# taz.de -- "Der seltsame Fall des Benjamin Button": Rückläufiges Wesen
       
       > Umgeben von Gelassenheit und Langsamkeit, von gebrechlichen Körpern und
       > Altersmilde: Auch in David Finchers neuem Film geht es um bedrohte
       > Männlichkeit.
       
 (IMG) Bild: Benjamin Button ist Finchers erstes romantisches Märchen.
       
       Eigentlich sieht es gar nicht so anders aus. Dieses in der Zeit verdrehte
       Häufchen Mensch. Kurz nach seiner Geburt. Runzelig, zerknautscht, mit
       dünner Haut, durch die an den Schläfen ein Geäst aus blauen Äderchen
       schimmert. Und mit einer Miene, in der normalerweise stolze Eltern alles
       erkennen. Außergewöhnliches, Eigenartiges, Ulkiges, Schönheit, Weisheit,
       den anderen, sich selbst. Auch dieser Säugling sieht, wie viele andere, so
       aus, als wüsste er bereits alles, was man so wissen kann. Und wenn man
       schließlich realisiert, dass die Flecken auf seiner Glatze keine
       Storchenbisse oder Milchschorfflächen sind, sondern Pigmentflecken, die das
       hohe Alter mit sich bringt; wenn man bemerkt, dass der Hautton für eine
       frische Zellteilung eine Spur zu gräulich ausfällt, dass die blassen Augen
       zu schlierig sind, um die ersten Schwarzweißbilder auf die Netzhaut zu
       lassen; dass dieses Neugeborene in Wahrheit ein fünfeinhalb Pfund schwerer
       Greis ist, dann scheint es auch möglich, dass dieses Geschöpf an seinem
       Lebensanfang bereits am Ende seiner Weisheit ist. Ein rückläufiges Wesen,
       das im Laufe seines Lebens vergessen muss, anstatt zu lernen, und das an
       einem großen Gefühl zu verzweifeln hat, noch bevor es es überhaupt
       empfindet.
       
       Das würde jedenfalls die schläfrige, gelegentlich schon ins Kitschige
       kippende Melancholie erklären, die von Anfang an über diesem ersten
       romantischen Märchen im Werk von David Fincher liegt. Eine Geschichte über
       die Verklärung von Liebe, Schönheit und Jugend ist es geworden. Eine, die
       die unterschiedlichsten Maskierungen der Geschlechter und ihrer
       Lebensphasen konsequent in den Illusionstechniken des Kinos spiegelt.
       
       Die Verwandlungskünste der digitalen Maskenbildner stehen bei diesem über
       hundert Millionen Dollar schweren Oscar-Favoriten über aller
       Schauspielerei. Und natürlich ist man beim Zuschauen in erster Linie damit
       beschäftigt, die Übergänge von Falschen zum Echten auszumachen. Caroline
       (Julia Ormond), die im Krankenhaus am Sterbebett ihrer etwas albern
       röchelnden Mutter Daisy (Cate Blanchett) hockt und nun die Wahrheit über
       ihren Vater erfahren soll, steht mit ihren scheinbar unbehandelten Fältchen
       für die Echtzeit und ihr Vergehen im Film. Mit ihr wird die Geschichte auf
       eine Perspektive, ein Zeitempfinden, eine Wahrheit, wenn man so will,
       geeicht.
       
       Und die geht in etwa so: Die Mutter des greisen Babys - so erfahren wir mit
       der Tochter Caroline aus dem Tagebuch des unbekannten Vaters - stirbt
       direkt nach der Geburt. Sein Vater erträgt den Anblick des Sohnes nicht. Er
       legt das Menschenbündel zusammen mit 18 Dollar auf einer Treppe in einer
       Gegend von New Orleans ab, in die der Knopffabrikant Mr. Button sonst nicht
       freiwillig seinen Fuß setzen würde. Es ist das Jahr 1918. Rund 60 Jahre
       später als in der dem Drehbuch zugrunde liegenden gleichnamigen
       Kurzgeschichte von F. Scott Fitzgerald, der seinen Protagonisten
       unmittelbar vor dem amerikanischen Bürgerkrieg in eine mit den eigenen
       Idealen entzweite Welt entsendet. Finchers Held wird es etwas leichter
       haben als das Original. Die amerikanischen Staaten haben sich bereits zur
       Nation geeint, die Sklaverei ist abgeschafft. Wenn auch nicht die
       Rassentrennung. Das Monströse gesellt sich zum Unterdrückten und findet im
       Ghetto sein Kindheitsglück.
       
       Die schwarze Queenie nimmt das faltige Baby an Kindes statt an und gibt ihm
       einen Namen. Benjamin lernt von den Alten in dem Pflegeheim, in dem seine
       neue Mutter arbeitet. Er ist umgeben von Gelassenheit und Langsamkeit. Von
       gebrechlichen Körpern und Altersmilde. Und vom christlichen Wunderglauben
       seiner Adoptivfamilie, die den kleinen Alten in seinem Rollstuhl zu einem
       Erweckungspriester schiebt, damit der Glaube seine Beine endlich das Laufen
       lehrt. Und wie er da steht und fällt und aufsteht und wieder fällt, wieder
       aufsteht, schließlich auf Krücken geht, später rennt, muss man an die
       absurde Erfolgsgeschichte des "Forrest Gump" denken, der geistig
       zurückgeblieben und damit befreit von jedem historischen oder politischen
       Bewusstsein zum wandelnden Amerikanischen Traum wird. Und nicht zufällig
       sitzen auch in "Der seltsame Fall des Benjamin Button" die Generationen auf
       Parkbänken zusammen und sinnieren über die Fügungen des Lebens. Schließlich
       stammt dieses Skript von Eric Roth, der auch das "Forrest Gump"-Drehbuch
       für Robert Zemeckis verfasste.
       
       Benjamin zieht über die Weltmeere, er verliert seine Unschuld in Bordellen,
       doch nicht den Glauben an seine große Kinderliebe: Daisy. Die schwebt, zur
       umschwärmten Schönheit gereift, als Primadonna über die Bühnen am Broadway,
       entdeckt das wilde, freie Leben, bis sie sich an Benjamin Button
       herangealtert hat und die gemeinsame Kernzeit des Paares beginnen kann. Die
       Erkenntnis, dass sich zwei Leben nur in bestimmten Phasen synchronisieren
       lassen, ist nach 165 epochalen Minuten verblüffend alltäglich und
       übersteigt kaum die Fallhöhe herkömmlich alternder Protagonisten. Brad
       Pitt, der darauf bestanden haben soll, alle Altersphasen vom 80-Jährigen
       bis zum kleinen Jungen selbst zu verkörpern, unterfüttert den Film immerhin
       für eine gewisse Zeit mit dem Subtext seiner Leinwand- und Star-Persona.
       
       Bereits in "Rendezvous mit Joe Black" musste Pitt lernen, dass
       unveränderliche Schönheit und Jugend ein Fluch sein kann. Doch am besten
       funktionierte Pitts Besetzung in Fincher-Filmen bislang vor allem als
       Instinktwesen, das ganz in den klaren, archaischen Verhältnissen eines
       regellosen Boxkampfes aufgeht ("Fight Club"). Als Vertreter einer Spezies,
       die sich selbst genügt, solange sie ihre Männlichkeit als universelles,
       schon naturbedingt herrschendes Prinzip feiern kann.
       
       Die monolithische Männlichkeit von einst wird mit ihren gebrochenen
       Darstellungen in "Benjamin Button" zu einem höchst instabilen Konstrukt. Zu
       einem Ausdruck einer unaufhörlichen Krise und zu einem
       Repräsentationsprozess mit offenem Ausgang. Ob er sich als Gentleman wie
       Gary Cooper in Schale wirft und seiner Jugendliebe in der Garderobe ein
       Blümchen überreicht oder lässig wie Steve McQueen sein Segelboot im Wind
       wendet. Über allem liegt eine schöne Vergeblichkeit. Fincher sorgt dafür,
       dass diese Bilder nichts mehr verheißen. Er entzieht ihnen das Licht, dämmt
       ihre Kontraste. Und wenn wir Brad Pitt mit glattem Jungengesicht,
       Sonnenbrille und Lederjacke wie einst Marlon Brando in "The Wild One" auf
       einem Motorrad davonbrettern sehen, als bloße Kopie eines Mythos, erzählt
       Fincher klug von einem Kinoillusionismus, der sich selbst schon lange nicht
       mehr über den Weg traut.
       
       Dieser Benjamin ist die Antithese zu allen vorangegangenen Helden aus dem
       Fincherschen Kosmos. Er ist kein durch Panik, Gewalt oder übergeordnete
       Mächte beschleunigter Körper. Er ist die Verkörperung der Verlangsamung bis
       zum Stillstand. Er ist die Antithese zu Sigourney Weaver, die sich als
       Alien-Mutter Bedrohungen von innen und den Übergriffen einer Strafkolonie
       in "Alien 3" zur Wehr zu setzen hat. Oder zu Michael Douglas, dem in einem
       grausamen Reality-Game die eigene Lebensüberdrüssigkeit ausgetrieben wird.
       
       Auch "Der seltsame Fall des Benjamin Button" ist eine Geschichte voll
       düsterer Geschmeidigkeit, wie sie Finchers Filme eigentlich auszeichnen.
       Nur erwächst die Bedrohung hier nicht aus der Bewegung, wie in "The Game",
       oder aus Schutzräumen, die eine Belagerung von außen geradezu
       heraufbeschwören, wie in "Panic Room". Sondern allein aus einem zähen
       zeitlichen Vergehen. Und anders als seine Vorgänger flüchtet sich dieser
       "Fincher" nicht in doppelbödigen Wahn oder ins Fantastische, sondern in ein
       Märchen, das seine dramatischsten Momente vor der Geburt seines Helden
       gehabt haben muss.
       
       "Der seltsame Fall des Benjamin Button". Regie: David Fincher. Mit Brad
       Pitt, Cate Blanchett u. a. USA 2008, 165 Min.
       
       28 Jan 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Birgit Glombitza
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Film
       
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