbstbewusste
       Feministin von heute zu werden. Auch die Skandalisierungsmaschinerie des
       Literaturfeuilletons wird bei dem 47-jährigen Autor, Musiker und Mitglied
       des Humortrios Studio Braun wahrscheinlich nicht in Gang gesetzt werden. Zu
       sehr ist er schon auf seine Rolle als Spaßvogel festgelegt. Anders als bei
       Roche funktioniert bei Strunk die Provokation auch mehr über die Sprache
       als über die Handlung.
       
       Angesiedelt ist "Fleckenteufel" im Sommer 1977. Die RAF spukt als Gespenst
       über die Seiten, der Tod von Elvis löst im Ferienlager allgemeine
       Betroffenheit aus, und Spätausläufer des Faschismus schwappen immer wieder
       an die Alltagsoberfläche des Ferienlagers. Beim Völkerballspielen bekommt
       Thorsten Kriegsfantasien und "schießt" ein Mädchen mit einem gezielten Wurf
       ab.
       
       Mit anderen Jungs ist er in einem Viermannzelt untergebracht, wo auf
       militärartigen Pritschen geschlafen wird. Die rustikale Atmosphäre zeigt
       sich auch am Kasernenhofton, in dem untereinander kommuniziert wird. "Wann
       hast du dir eigentlich zum letzten Mal in den Arsch gekackt?", ist die
       Frage, mit der Thorstens Mitreisender Harald unisono alle
       Kommunikationsversuche abblockt. Thorsten kann den "Napffraß" im
       Ferienlager nur bei der Lektüre von Enid Blytons "Fünf Freunde" ertragen
       und beneidet die fürstlichen Proviantmengen, die Blyton den glücklichen
       Abenteuerliteraturkindern zugestanden hatte. "Aber für 345 Mark kann man
       nicht mehr verlangen", lautet Thorstens kleinbürgerliche, stur vorgetragene
       Theorie über die mangelhafte Versorgungslage im Ferienlager.
       
       Heimlich liest er auch Landserheftchen, in deren dünne Handlung er immer
       wieder die erwachsenen Mitreisenden hineinfantasiert. Es ist die unkorrekte
       Antithese zum freundlichen Miteinander der evangelischen Feriengemeinde und
       den ständigen gemeinsamen Andachten, Gesangsabenden am Lagerfeuer und
       Animationsspielen. Die Darstellung des sozialliberalen westdeutschen
       Campingidylls und des irgendwie verständnisvollen, aber hilflosen Pastors
       und seiner Gemeindemitglieder ist die Basis, auf der Strunk seine finstere
       Pubertätsgeschichte aufbaut.
       
       "Ich lebe mit Jesus und bin glücklich verheiratet, das wünsche ich Euch
       auch", sagt der Pastor Wolfram Steiß bemüht. Thorsten dagegen tituliert
       Mädchen und Frauen eintönig als "Weiber", auch in den anderen männlichen
       Teenagerhirnen strotzt es nur so vor unbeholfenem pubertären Sexismus.
       
       Womöglich wird Strunks neues Buch also kein Bestseller. Subversives
       Potenzial hat "Fleckenteufel" auf alle Fälle. Denn der juvenile Machohumor
       wird konstant unterlaufen, und die heterosexuellen Männer älterer Baujahre,
       die "Feuchtgebiete" so gierig aufgesogen haben sollen, werden in
       "Fleckenteufel" mit homosexuellen Handlungen konfrontiert.
       
       Ohne dass er sich dessen in vollem Umfang bewusst ist, ergeht sich Thorsten
       in schwulen Wixfantasien ("Entsaften") und stellt sich Sex mit seinen
       Zeltkollegen vor. Eigentlich steht er ja auf Mädchen, die dulden ihn aber
       höchstens "gelegentlich als Kumpel". Beim gemeinsamen Knutschen nach einer
       Druckbetankung mit Apfelkorn geht Thorsten leer aus. So schickt Strunk
       seinen Protagonisten in ein Dickicht der pubertären Demütigungen und
       unbefriedigenden Ersatzhandlungen.
       
       Etwas Erleichterung verschafft nur die Lektüre von Charles Bukowski, dessen
       Bücher die Landserheftchen ablösen. Tiedemann, der Thorstens Meinung nach
       einzig "coole" Mitreisende, drückt ihm Bukowski aufs Auge. Tiedemann,
       erklärter Fan der Grateful Dead, beeinflusst Thorsten Bruhn auch bei der
       musikalischen Geschmacksbildung und zeigt ihm, dass es abseits der
       Charthits noch eine Welt zu entdecken gibt.
       
       Heinz Strunk ist derjenige bei Studio Braun mit der geringsten
       Subkulturanbindung. Waren seine Kollegen Rocko Schamoni und Jacques
       Palminger in den Achtzigern in der westdeutschen Punkszene aktiv, ist
       Strunks Aufwachsen auf der falschen Elbseite in Hamburg und seine Zeit in
       einer um die Dörfer ziehenden Showband bereits in seinen Debütroman
       "Fleisch ist mein Gemüse" eingeflossen. Es könnte sein, dass er auch mit
       "Fleckenteufel" wieder Anleihen in der eigenen Biografie genommen hat.
       Jedenfalls dokumentiert sein neuer Roman die subkulturferne Tristesse der
       westdeutschen Provinz der zweiten Hälfte der Siebzigerjahre sehr
       glaubwürdig.
       
       Furzen ist beileibe kein Tabuthema. Nur war der Furz seit Rabelais meist
       dem kindlichen Humor alter Säcke vorbehalten. Der französische Komiker
       Louis de Funès inszenierte etwa in seinem letzten Film "Louis und die
       außerirdischen Kohlköpfe" von 1981 eine haarsträubende Geschichte über zwei
       alte französische Bauern, deren schwer bekömmliche Kohlsuppe andauernde
       Blähungen verursacht, die dadurch allerdings das Interesse von
       Außerirdischen erwecken. Heinz Strunk hat den Furz mit "Fleckenteufel" der
       Jugend zurückgegeben. Und noch einiges mehr.
       
       Heinz Strunk: "Fleckenteufel". Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, 2009,
       220 Seiten, 12 €
       
       27 Jan 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julian Weber
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA